Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.haben Sie keine Furcht, daß er auch 'mal zu Ihnen kommt?«
»Nein! Ich zeig' ihm dann den Herrn Heinlein! Dann rennt er und ladet doppelt, um ja nicht zu fehlen!«
Sie lachten beide, während sie, den Freiherrn suchend, über den zweiten Platz dahinschritten.
Da saß er, würdevoll wie immer, eine Tasse dampfenden Kaffee vor sich, in dem Restaurant des zweiten Ranges. Drei, vier zwerghafte Gesellen mit glattrasierten Gesichtern um ihn her.
»Jockeys!« sagte Georg stirnrunzelnd ... »...ich mag mich nicht unter die Reitknechte setzen!«
Aber dann fiel es ihm ein, daß das ja nun zu seinem Beruf gehörte! Er ließ sich also etwas abseits von dem Tisch nieder, während Thea einen Stuhl herbeizog und fast hinter dem alten Herrn Platz nahm, der sie in seinem eifrigen Gespräch gar nicht bemerkte.
Die Professionals blinzelten wohl neugierig auf sie hin, und es ärgerte den Herrenreiter, ihre schöne, vornehme Gestalt den Blicken dieser vulgären, marktschreierisch gekleideten Gnomen ausgesetzt zu sehen, denen der bunte Seidendreß zwischen den Knöpfen des Paletots durchschimmerte und farbige Kappen die faltigen Gesichter überschatteten.
Angenehm war es immerhin, daß ihn niemand der Leute kannte! Er hatte seine Triumphe hauptsächlich auf den östlichen Rennplätzen gefeiert und war in Berlin ein seltener Gast gewesen. Und die Offiziere und Gentlemen, von denen sicherlich auch hier auf der Rennbahn mancher wußte, wer er war, die verirrten sich nicht auf den zweiten Platz und in sein plebejisches Bier- und Kaffee-Restaurant.
Die Jockeys nahmen denn von ihm auch weiter gar keine Notiz. Es herrschte ein starkes Gedränge an den paar Tischen, die in der windgeschützten Ecke standen, und alles saß kunterbunt durcheinander, Stalleute, Hoboisten der konzertierenden Militär-Kapellen, Zigarrenhändler, Barbierherren und andere zweifelhafte Turfagenten, Offiziersburschen, sogar ein paar kleinere Buchmacher, die ihren Lauerplatz an der schmalen Tribünenwand des Regens wegen verlassen ... und mitten darunter sie – das schlanke, aristokratische Geschöpf in dieser rüden Umgebung.
Unwillkürlich suchte er sie mit den Augen. Ihre Blicke trafen sich ... stumm und lang. Sie sah traurig aus. Ein bitterer Zug spielte um ihren festgeschlossenen Mund.
Er merkte wohl, warum! Es war kein Zweifel, daß der Freiherr, der ja selbst von Pferden nicht viel mehr als ein anderer vornehmer Mann verstand, in diesem Kreise von Professionals eine Art komische Figur war. Ja ... vielleicht gab er sich absichtlich so, um zum Lohn hinter einige Stallgeheimnisse zu kommen. Jedenfalls erzählte er mit trockener Würde und unerschütterlichem Ernst allerhand ungereimtes Zeug aus Hof- und Kavalierkreisen und schien es gar nicht zu bemerken, daß ein paar rotbäckige Reitburschen an der Türe prusteten und die Jockeys am Tisch sich mit medisanten Galgenphysiognomien zuzwinkerten.
Georg konnte das nicht mehr vertragen. Er stand auf und ging hinaus, auf den ersten Platz zurück.
»Mahlzeit, Herr Leutnant!« redete ihn dort ein hagerer, gelblicher Mensch an und lüftete familiär den Hut... »...Platzwette ... was meinen Sie? ... Ich mach's billiger als der Totalisator. Von fünf Märkern aufwärts ... weil Sie's sind!«
Der Herrenreiter erkannte ihn. Es war der von Lenski, den er gestern bei Cilli getroffen. »Nee ... danke!« erwiderte er und griff im Weitergehen flüchtig an den Hutrand. Da sah er Heinlein auf sich zukommen.
Der kleine Herr schaute nicht so rosig aus wie sonst. »Ewiges Pech ...« brummte er Textor zu ... »...für heut' hab' ich genug! Ich fahr' nach Haus! Erwarten Sie mich morgen bei dem Baron! Ich komm' so gegen zwölf bei ihm vor ... muß 'mal visitieren! Ich glaube, der alte Gauner hat sich da in aller Stille ein komplettes Wettbureau eingerichtet, statt den »Paprika« zu redigieren ...« er blieb stehen und faßte Georg spielend am Paletotknopf ... »sagen Sie mal, Verehrtester: ist das nun wirklich seine Tochter?«
»Gewiß!«
»Kennen Sie sie von früher?«
»Ich bin gestern im selben Coupé mit ihr nach Berlin gefahren!«
Herr Heinlein sah ihn einen Augenblick mißtrauisch au. »Süperbes Weib!« sagte er dann, während Georg nur mit Mühe der Versuchung widerstand, ihm eine Ohrfeige in sein glattes, rundes Gesicht zu versetzen – ... »...schade! ... schade! ... Heute kann man nu jedenfalls gar nicht ran ... der Baron sitzt mit ihr unter allerhand Volks auf dem zweiten Platz. Da darf ein anständiger Mensch wie ich sich gar nicht zeigen. Na ... Morjen, mein lieber Textor! ...«
Und herablassend grüßend schritt er dem Ausgang zu, wo das Glascoupé seiner harrte.
