Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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und eben darum um vieles schöner, wie sie so blaß und hochaufgerichtet an der Türe stand.

      Der Major trat auf sie zu und faßte ihre Hände.

      »Wir wollen nicht von der Vergangenheit sprechen, Thea!« sagte er ernst ... »...auch in Zukunft sollst du bei uns in Posen nie mehr ein Wort darüber hören. Denn du hast schwer genug für alles gebüßt. Das einzige, was ich verlange und erwarte, das ist, daß du noch heute mit mir in deine Heimat zurückfährst! ... nicht wahr, Thea?«

      Sie schaute zu ihm auf und schüttelte den Kopf, daß die dunklen Locken flogen. »Nein, lieber Onkel! Das kann ich nicht!«

      »Und warum nicht?« Er suchte unwillkürlich mit den Augen Georg, der reglos am Tische lehnte.

      Sie folgte seinem Blicke. »Du hast doch gehört, daß ich zu ihm »du« gesagt hab'!«

      »Ja ... und das ... das soll etwa heißen ...«

      »Das soll heißen, daß wir beide ... er und ich ... beisammen bleiben und Mann und Frau werden! Das haben wir gestern ausgemacht!«

      »Und wovon werdet ihr leben ... als Mann und Frau?«

      »Das wissen wir noch nicht!«

      »Und wenn ihr nichts zu leben findet?«

      »Dann werden wir eben hungern!« sagte Thea gleichmütig.

      »Das hält man nicht so lange aus, als du glaubst ...«

      »Dann verhungern wir eben! Aber beisammen bleiben wir ...«

      Der Major griff sich verstört an die Stirne. »Du bist von Sinnen, Thea!«

      »Dann sterben wir eben! ... Eines mit dem andern ...« Thea sah ihm ruhig ins Gesicht ... »...begreifst du's denn nicht, Onkel? ob wir leben oder sterben, sind wir beide eins und tragen alles zusammen, was da kommt! Und was man zusammen trägt, das wird schon nicht so schrecklich sein ...«

      Der Major wandte sich an Georg.

      »Haben Sie denn gar kein Gefühl der Verantwortung mehr im Leibe, Herr Textor?«

      »O doch!« sagte der kleine Sportsman ... »...Eben jetzt fang' ich, zum erstenmal in meinem Leben, an, dies Gefühl zu bekommen und befinde mich sehr wohl dabei!«

      »Dann müßten Sie doch erkennen, daß es Ihre Pflicht ist, ein Mädchen freizugeben, für das Sie in keiner Weise ...«

      »Nein!« sprach Georg ehrlich ... »...das können Sie nicht verlangen! Sehen Sie: jetzt bin ich ein halbverlorener Mensch. Von Thea hängt es ab, ob ich ganz zugrunde gehen oder was Rechtes werden soll. Das werd' ich nämlich, wenn sie bei mir bleibt! darauf dürfen Sie sich verlassen!«

      Der andere warf ihm einen grimmigen Blick zu. »Sie scheinen meine Nichte in den paar Tagen verhext zu haben,« sagte er finster, ... »daß sie einen Mann wie Sie ...« Er brach ab und wandte sich zu Thea. »...Bedenke, Thea ...« sprach er leise und eindringlich ... »...wer außer uns noch in der Heimat auf dich wartet!«

      »Grüße den Hauptmann Klein recht herzlich von mir!« sagte Thea ... »...er ist ein guter Mensch ... und sag' ihm: Es wäre recht so! denn ich hätte doch nie für ihn getaugt und für euch alle nicht und eure Verhältnisse nicht. Ich bin nun einmal eine Zigeunerin und es treibt mich hinaus in die weite Welt ... und da hab' ich meinen guten Kameraden zur Seite, der mit mir geht und mich beschützt ...«

      »...und wenn du dich wunderst, daß das zwischen uns beiden so rasch gekommen ist, und meinst, es wäre Hexerei ... lieber Onkel ... du lebst doch soviel länger als ich auf der Welt und hast gewiß schon lange erkannt, was ich erst in diesen Tagen eingesehen hab' ... daß das Schicksal ja so unendlich viel stärker und mächtiger ist als die Menschen! Das spielt mit uns und trennt uns, ob wir wollen oder nicht, und führt die zusammen, die zueinander gehören. So hat es uns beide zusammengebracht, den da und mich, und uns aneinander geschlossen mit eisernen Klammem, daß wir nicht voneinander lassen können im Leben und im Tod! Das ist alles und ist ganz einfach! So ... und nun erzähle das den Leuten in Posen und fahre eben in Gottes Namen ohne mich dorthin zurück. Es geht nun einmal nicht anders ...!«

      »Das wollen wir erst mal sehen!« sagte der Major, nahm seine Mütze und schritt ohne Abschied hinaus.

