Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.haben diese Menschen aus mir gemacht ... bestraft mich ... aber schlagt auch meine Verfolger tot wie tolle Hunde ... sie verdienen's ... sie verdienen's! ... das sag' ich ... ein verlorener Mann ... sie verdienen's!«
»Kommen Sie!« murmelte Lenski finster zu dem andern.
Sie gingen. Auf der Treppe drehte sich Grunäus noch einmal um. »Mir haben Sie ja schließlich nichts getan!« rief er zu Georg hinauf ... »...also als gutmütiger Mensch rat' ich Ihnen: lassen Sie Berlin so rasch wie möglich fahren! Wo Sie oder der Alte etwa eine Stellung bekommen, da ist doch am nächsten Morgen der anonyme Brief bei Ihrem Brotherrn: »Sie beschäftigen einen vorbestraften Wechselfälscher und einen als ehrlos entlassenen Offizier!« ... Na ... und dann sitzen Sie doch wieder auf dem Pflaster, ... Mahlzeit! ...«
Drinnen im Zimmer mühte sich Thea um ihren Vater, der schweratmend und am ganzen Leibe zitternd in den Stuhl gesunken war. Die Zorntränen liefen ihm aus den Augen, seine Lippen lallten abgerissene Worte.
»Aber so beruhige dich nur ...« flehte sie ... »...Es geschieht ja noch ein Unglück, wenn du dich so aufregst ... du siehst ja aus, daß man sich erschrecken kann!«
Endlich wurde der alte Herr denn auch wieder ruhiger. Er versuchte aufzustehen, aber ein Schwindelanfall zwang ihn wieder auf den Sessel zurück, und er legte die unsichere Hand über die Augen, während Thea mit angstvoll zusammengepreßten Lippen danebenstand.
So traf Georg die beiden, als er vom Flur zurückkam. »Noch eine Neuigkeit!« sagte er und warf finster den Zigarettenstummel in die Ecke ... »...der Bengel aus der Wildprethandlung meldet mir eben, in unserer Abwesenheit hätte sich der Gerichtsvollzieher wieder nach Ihnen erkundigt. Die Haushälterin zog gerade aus und ließ ihn nicht an ihre Sachen. Nun wollt' er am Nachmittag wiederkommen!«
»Der Gerichtsvollzieher!« Der Freiherr schnellte bei dem bekannten Namen auf, und diesmal gelangte er wirklich, wenn auch schwankend, auf die Beine. »Rasch, Thea ... packe deine Siebensachen zusammen! ... Ich besorge unterdes irgendwo für dich eine Wohnung! ... Ein möbliertes Zimmer natürlich! Denn in ein Berliner Hotel kann man ein junges Mädchen nicht allein bringen!«
»Aber das eilt doch nicht so, Papa! Du wirst doch nicht jetzt gerade um die Mittagshitze und nach der Aufregung die Treppen hinauf und heruntersteigen, um mir ein Unterkommen zu suchen?«
»Und der Bandit?« knirschte Herr von Hoffäcker und bürstete in eilfertigem Schwung den hechtgrauen Zylinder aus ... »Du weißt schon, wen ich meine! Vorgestern hat er schon seine schmierige Klaue auf deinen Koffer gelegt. Für heute mittag hat er sich wieder angemeldet und macht es gerade so! Er nimmt uns einfach deine Sachen weg! Oder sollen wir wieder Schmuck versetzen? Wir brauchen unser bißchen Geld nötiger, als um es dem Gerichtsvollzieher in den Rachen zu werfen. Die Koffer müssen weg, ehe er kommt ... das ist doch klar!«
»Aber ich lasse dich nicht gehen,« sagte Thea angstvoll ... »...jetzt nicht!«
»Das kann ich ja doch besorgen!« rief Georg fast gleichzeitig.
»Sie?« Herr von Hoffäcker drehte sich die grauen Favoris zur Seite und gab der Krawatte den richtigen Sitz ...
»Ich möchte es einmal sehen, wenn Sie für eine solide junge Dame Zimmer suchen! Kein Mensch glaubt Ihnen das! Sie wissen doch, wie man in Berlin ist! Wenn da nicht ein achtbarer, alter Herr erscheint ... nun ...« er wandte sich zum Gehen ... »...in einer halben Stunde bin ich wieder da!«
Thea hielt seine Hand fest. »Bitte ... bitte, Papa!« drang sie in ihn ... »...gehe jetzt nicht ... mit dem hochroten Kopf, und in der Hitze! Tu's um meinetwillen nicht! ...«
»Ich gehe!« widersprach der alte Herr eigensinnig ... »ich muß gehen! ... gerade um deinetwillen!« ... Er küßte sie zärtlich auf die Stirne ... »...ich werde schon ein Nestchen für dich ausfindig machen ... bei guten Leuten ... die freundlich zu meinem Goldkind sind ... ich lasse mir die Mühe nicht verdrießen ... und wenn ich zwanzig Wohnungen ansehen muß ... also auf nachher ... Ihr Lieben! ... auf nachher!«
Thea hörte, wie er langsam und zitterig mit dem Rohrstock tastend die Treppe hinabstieg, und brach in helles Weinen aus. Sie wußte selbst nicht, warum. Dann schlich sie in ihr Zimmer hinüber und begann, am Boden kniend, traurigen Gesichts ihre Sachen zu packen.
