Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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erzählt!«

      »Sehr freundlich!« Ein bitteres Lächeln umspielte die glattrasierten Lippen des Sportsmans ... »und glauben Sie nun wirklich, daß jemand, der mit Schimpf und Schande aus seinem Beruf gestoßen ist, daß der zum Sittenrichter über andere taugt? ... Ich glaub's nicht! Ich urteile über niemanden mehr ab, weder über Ihren Herrn Vater noch sonst wen!«

      Thea nickte, schmerzlich die roten Lippen zusammenpressend, und beide schwiegen. Endlos rauschte und rieselte um sie der Regen und zuweilen klang das ferne Stöhnen des Windes über die Blachfelder herüber.

      »Das ist alles so traurig!« sagte Thea endlich und schaute sehnsüchtig vor sich in die Weite ... »so ganz anders als man denkt und träumt. Mir ist, als wäre mindestens ein Jahr vergangen, seit wir gestern zusammen nach Berlin gefahren sind.«

      »Ja ... das ist nun mal das Menschenleben!« meinte der kleine Herrenreiter bedrückt.

      Das schöne Mädchen richtete sich auf und ballte in Ungeduld und Zorn die Hände ... »Wenn das Leben so ist,« sprach sie rasch und finster ... »so ganz grau und häßlich ... dann hat es doch wirklich keinen Zweck! Dann ist es schon vernünftiger, man macht die Ofenklappe zu und legt sich schlafen ... oder kocht sich Schwefelhölzchen, wie's die verliebten Dienstmädchen tun ...«

      Georg erschrak. »Aber mein liebes Fräulein!« er versuchte zu lächeln ... »...aus Ihrem Munde solche Worte ...«

      »Haben Sie noch nie daran gedacht?«

      Darauf konnte er nichts erwidern, sondern sah zur Seite, von wo eben durch den Wind und Regen wieder ein Glockenzeichen tönte. »Es geht los!« rief er ... »das hat mit dem Start diesmal lang' gedauert ...«

      Sie blieb ruhig stehen. »Ach ... lassen Sie doch nur die Pferde laufen ... das kommt mir heute alles so töricht vor. Ich bin ja so tieftraurig ...«

      »Ich auch!« sprach er ... »...und bei mir kommt noch das schlechte Gewissen dazu! ... All meine dummen Streiche ... zählen kann man sie überhaupt nicht. Eigentlich haben Sie ja ganz recht: Wer mir einen Groschenstrick und einen Kleiderhaken zum Aufhängen schenkt, der tut ein gutes Werk!«

      Sie mußte unwillkürlich lächeln. »Wollen Sie denn nicht lieber in sich gehen und sich bessern?« fragte sie.

      Der Sportsman nickte ernst und gewichtig. »Das will ich!« sprach er ... »...nicht für mich selbst! Das wäre zu langweilig ... sondern ... hauptsächlich ... um auch andern helfen zu können!«

      »Ja... wem denn?«

      Dir ... du armes, süßes kleines Mädel! ... Nein ... das konnte er doch wohl noch nicht sagen ... Er stockte ... »Nun ... Ihrem Herrn Vater zum Beispiel ...« meinte er ... »...dem könnte ich ja gleich ganz nützlich sein ...«

      Da ging zum erstenmal ein heller Schimmer der Freude über ihr blasses Gesicht. Sie reichte ihm die Hand.

      »Wollen Sie das wirklich, Herr Leut ... Herr Textor!«

      »Aber gewiß ... das tu ich! Darauf geb' ich Ihnen mein Wort ... ja so ... das hab' ich eigentlich nicht mehr ...«

      »Ich nehm's schon!« sagte sie schnell ... »...und ich dank' Ihnen von Herzen! Der arme, gute, alte Papa! ... Er hat ja keinen Freund mehr. Alle hacken auf ihn los ... Alle ...«

      »Jetzt wird das anders!« rief der Ex-Husar eifrig.

      »Ich weiß ja ...« fuhr sie fort ... »...es war nicht recht, was er getan hat ... und er ist so schwach ...«

      »Schadet nichts! Sie stützen ihn rechts!«

      »Und Sie links!« sagte Thea hoffnungsvoll.

      »Und dann muß die Geschichte gehen!«

      Ein freundliches, sorgloses Lächeln spielte dabei um seine Lippen. Sie schaute ihn an und lachte zum erstenmal wieder noch halb unter Tränen wie ein Kind.

      »Wie tapfer Sie aussehen!« sprach sie herzlich.

