Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


Скачать книгу
soll ja Klatsch bringen ... Hofklatsch ... Kulissenklatsch ... Stadtklatsch ... allen Klatsch ... und alles eben ordentlich mit Paprika ... Der Name ist gut ... meine Erfindung ... aber wenn da der Redakteur schon ein Jahr in stiller Zurückgezogenheit zugebracht hat ... das schadet doch ein bißchen beim Publikum. Ein Jahr hat der alte Baron nämlich gesessen. Wie er – noch als ganz feudaler Kammerherr, was er natürlich längst nicht mehr ist – 'mal einen Wechsel zu unterschreiben hatte, da dachte er plötzlich, er heiße nicht mehr Freiherr von Hoffäcker, sondern ...«

      Georg fuhr auf... »...Hoffäcker ... sagen Sie ...?«

      »Ja! ... Feiner Name! ... Nicht? Und was nun das Schlimmste ist: der alte Herr und sein Fläschchen sind immer beisammen. Manchmal ist er 'nen halben und ganzen Tag überhaupt nicht zu sprechen! Nu frag' ich Sie selbst ...«

      »Hat er eine Tochter?«

      »Ja. Ich glaube. Aber nicht hier. Irgendwo in der Provinz bei Verwandten ...«

      Arme Thea! Jetzt wurde Georg die Szene gestern früh im Eisenbahncoupé klar, und er begriff, warum der knöcherne Regierungsrat das junge Mädchen so traurig angesehen und so seltsam sein »arme Thea!« gesagt hatte ...

      »Es tut mir leid, meine Herren ...« Cilli trat, die hübsche Lulu am Arm wie eine Puppe mit sich schleifend, in das Zimmer ... »aber ich muß Adieu sagen. Die Kunst ruft. In einer Stunde muß ich vor einem Dutzend Onkels aus der Provinz und einem Schock Freibilletts an diesem schönen Sommerabend den Prinzen Orlofsky aus der »Fledermaus« verzapfen. Kommen Sie vielleicht auch ins Theater, Herr Leutnant?«

      »Für heute, gnädiges Fräulein, muß ich um Urlaub bitten!« Der Ex-Husar erhob sich, küßte den beiden Mädchen und Mama Spiegel, die ihm mechanisch ein fettiges »Kommen Se bald wieder!« mit auf den Weg gab, in tadelloser Höflichkeit die Hand, verbeugte sich vor den Catilinariern im Speiseraum und stieg mit wirrem Kopf die Treppe hinunter.

      Heinlein war ihm gefolgt.

      »Soll ich Sie 'ne Strecke mitnehmen?« fragte er, auf sein Coupé deutend, und setzte, da Georg verneinte, heiteren Tones hinzu: »Also überlegen Sie sich den Fall ... zum Donnerwetter ... Mann ... so billig wie Brombeeren sind die Brotstellen hier in Berlin nicht. Das werden Sie später schon noch zu Ihrem Schaden erkennen lernen!«

      »Sie sollen den Baron ja nicht verdrängen!« rief er ihm noch aus dem Wagen zu ... »...Sie sollen mit ihm zusammen arbeiten! ... Sagen Sie mir morgen nachmittag auf dem Rennen in Karlshorst Bescheid! ... Mahlzeit, Herr Textor!«

      Die Pferde zogen an und entführten den heiteren, kleinen Herrn. Weithin klang das Donnern der Hufe durch die stille Straße, und zeichneten sich die majestätischen Gestalten des Kutschers und des Dieners von dem grauen Abendhimmel ab.

      Er sollte mit dem Baron zusammen arbeiten! ... Georg schlenderte in tiefem Sinnen durch den Tiergarten dahin. Dann würde er auch Thea wiedersehen! ... Jeden Tag wahrscheinlich!

      Und was war damit gewonnen?

      Gewiß. Sie tat ihm leid. Aber um des armen Mädels willen konnte er doch nicht eine solche Beschäftigung übernehmen, in die Dienste eines Mannes treten, dem er wahrscheinlich einen großen Teil seines Unglücks verdankte.

      Aber andererseits ... Es gibt ein Sprichwort: »Halte, was du hast!« Und hier in Berlin etwas zu haben –, die Erkenntnis dämmerte seinem Kleinmut immer mehr auf –, das war ein schwereres Stück Arbeit, als sich ein lebenslustiger Husarenleutnant träumen läßt.

      Und Thea ... er ärgerte sich über seine Gedanken ... immer wieder Thea! Aber wie unglücklich mußte jetzt die arme Kleine sein, wie bitterlich enttäuscht, die heute morgen so übermütig und stolz auf ihrer Flucht nach Berlin ihm gegenübergesessen hatte.

      Jetzt wußte sie wohl schon die ganze Wahrheit oder erfuhr sie in den nächsten Stunden.

      Und dann ... dann stand sie ratlos und verzweifelt da. Was sollte so ein armes kleines Mädchen denn machen? Sie konnte in Berlin zugrunde gehen, sie mußte zugrunde gehen, wenn man ihr nicht half.