      Aber der Rechtsanwalt, den er zum zweitenmal aufsuchte, konnte ihm nicht helfen.

      »Die Dame ist, wie Sie berichten, beinahe 22 Jahre ...« sagte er achselzuckend ... »...also großjährig ... sie war als Gast in Ihrem Hause ... es liegt also kein Vertrag über Leistungen vor, der sie zur Rückkehr verpflichtet ... die Eltern sind tot ... es fällt also die Formalität des ehrerbietigen Ansuchens fort ... ja ... juristisch ist da gar nichts zu machen!«

      Der Major kehrte in sein Hotel zurück und rüstete sich zur Abreise. Jetzt dem Begräbnis beizuwohnen, daran dachte er nicht. Es war nicht recht, einen Verstorbenen zu hassen – er wußte es – und er haßte ihn doch mit der ganzen Empörung des Edelmanns und Offiziers, der eine Zeit lang Tag für Tag in den sozialdemokratischen, ihm anonym zugesandten Blättern unter der Spitzmarke: »Wieder ein Edelster der Nation!« oder »Etwas vom Rückgrat des Staates« den Namen seines Vetters, des Wechselfälschers Freiherrn von Hoffäcker, gelesen hatte.

      Aber erst am späten Nachmittag ging der nächste Zug nach dem Osten und eine Stunde vorher faßte ihn der Zweifel.

      Wenn er es noch einmal versuchte?

      Er nahm eine Droschke und fuhr in die Mauerstraße. Dort war Thea vor kurzem von der Kapelle des Krankenhauses zurückgekehrt und hatte den eilig beschafften Traueranzug angelegt. Nun hatte sie den neuerstandenen dunklen Filzhut ihres Freundes auf dem Knie und nähte einen Streifen schwarzen Krepp darum.

      Beim Anblick des Majors lächelte sie traurig. Sie wußte, was für eine Ueberwindung dem strengen, alten Soldaten diese abermalige, letzte Bitte bedeutete.

      In der Tür stehen bleibend, sah er sie stumm an. Und sie hielt seinen Blick ruhig aus und schüttelte stumm den Kopf.

      Da ging er.

      Georg zog ihre Hand an seine Lippen und preßte einen langen, inbrünstigen Kuß darauf. Dann sah er nach der Uhr.

      »Es ist Zeit,« sprach er leise, ... »wir müssen uns fertig machen!«

      Er griff nach seinem Hut und half ihr, die krampfhaft zu beben begann, den langen, rückwärts niederwallenden Trauerschleier anzulegen.

      Dann stiegen sie Hand in Hand die Treppe hinab, um dem alten Herrn die letzte Ehre zu erweisen.

      XIV.

       Inhaltsverzeichnis

      Es ist ein ewiges Kommen und Gehen auf der Totenstraße von Berlin.

      Fern im Südwesten zieht sie sich lang hin, eingesäumt von der Industrie des Todes, von Kränzehandlungen und Steinmetzwerkstätten, weiter und weiter bis zu dem Gewimmel schwarzer Holzkreuze, das rechts und links in großen Vierecken die braune Gleichförmigkeit der Erde unterbricht.

      Wie aus einem entlegenen Lande trägt der Abendwind den Lärm Berlins herüber, ein undeutliches, zitterndes, bald mächtig anschwellendes, bald dumpf summendes Getöse, in dem man keinen einzelnen Laut mehr zu unterscheiden vermag. Alles wirrt sich darin zusammen, Rädergerassel und Maschinenstampfen, Menschenstimmen und Hundegebell, Dampfpfeifen der Fabriken und Trommelschlag der Truppen, Bäumerauschen und Glockenklang. Wie bitteres Klagen weht es jetzt aus diesem tausendfach wechselnden Brausen und jetzt wieder wie frohlockender Jubel, ein grimmiges Murmeln derer, die da unten hassen, ein zärtliches Flüstern, wo eins das andere liebt, verzweifelnde Flüche, helles Gelächter ... Der Wind trägt's über die Stoppeln dahin, was dort aus den unendlichen, mit dem Horizont verschwimmenden Häusermassen im ewigen, zermalmenden und zerreibenden Kampf ums Dasein jauchzend und weinend emporklingt.

      Was zermalmt und zerrieben ist, das stößt die Weltstadt von sich. Ein ewiges Kommen und Gehen herrscht auf der Totenstraße


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