Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.... ich versteh' schon!« Der Herrenreiter machte ein möglichst zerknirschtes Gesicht... »...Nur Papa! Papa muß auf den Pfad der Tugend geleitet werden. Und Sie schreiten als Wegweiserin voran! Denn ich ... ich fürchte ... ich fürchte ... von selber find' ich ihn nicht!«
Sie lachte hell auf und nickte mit dem Kopf. »Das glaub' ich! ... Ja ... bemühen Sie sich nur, jetzt so scheinheilig auszusehen! Ich merk' schon, was Sie für ein Strick waren! ... gestern schon ... im Coupé ... ich hab's Ihnen ja gesagt...«
»Vielleicht, wenn ich mir 'nen Vollbart wachsen lasse?« Der kleine Sportsman zweifelte ... »... ich glaube, das und 'ne Brille ... das gibt dem Menschen ein ganz kolossal solides Air!«
Aber dann plötzlich wurde er ernst. »Jawohl, Fräulein Thea,« sagte er ... ».. Sie müssen mir als guten Kameraden schon erlauben, daß ich Sie ab und zu zur Belohnung Fräulein Thea nennen darf ... jawohl ... ich hab' viel zu bereuen und gutzumachen... ebensoviel wie der alte Papa! Sie müssen da unser Leitstern sein, und wenn wir wirklich in diesem Leben noch einmal wieder solide, achtbare Leute werden, dann verdanken wir's Ihnen!«
Nun war der Sport bis zum vorletzten Rennen gediehen.
Vom Totalisator, an dem er, entgegen seinen ursprünglichen Vorsätzen, doch die Zeit über ein bißchen mitgewettet, trat Georg auf den Platz heraus und schaute mißmutig zu dem grauen, regenströmenden Himmel auf.
Er fühlte sich einsam und verlassen. Und der Turf interessierte ihn so gar nicht mehr. Ob da der bekannte Leibgardehusar, katzengleich auf seinen Gaul geduckt, aufkanterte, ob ein anderer Meisterreiter von den gelben Kürassieren hinter ihm in langen Sprüngen zum Start zog, daß die Erdschollen flogen, ob zwei, drei andere Ulanen und Dragoner elegant über die Tribünenhürde setzten, ihm war es gleich. Er sah ihnen mit dem scharfen Auge des Fachmanns nach, aber so ganz teilnahmlos, als trüge er gar keine Tickets auf zwei der Pferde in der Tasche.
Wo sie nur blieb? Vor jedem Rennen trafen sie sich bisher ohne weitere Verabredung in stillschweigendem Einverständnis hier hinter der Tribüne, und jetzt ...
Ein kleiner Ulanenleutnant eilte in hastigem Sporenklirren an ihm vorbei zur Wage. Es war Herr von Wendelslohe, den er gestern unter den Linden hatte vorüberfahren sehen. Beim Anblick Georgs stutzte er. Dann ging er kühl und würdevoll, ohne sein rotbäckiges Kindergesicht zu verziehen und ohne seine Hand zur Mütze zu erheben, an dem entlassenen Kameraden vorbei, von dessen Schicksal er also offenbar inzwischen Kunde erhalten hatte.
Der sah ihm finster nach, und seine schmalen, bartlosen Lippen murmelten einen bösen Fluch. »Da bin ich!« sagte Thea ... »was machen Sie denn für ein Gesicht?«
»Hohe Zeit ...« erwiderte der Exhusar melancholisch ... »Hohe Zeit, daß Sie kommen und mich bessern! Eben hab' ich dem kleinen Wendelslohe ... dem Ulanen da ... gewünscht, er möchte sich das Genick brechen!«
»O pfui!« Sie rief das mit dem Ausdruck aufrichtiger Empörung.
»Ja ... wenn Sie da sind, werd' ich wieder friedlich! Also der kleine Wendelslohe soll den ersten Preis kriegen ... und alle weiteren Rennen machen ... meinetwegen sogar den silbernen Schild und die Karlshorster Internationale ... und eine Millionenerbin soll sich darob in das kleine Unwurm verlieben und ...«
»Genug ... genug!« sagte sie lachend ... »...ich wär' schon früher gekommen ... aber Papa hielt mich zurück ... es waren da vorn ein paar Namen mit Kreide an die Renntafel geschrieben, und er konnt' sie nicht lesen! ... ach ... da vorn ist's häßlich ... abscheuliche Menschen ... und all die aufgespannten Schirme ... da komm' ich mir ganz trostlos vor. Ich bin viel lieber hier!«
»Nicht wahr?« Georg sah ihr tiefsinnig in das blasse Gesicht ... »...das Fleckchen Erde da gehört uns! ... Es regnet zwar gehörig ... der Wind pfeift um die Ecke der Tribüne, und der Kies unter unsern Stiefelsohlen ist naß wie ein Schwamm ... aber es ist eben doch unser Buen-Retiro, und wir fühlen uns ganz warm und behaglich ...«
Thea neigte das Haupt. »Schön ist's hier ja nicht ...« sagte sie leise ... »Aber die Welt ist ja überall grau und trostlos! Und hier ist man wenigstens beisammen ... und fühlt sich geborgen, weil man einen Freund neben sich weiß ...«
Sie sprachen jetzt nicht mehr viel, sondern gingen, in Gedanken verloren, ihr Plätzchen hinter der Tribüne auf und ab. Oben vom Dache tropfte das Wasser, der Regen rieselte eintönig, und von vorne klang das abgerissene Stimmengewirr, das den Verlauf des Rennens begleitete.