      »Wenn ich diese Stellung annehme ...« entschied Georg bei sich ... »...dann geschieht es nur um dieser kleinen, lieben Thea willen. Die werd' ich denn doch vor Heinlein und Konsorten retten!«

      Dabei mußte er selbst trotz seines Trübsinns beinahe lachen. Er hatte es nötig ... er, dem selbst das Wasser schon bis zur Kehle ging, sich auch noch um andere Menschen zu kümmern!

      In der Zeit seines Glücks hatte er das auch nie getan, sondern gleichgültig, als eleganter Lebemann, mit ebensolchen Genossen die Dinge an sich vorübergehen lassen. Sentimentalität, leidenschaftliche Aufwallungen, unbestimmte Sehnsucht und melancholische Nächstenliebe verboten sich in diesem Kreise kühler Gigerln von selbst. Denn sie machten lächerlich.

      Ja, gewiß ... er hatte als ein recht kalter, verderbter Bengel in den Tag hinein gelebt ... Georg Textor sah das seufzend ein. Aber wie kam er jetzt dazu, für andere zu empfinden? ... Jetzt, wo Not und Sorge auf ihm lasteten und ihn eigentlich doppelt egoistisch machen mußten?

      Statt dessen ein melancholischer Drang, sich an andere anzuschließen, anderen Gutes zu tun!

      Der kleine Sportsman begriff das nicht. Er wußte nur, daß das blasse, träumerische Gesicht, von dem er diesen Morgen im Getümmel des Bahnhofs Abschied genommen, ihm durchaus nicht den gewohnten und flüchtigen Sinnenkitzel erregte, sondern eine tiefe, mitleidige Zärtlichkeit, in der er sich selbst als ein weit besserer und anständigerer Mensch vorkam ...

      »Merkwürdig!« dachte er bei sich ... »aber wenn das die erste Wirkung der Not ist, daß man andere Menschen lieb bekommt und ihnen helfen will, dann kann ja noch manches gut werden!«

      VIII.

       Inhaltsverzeichnis

      Regen ... Regen ... endlos triefender, rauschender Regen. Grauer Himmel über nassem Asphalt ... ein Meer von grämlichen Regenschirmen auf den schmutzigen Straßen, Kälte und Feuchtigkeit überall ... Thea wäre am liebsten zu Hause geblieben, als Herr von Hoffäcker sich am nächsten Tage zum Besuch des Rennens rüstete, den grauen Zylinder ausbürstete, einen Bleistift anspitzte und ein leeres Opernglas-Futteral umhing.

      Aber sie wollte ihn nicht allein lassen ... keine Stunde mehr ... und schritt fröstelnd an seinem Arm und unter seinen Schirm sich duckend, zum Bahnhof Friedrichstraße.

      Heute fehlte der übliche Faustkampf um die Coupéplätze. Die Extrazüge fuhren halbleer aus der riesigen, schiefgewölbten Halle weiter in die graue Welt hinaus. Selbst in den prunkvoll ganz vorne rollenden Sonderwagen des Union-Klubs schimmerten nur spärliche Uniformen und braungelbe Paletots und ganz vereinzelte Damenhüte.

      Bei dem Hundewetter ging nur hinaus, wer mußte, ein fragwürdiges Häuflein, das schläfrig durch die regenblinden Scheiben auf die vorbeiziehenden Kartoffeläcker starrte. Freilich, an einem solchen Tage konnte man auch einen großen Coup machen! Der glatte, aufgeweichte Boden veränderte alle Chancen. Die leichtgewichteten Gäule hatten Oberwasser – es konnte eine ganze Reihe von Stürzen geben und unabsehbare Odds, wenn man den rechten Außenseiter traf.

      Trübselig wateten die Gruppen mit hochgeklappten Rockkragen und gegen den Wind gedrehten Schirmen vom Bahnhof über den gelben Kiesweg durch das kümmerliche Stangenholz zum Rennplatz. Das helle Schmettern der Musik klang heute wie Hohn über die weite Fläche mit ihren hochragenden Tribünen, den Hürden und groben Hindernissen, mit ihren triefenden Busch- und Baumgruppen, dem dampfenden Wäldchen und dem künstlichen See, in dem die Ringe der Regentropfen durcheinanderzitterten.

      Die paar hundert Menschen verloren sich fast auf diesem großen, unermüdlich von neuen Schauern überrieselten Raum. Da und dort zeigte sich ein Jockey, in seinem bunten Dreß so seltsam versprengt inmitten dieser farblosen Welt wie ein Kolibri auf der Lüneburger Heide, das eintönige Grau der Offiziersmäntel leuchtete in Gruppen auf, und als schwarze, braune und gelbe Punkte wanderte das Zivil fluchend und frierend über die weiten Rasenplätze und langen Kieswege


Скачать книгу