Georg wußte nicht, wie lange er schon allein und rastlos durch den halbleeren Geschäftsraum des »Paprika« geschritten war. Er langweilte sich. Beinahe hätte er gewünscht, daß der Gerichtsvollzieher käme! Das war doch eine Abwechslung, den pflichttreuen Mann vergeblich alle Winkel durchforschen zu sehen! Und vielleicht konnte man von einem so vielerfahrenen, in stetem Verkehr mit gescheiterten Existenzen lebenden Menschenkenner einen nützlichen Wink darüber erhalten, was man in einer Lage wie der jetzigen am besten anfangen solle.
Aber die leichten Schritte, die jetzt über den Flur glitten, konnten von keinem preußischen Beamten herrühren. Thea trat ein. Sie sah blaß und ängstlich aus.
»Es ist schon anderthalb Stunden, daß Papa weg ist!« sagte sie leise.
Georg zuckte die Achseln. »Er findet wohl nicht so bald etwas Passendes!«
Sie seufzte. »Wenn ich daran denke, daß er jetzt meinetwegen sich die arge Mühe macht! ... Sie wissen ja, wie schwer ihm das Treppensteigen fällt! Ach ... ich komme mir ganz schlecht vor! ... ich hätte ihn begleiten sollen, statt die Koffer zu packen!«
»Er hat Sie absichtlich nicht mitgenommen!« erwiderte ihr Freund.
»Ja ... warum denn?«
»Weil Sie – verzeihen Sie das harte Wort – viel zu hübsch sind! Das erregt in Berlin sofort Verdacht! Darin hatte er ganz recht!«
Sie sah ihn groß an. »Ich verstehe Sie nicht!«
»Das ist auch nicht nötig!« murmelte er, und beide verstummten.
»Jetzt ist wieder eine halbe Stunde verstrichen!« sagte Thea und trat bang ans Fenster ... »...ich halt' es nicht mehr aus. Ich muß ihn suchen!«
»Ja ... wo denn ... um Gottes willen?«
»Das weiß ich nicht! Man muß eben durch die Straßen gehen!«
»Da hätten Sie in Berlin viel zu tun! Bleiben Sie nur ruhig, Thea! Es wird schon nichts geschehen sein!«
Das junge Mädchen rang die Hände ineinander. »Das sagen Sie auch schon in einem so unsicheren Tone ... ich höre Ihnen die Angst durch!«
»Sie sind nervös, Thea!« Der Sportsman lächelte ihr freundlich zu ... »...und wenn die Damen nervös sind, dann hören sie alle möglichen Dinge und bilden sich Gottweißwas ein ...«
»Es ist keine Einbildung ...« flüsterte Thea ... »Papa weiß, wie ich mich um ihn ängstige. Er hatte versprochen, in einer halben Stunde zurück zu sein ... und wäre gewiß gekommen, auch wenn er nichts fand ... nur um mich zu beruhigen ...«
»Na ... schließlich wird er schon kommen!«
Thea erwiderte nichts, und wieder trat ein banges Schweigen ein.
Da krachten schwere Tritte auf den Treppenstufen. Die beiden fuhren auf!
Nein ... das waren nicht die zitterigen Schritte des alten Herrn. Hart und dröhnend stieg es hinauf ... langsam ... unendlich langsam kam das dumpfe Stapfen näher.
»Es ist etwas geschehen!« stammelte Thea.
»Nein.« Seine Stimme klang zornig ... »dann hätte doch unten ein Wagen gehalten!«
Jetzt hallte es auf dem Flur und klopfte. Die Tür öffnete sich. Sie starrten darauf, als sollte ein Gespenst in ihr erscheinen.
Ein Schutzmann stand auf der Schwelle, eine Visitenkarte in der Hand.
»Guten Tag!« sagte er ... »...wohnt hier ein Freiherr von Hoffäcker?«
»Allerdings!« Georg war mißtrauisch ... »...aber zu Hause ist er nicht!«
»Ja ... das weiß ich ...« der Schutzmann räusperte sich ... »...wir fanden nämlich