      Der zähe kleine Herrenreiter reckte sich unternehmend in die Höhe. »Bin ich auch, mein gnädiges Fräulein! Courage gehört zu den schönen Dingen, die einem eine hohe Obrigkeit trotz aller Anstrengungen nicht abknöpfen kann. Und ich besitz' 'nen ganzen Haufen davon!«

      »Ich wollt', ich hätt' auch soviel!« Ihr Gesicht wurde wieder betrübt.

      Der Sportsman tröstete sie, und es war ihm wohlig dabei zumut, als er sah, mit wie gläubigen Augen sie zu ihm aufschaute. »Ich geb' Ihnen davon ab! ... soviel Sie haben wollen!«

      »Ach ja!« sagte sie dankbar ... »...ich brauch's ... wegen Papa ... sonst kann ich ihm nicht helfen ...«

      »Wir helfen ihm beide!« entschied Georg gewichtig ... »Der alte Herr wird einfach von uns untergefaßt und mit sanftem Zwang auf den Pfad der Tugend geleitet! Und dazu ...« ... ein leichtsinniger Wagemut verklärte sein hageres Gesicht ... »dazu singen wir, wie's in der Operette heißt:

      Trotz allem Pech ein lustig Lied!

       Drum, Schicksal, schlag' nur zu!

       Wir wollen sehn, wer eher müd' ...«

      » ... Ich oder du!« ergänzte sie hell auflachend. »Das hab' ich in Posen auch gehört!«

      Die beiden sahen sich fröhlich an, wie zwei gute Kameraden.

      »Das ist nett!« sagte Thea ... »...daß wir uns nun in dieser weiten Welt doch wieder getroffen haben! Nun fühle ich mich gar nicht mehr so allein!«

      »Ich auch nicht!« sprach er und beide schwiegen. Der Regen rauschte um sie, von ferne stöhnte der Wind und ein seltsames, unerklärliches Bangen durchzog seine Brust.

      Von der Tribüne her ertönte verworrener Lärm und ein Glockenzeichen.

      »Kommen Sie!« Thea vermied es, ihn anzuschauen ... »wir wollen nach vorn gehen.«

      Dort war das Rennen gerade vorüber. Ein hagerer Jockey ritt an ihnen vorbei im Schritt auf dampfendem Roß durch den Regen. Vereinzelte Bravos begleiteten ihn auf seinem Weg zur Wage.

      Aber die Mehrzahl der Besucher hatte sich nach vorn an die Barriere gedrängt. Dicht davor stand mitten auf der Rennbahn ein regloses Pferd. Sein rechtes Vorderbein war gebrochen, so daß der Huf und ein Stück des Sprunggelenks rechtwinklig abgeknickt auf dem Grase lag, nur durch das Fell mit dem Knochenende verbunden, auf dem das Bein ruhte.

      Ein paar Herren standen daneben. Aus der Ferne kam ein Mann mit einer langen Flinte.

      In dem Publikum herrschte ängstliche Aufregung. Namentlich unter den paar anwesenden Damen gebürdete sich die eine und andere ganz hysterisch, ließ sich auf einen Stuhl heben, sprang mit einem Aufschrei wieder herunter, als der Mann mit dem Gewehr hinter das Pferd trat, bedeckte die Augen mit den Händen und schielte doch wieder zwischen den Fingern gierig nach der Szene.

      Jetzt krachte der Schuß. Der Gaul schwankte, fiel plump vornüber und begann sich schwerfällig hin und her zu wälzen, während eine dunkle Blutlache um seinen Kopf sich rasch vergrößerte.

      Ein paar Minuten dauerte sein Todeskampf. Dann schleifte man den Kadaver etwas abseits, um ihn da, mit einem Tuch verhüllt, bis zum Schluß der Rennen liegen zu lassen.

      »Nun ist's vorbei!« sagte Georg zu seiner Begleiterin, die sich umgedreht hatte, um die Hinrichtung nicht zu sehen ... »...und ein schlechtes Hindernispferd weniger auf der Welt!«

      »Ach ... das arme Tier!«

      »Gott! ... Der Gaul hat's überstanden!« meinte der Husar kaltblütig ... »...wenigstens kann ihn jetzt kein Mensch mehr piesacken! ... Eigentlich müßte man von Staats wegen solch einen Kerl mit 'ner langen Flinte anstellen, der herumgeht und alle unnützen Individuen totschießt ... nicht die Pferde ... mein' ich ... sondern die Menschen!«

      Sie schaute umher: »Da hätte er wohl hier viel zu tun!«

      »Gewiß! Wo er irgend 'nen Menschen mit 'nem Knax sieht... irgend 'ne verfehlte Existenz: »Mein Herr ... bitte, einen Augenblick stillzuhalten ... und


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