Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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      »So schlägt man sich nun durchs Leben, mein Kind!« sprach Herr von Hoffäcker trübselig ... »...man stapft in dieser Schlammbrühe umher, man sieht, wie unschuldige Tiere sich das Genick brechen, und muß das Geld von fremden Dummköpfen am Totalisator verspielen!« ...

      Damit näherte er sich einer der Drehtüren des Totalisators.

      »Warte nur draußen, Thea! ... Damen dürfen hier nicht hinein. Ich komme gleich wieder, sowie ich meine Aufträge ausgeführt hab' ...« Und sinnend murmelte er, in sein Notizbuch blickend, vor sich hin: »I. Rennen, 2 auf die Drei, 1 auf die Sieben, 1 auf die Acht!«

      Eben als er dem Beamten sein Ticket vorwies, stieß er auf einen kleinen, rundlichen Herrn, der nebenan aus dem Schalterraum trat.

      »Ah ...! 'Morgen, alter Baron!« sprach Herr Heinlein gönnerhaft und vertraulich, und dann leise, indem er ihn etwas beiseite zog ... »...was machen Sie denn da wieder? ... Einsätze für fremdes Geld? ... Sie wollen wohl von der Bahn verwiesen werden? ... und außerdem ... Sie wissen ... ich lieb' das nicht! Sie sind bei mir so gestellt, daß Sie's nicht nötig haben, sich nach einem solchen Nebenerwerb umzusehen ... verstanden?«

      Der alte Herr blickte hilfesuchend umher. Sein Auge fiel auf Thea, in deren Nähe sie getreten waren.

      »Ja ... allerdings ... Herr Heinlein ...« erwiderte er verwirrt ... »...wenn Sie das so meinen ... übrigens ... darf ich vorstellen ... Herr Heinlein ... meine Tochter Thea!«

      Thea neigte gleichgültig das Haupt. Der Herr mißfiel ihr.

      Der aber stand ganz verblüfft und setzte nur zögernd den schwarzen Filzhut wieder auf. Alle Wetter ja ... Wo hatte denn der Alte das Mädel aufgetrieben? Das war ja eine fabelhafte Ueberraschung.

      Und das schlimmste dabei war: Herr Heinlein fühlte sich sofort unbehaglich, verlegen, wie noch jedesmal in den paar Fällen, wo ihn der Zufall mit Damen der höheren Gesellschaft zusammengeführt hatte. Ihre Väter, ihre Gatten und ihre Brüder, die imponierten ihm nicht im geringsten! Diese Kavaliere hatte der kleine fröhliche Herr seit Jahrzehnten in allen ihren Schwächen kennen gelernt.

      Aber anders die Damen! Diese eigentümliche, liebenswürdige Kühle, diese selbstbewußte, lächelnde Ruhe des Salons, die wie ein zartes Parfüm sie umwehte, die erinnerte ihn immer, er mochte wollen oder nicht, an ein ziemlich dunkles Gewölbe mit Kaffeesäcken und Heringsfässern – und an einen jungen, blau und rotgefrorenen, von allen Seiten geknufften jungen Menschen, namens Heinlein, der dort seufzend erkannte, daß ehrlich am längsten währt, und sich nach einigem Besinnen dann für den kürzeren Weg entschied.

      Also, wie gesagt, er war verlegen. Mit Cilli und Genossinnen – den Umgangston traf er instinktiv. Aber hier ... nein ... er wandte sich lieber an den Baron.

      »Ein Hundewetter, mein lieber Hoffäcker!« sprach er, sich die Hände reibend ... »...aber was soll man machen? An der Börse ist nichts los ... die kleine Bluffpartie am Abend noch in weiter Ferne ... 'n bißchen Aufregung braucht der Mensch ... na ... und da ...« er lächelte Thea verbindlich an ... »...da hab' ich nu eben so'n paar Kassenscheine auf Kirawedda gesetzt.« Thea schwieg.

      »Was wollen Sie, Herr Heinlein?« seufzte ihr Vater ... »Sie sind freiwillig hier draußen. Aber wenn ein alter Mann wie ich sich hier die Gicht holen muß ...«

      Herr Heinlein reckte sich auf, um den ihn hoch überragenden alten Herrn vertraulich auf die Schulter zu klopfen. »Brauchen Sie nicht mehr, Barönchen! ... Sie bekommen eine jüngere Kraft zur Seite ... eine Art Adjutanten ... hähä ...«

      »Ja ... und ich?« fragte Herr von Hoffäcker ängstlich.