Georg sah ihm mit dumpfer Wut nach. Am liebsten hätte er diesem arroganten Halunken den ganzen Bettel vor die Füße geworfen. Aber Thea ... nein ... das ging nicht! Er mußte ausharren ... um ihretwillen.
Da hörte er leichte Schritte. Sie stand neben ihm.
»Das ist eine abscheuliche Gesellschaft da drinnen,« klagte sie ... »...und ein Englisch reden die widerlichen kleinen Menschen, das ich gar nicht versteh' ... und Papa ist auch so ... so seltsam ...«
»Dafür ist Herr Heinlein weg!« tröstete sie Georg.
»Oh ... wirklich?« Das schien sie zu freuen ... »...ist das einmal ein unangenehmer Mensch!«
»Und dabei doch unser Brotherr!« sprach der kleine Sportsman traurig ... »...ohne ihn müssen wir verhungern!«
»Schrecklich!« sagte Thea, während sie, als ob sich das von selbst verstände, wieder dem Eckchen hinter der Tribüne zuschritten, das jetzt, nach dem ersten Glockenzeichen des neuen Rennens, zu veröden begann ... aber was soll man machen? ... Ich erinnere mich: in Posen kam mein Onkel, der Major, einmal in ganz greulicher Stimmung nach Hause geritten. Er sei beim Manöver in den Wurstkessel hineingeraten!... Wie das zuging, hab' ich nicht ganz begriffen. Aber ich glaube, wir stecken jetzt auch in so 'nem Wurstkessel drin! ...«
».. Papa wenigstens!« plauderte sie weiter und ging vertrauensvoll neben dem neuen Freunde her...»...ich bin ja so glücklich, daß Sie mir dabei helfen wollen! Vor allem muß er das Trinken lassen!... Das ist gar nichts für einen alten Herrn ... und dann überhaupt solide und sparsam werden und hübsch seine Ausgaben aufschreiben ... denn wissen Sie, daß wir gestern für zwanzig Mark zu Mittag gegessen haben? ... ist das nicht sündhaft? ... und wenn möglich, sollte man es so einrichten, daß nicht mehr alle diese ungeschliffenen Menschen zu ihm auf die Stube kommen und ihm Geld zum Rennen geben! Viel schaut dabei doch nicht heraus ... das kann man schon irgendwo anders anbringen! Denn ... sehen Sie ... einen gewissen Komfort muß Papa doch haben ... ein alter Herr wie er ... den müssen wir ihm verschaffen!«
Da ... eben lief der greise, puterrote Freiherr an Ihnen vorbei. Er winkte ihnen mit der Hand flüchtig zu. Sein Gesicht war verdrießlich und aufgeregt, während er nach vorn eilte.
Thea wandte den Kopf etwas zur Seite. »Eigentlich ...« sagte sie stockend ... »...eigentlich ist es ja ganz unglaublich, daß ich Ihnen das zumute, sich für uns fremde Menschen zu interessieren oder gar uns zu helfen. Sie haben gewiß genug mit sich selbst zu tun!«
Er wagte es, ihre Hand zu ergreifen, und fühlte mit Freude, daß sie nur zögernd ihre Fingerspitzen daraus löste.
»Nein, mein Fräulein!« sprach er vergnügt ... »...um mich selbst kümmere ich mich nicht! Ich hätte mich vorgestern abend auf allgemeines Verlangen totschießen sollen! Da ich aber eine dumpfe Empfindung hatte, als sei ich vorläufig keinen Schuß Pulver wert, so unterließ ich's und bin jetzt sehr froh darüber.«
»Ja ... ich auch!« sagte The«.
»Denn nun bin ich eben noch da!« fuhr Georg eifrig fort ... »...und sehe, daß ich noch zu etwas auf der Welt nützlich sein kan. Das ist ein sehr angenehmes Gefühl, wenn man mal auch was für andere tut und nicht nur immer bei Sekt und Zigaretten sich selber pflegt. Man verdient's ja gar nicht. Und andere, die alles verdienten, die man auf den Händen tragen sollte, die haben's nicht! Ach ... es ist eine verkehrte Welt!«
Sie wich seinem Blicke aus. »Wenn Sie mich damit meinen ...«