Jetzt plötzlich ein geller, hundertstimmiger Aufschrei ... ein Chaos von Rufen, Fluchen, Fragen hinterher ... ein immer wieder aufschwellender, angstvoller Lärm ... das geübte Ohr des Sportsman unterschied sofort, was das bedeutete. Das war kein »Rumpler« – nach dem beruhigt sich das Publikum sofort wieder! – das war ein Sturz, ein schwerer Sturz!
»Da ist einer gefallen!« sagte er zu Thea... »...wir wollen nach vorn!«
Wendelslohe! ... Der Name schlug ihnen sofort entgegen, als sie in die erregten Gruppen vor der Barriere traten ... Wendelslohe! überall... »Zu kurz is der Schinder gesprungen ...« brummte ein heiserer Baß ... und dazwischen eine näselnde Stimme: »...dieser Karlshorster Sprung ist wirklich jemeinjefährlich!«
Der Leibgardehusar von vorhin flog, sich ab und zu kampfbereit im Sattel umdrehend, wie ein langer Feuerstreifen über die Gerade und durchs Ziel. Zehn Längen dahinter der Kürassier in sausendem Galopp ... dann in kurzem Peitschenklatschen und Endgefecht um den dritten Platz die anderen Herren. Aber niemand achtete sonderlich darauf. Aller Augen waren auf die dunkle, sich rasch vergrößernde Gruppe in der Ferne gerichtet.
»Nun haben Sie's!« sagte Thea und heftete vorwurfsvoll die dunklen Augen auf den Freund.
Der zuckte die Achseln. »Ich kann doch nicht hexen!« meinte er kühl ...»...wem's bestimmt ist, der fällt!...«
Da kam im Regenrauschen der Zug quer über das Blachfeld heran. Voraus ein Schutzmann hoch zu Roß, in seinen Mantel gewickelt und mit befehlender Handbewegung die müßig sich herandrängenden Neugierigen teilend. Dann ein Trupp von Sportsmen, ein paar Zivilisten, der Trainer, ein halbes Dutzend Regimentskameraden... und dann endlich eine Bahre, von vier Männern getragen. Auf ihr ein Haufen Tücher und Decken, und darüber, im Gleichschritt der Männer schwankend, ein wächserner Kopf, den Mund wie klagend halbgeöffnet ... blutverklebtes Haar um die bleiche Stirne ...
Der Zug hatte es eilig. Ueber die Bahn, über den Tribünenrasen, am ersten Platz vorbei, nach hinten in den Pavillon, wo schon alles zur Aufnahme der Verunglückten bereitsteht.
Eine lange, bange Pause entstand.
Dann kehrte Georg, der nach hinten gegangen war, frohlockend zu Thea und dem alten Herrn zurück.
»Es ist nicht so schlimm!« rief er... »...Schlüsselbein entzwei... ein bißchen Gehirnerschütterung... sonst geht's ganz gut!«
»Also keine Lebensgefahr?«
»Nein!«
»Gott sei Dank!« sagte Thea... »...und nun schämen Sie sich gehörig!«
»Nein!« Sein hageres Gesicht verzog sich in trotzige Falten... »...ich bin doch nun mal kein Säulenheiliger, sondern ein armer Teufel! Und wenn einen da so ein grasgrünes Bürschchen über die Achsel ansieht...«
»Wir find alle drei arme Teufel!« unterbrach ihn Thea ruhig... »...und wir müssen uns daran gewöhnen, daß man uns über die Achsel ansieht! Das ist's ja gerade, daß wir uns dadurch nicht verbittern lassen dürfen! Denn mit dem Haß und dem unterdrückten Zorn machen wir unser armes Leben ja nur noch ärmer. Nein... wir müssen es geduldig ertragen und uns sagen: »Wartet nur! Wir werden schon wieder euresgleichen werden, und die Zeit wird kommen, wo ihr wieder den Hut vor uns abnehmt!...« Und nun, Papa ... wenn du beim letzten Rennen doch nichts mehr zu tun hast, wollen wir nach der Stadt zurückfahren. Ich habe argen Hunger!«
Es war recht behaglich in der kleinen, bescheidenen Weinstube. Wenig Gäste, gedämpft flackerndes Gasglühlicht, ein gewandter Kellner, der geräuschlos die Reste des Mahles abräumte.
»So gut wie bei dem Mann unter den