      Sein kleiner Brotherr warf einen verstohlenen Blick auf Thea. »Sie bleiben natürlich, Bester! ... nur die grobe Arbeit wird Ihnen abgenommen. Ich hab' gestern durch Zufall einen frisch geschwenkten Leutnant getroffen ... Sie kennen jedenfalls auch seinen Namen ... Textor von den 22. Husaren ... leidlicher Herrenreiter ... überhaupt flotter Bengel ... Das ist unser Mann ... übrigens ... da kommt er eben angestiefelt ...«

      In der Tat, ... da bummelte der kleine Sportsman mißmutig, den schwarzen Hut ins Genick zurückgeschoben, die Hände tief in den Taschen des kurzen Paletots, mit aufgekrämpten Beinkleidern seines Weges und blieb dann verblüfft vor der Gruppe stehen.

      Herr Heinlein stellte mit der ganzen scherzenden Eleganz des Weltmanns vor:

      »Mein gnädiges Fräulein ... ich präsentiere Ihnen hier Herrn Leutnant a. D. Textor, von dessen Heldentaten auf dem Turf Sie gewiß schon gehört haben. Herr Textor ... Herr Baron von Hoffäcker! ... Mögen sich die beiden Herren gut miteinander vertragen!«

      Die beiden Redaktionskollegen des »Paprika« sahen sich an, lüfteten die Hüte und reichten sich stumm die Hand.

      »Und nun ...« Herr Heinlein kam nicht dazu, weiterzusprechen. Ein schrilles Glockenzeichen hallte über den Platz, und etwa zweihundert Schritt vor ihnen zog in feierlichem, stelzendem Gänsemarsch ein halbes Dutzend Vollblüter, von Reitburschen geführt und in dem winzigen Rennsattel bunt gekleidete, lauernd zusammengekauerte Zwerge tragend, quer hinüber zur Bahn.

      »Donnerwetter ...« rief, Theas Gegenwart vergessend, Heinlein ... »sie kantern auf! ... da muh ich doch ...«

      Und eilig lief er mit den andern, spärlich zerstreuten Turfbesuchern über den feuchten Kies um die Tribüne herum nach vorn.

      Der greise Freiherr blickte ihm finster nach. »Verfluchter Sklavenhalter!« brummte er halblaut vor sich hin. Dann besann er sich plötzlich. »Ja so ... meine Einsätze! ... Das ist höchste Zeit!«

      Durch die Drehtüre, die der Beamte schob, stürmte der alte Herr mit langen, zitterigen Schritten, unterwegs noch einmal seine Nummern und Zahlen murmelnd, auf die Schalterreihen zu.

      Georg und Thea blieben allein.

      Es war fast kein Mensch ringsum zu sehen. Nur ein Dutzend Beamte in den Totalisatorbuden, ein paar Türhüter am Eingang, einige Kellner und Mädchen im Innern des dunklen Tribünenrestaurants.

      Alles andere hatte sich nach vorne gezogen – auch der Freiherr lief jetzt, ein Bündel Tickets in der Westentasche bergend, mit hochrotem Gesicht an ihnen vorbei zur Tribüne, von der in kurzen Pausen vereinzelte Flüche, Rufe und Gelächter das abermalige Mißlingen eines Starts verkündeten.

      Und um sie her rauschte und rieselte eintönig der Regen über das weite, weite Feld.

      Sie standen schweigend beisammen. Gleichsam beschämt, wie zwei Leute, die sich gegenseitig auf einer Lüge ertappt haben. Und eben darum doch wieder Bundesgenossen.

      Gestern im Coupé – er als der feudale Leutnant Textor und sie die Tochter des reichen Kammerherrn... und heute ... ja, da standen sie und mußten die Scherze eines Heinlein über sich ergehen lassen...

      Wie blaß sie aussah! ... Georg schaute sie mitleidig an ... die letzten sechsunddreißig Stunden mochten das arme Mädel furchtbar mitgenommen haben.

      Er mußte Gewißheit haben!

      »Werden Sie Berlin bald wieder verlassen, gnädiges Fräulein?« fragte er leise und stockend.

      Sie schüttelte den Kopf, daß die feuchten, dunklen Locken flogen und starrte auf den Boden, in dem ihre Stiefelspitze allerhand Furchen und Rinnen zog.

      »Ich bleibe hier. Bei Papa. Er hat mich nötig!...«

      Gott sei Dank! Es war Georg, als löse sich eine schwere Last von seiner Brust. Sie blieb hier! Er würde sie täglich sehen!

      »...Da Sie ja jetzt mit Papa das Blatt schreiben sollen...« sie hob den Blick nicht von der feuchten Erde ... »so haben Sie ja gewiß schon manches erfahren ... oder werden es erfahren...«

      »Ich weiß alles, mein gnädiges Fräulein!«

      Sie hob rasch den Kopf. Fragendes Erstaunen lag in ihren schwermütigen Augen.

      Jetzt war die Reihe an dem früheren Husaren, sich in den Anblick des feuchten Kieses zu vertiefen.

      »Ich


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