Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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... sie mühen sich vom Morgen bis in die Nacht, und sind froh, wenn sie das tägliche Brot haben. Meine jungen Leute sprechen vier, fünf Sprachen, sie haben sich in jahrelanger Arbeit, auf Reisen und im Kontor auf ihren Lebensberuf vorbereitet und danken ihrem Schöpfer, wenn sie so weit sind, daß sie mit dreißig Jahren heiraten und sich ein bescheidenes eigenes Heim gründen können. Wenn ich jetzt auch nur die Stelle eines Ofenheizers hier ausschreibe, so melden sich Hunderte von Arbeitslosen und bestürmen meinen Vertreter mit Bitten, und für jede freigewordene Kommisstelle laufen die Offerten in einer Zahl und unter Bedingungen ein, die dem Bewerber gerade noch das blanke Leben lassen. Alles ist überfüllt. Ueberall herrscht ein unerbittlicher Kampf ums Dasein, und nur das ernsteste Wollen und reifste Können führt zum Ziel. Und nun kommen Sie, ein entlassener Leutnant ohne Geld, ohne Kenntnisse und – verzeihen Sie es mir – ohne starken sittlichen Halt, und glauben, en passant, Millionär zu werden ...«

      Das war wahr ... entsetzlich wahr! Ein tödliches Grauen vor der Zukunft stieg jählings in Georg Textor auf.

      Aber zugleich auch wieder der Trotz.

      »Und doch,« sagte er schweratmend ... »...gibt es Leute ... vom Rennplatz her kenne ich ihre Namen ... die ziemlich genau in meiner Lage waren und doch aus dem Nichts heraus gutsituierte Männer geworden sind ...«

      »Es mag solche geben!« erwiderte der Bankier gleichgültig ... »...ich kenne sie nicht, und wenn ich sie kennte, würde ich ihren Gruß nicht erwidern. Denn sie können ihr Geld nicht auf achtbare Weise erworben haben.«

      »Aeußerlich sehen sie jedenfalls ganz anständig aus!«

      »Jawohl« ... der alte Herr sah ihn ernst an ... »In Berlin wie in jeder Weltstadt haben wir eine wirkliche Halbwelt ... das, was der Franzose darunter versteht. Talmi-Existenzen auf der Grenze zwischen Salon und Zuchthaus ... Freibeuter der Gesellschaft, die vom Gentleman den Rock, vom Industrie-Ritter die Gesinnung borgen ... Leute, die wie versinkende Schwimmer sich krampfhaft an jedes Rettungsmittel klammern und endlich doch ausnahmslos zugrunde gehen. Nach Ihnen, wie nach jeder verkrachten Existenz, streckt diese Halbwelt ihre Fänge aus. Und sind Sie einmal darinnen ... nun ... wenn Sie mir schreiben ... das Passagegeld nach Amerika steht jederzeit zu Ihrer Verfügung!«

      »Ich danke sehr, Herr Geheimrat!«

      Der Sportsman erhob sich mit tadelloser Verbeugung und schritt hinaus...

      Recht hatte er ja ... Recht in allem, was er sagte – der fuchsschlaue, eisig kühle alte Herr da drinnen.

      Er war ein versinkender Schwimmer ... jetzt begriff Georg es selbst. Er konnte nichts, er hatte nichts ... in wenigen Wochen stand er vor dem Sein oder Nichtsein!

      Und dann sich totschießen, nachdem man schmählich mit seinem prahlenden Hohne Schiffbruch gelitten ... nein ... dann gerade nicht!

      Er mußte durchkommen! Er hatte die Empfindung, daß ihm nur die ersten Tritte und Griffe zum Aufwärtsklettern fehlten. Dann würde es schon weiter gehen.

      Aber diese Tritte hießen eben: Wissen ... Geld ... und ehrlicher Name! ... drei für ihn unerreichbare Dinge ...

      In dumpfer Verzweiflung schlenderte er weiter und weiter. »Wie wird das werden?« ging es ihm immer wieder durch den Kopf.

      Ach ... er wollte jetzt nicht mehr daran denken. Morgen war auch ein Tag, und wenn dann die Sonne schien, gestaltete sich überhaupt alles weit besser. Heute wollte er anständig zu Mittag essen und dann ins Theater ... irgendwohin, wo es lustig zuging ... mit Gesang und Tanz und hübschen Mädchen.

      An einer Litfaßsäule sah er nach den Zetteln der Operettenbühnen. Sein Blick blieb an einem Namen haften.

      Cilli Spiegel! Wie kam denn die nach Berlin?

      Er lächelte still vor sich hin. Er hatte Cilli wohl gekannt, als vor drei Jahren zur schönen Sommerszeit eine wandernde Operettentruppe auf ein Paar Wochen das kleine Garnisonstädtchen heimsuchte.

      Recht gut hatte er sie gekannt.

      Ein nettes Mädel! Nur ein bißchen Größenwahn hatte sie damals ... ihr drittes Wort war »Berlin« und »Karrieremachen«, und dabei konnte sie ganz grimmig aussehen und den sonst so schmachtenden Mund und das ganze rotbäckige Sündergesichtchen in finstere, entschlossene Falten legen.

      Na ... nun war sie also glücklich in Berlin, die kleine Cilli – und von ihrem Größenwahn wohl gründlich geheilt.

      Ob er sie aufsuchte?

      Der Regen tröpfelte immer dichter und kälter. Er sah wieder das kleine Zimmerchen am Markt, drei Treppen, vor sich, in dem sie damals in malerischer Unordnung gehaust, die summende Kaffeemaschine auf einem Stoß Noten, Tische und Stühle mit Trikots und bunten Flittern übersät, und sie selbst dazwischen auf einer Nähmaschine Weißzeug säumend und, die Zigarette schief im Mundwinkel, melancholisch vor sich hinträllernd.

      So trieb sie's jetzt in Berlin wohl auch.

      Das war die rechte Stimmung für ihn: ein kleines Mädchen in seinem kleinen, warmen Zimmerchen, Zigarettenrauch und Kaffeedunst und gedankenloses Geschwatze ... da vergaß man die dumme Welt und die dummen Sorgen.

      Im Adreßbuch eines Zigarrenladens fand er ihre Wohnung. Dann winkte er einem Kutscher. »Fahren Sie Hindersinstraße Dreiundzwanzig.«

      VII.

       Inhaltsverzeichnis

      »Kutscher ... haben Sie mich denn recht verstanden? ... Hindersinstraße 23?«

      Der Mann nickte nur und trieb sein Pferd an.

      Merkwürdig, in was für eine aristokratische Gegend der Wagen rollte! Asphalt... massive Herrschaftshäuser aus behauenem Stein ... Alles still und vornehm...

      Und besonders dies kleine Palais, vor dem die Droschke hielt. Unmöglich! Da konnte die kleine Vagabundin doch nicht wohnen.

      »Fräulein Spiegel? Eine Treppe!« verkündete auf seine Frage eine unterirdische Stimme aus dem Portierfensterchen.

      Also doch! Ganz verdutzt schritt er die eichengeschnitzte, teppichbelegte Treppe hinauf und zog den Klingelgriff, den ein bronzener Löwenkopf im Rachen hielt.

      Es näherten sich hastig watschelnde Schritte. »Nu kommen Sie endlich, Herr Heinlein!« klang von innen im Aufgehen der Türe eine fettige, freundliche Stimme ...»...die Suppe wird ja ganz k...«

      Die alte Dame brach erstaunt ab. Georg sah sie an. Natürlich... das war Mama Spiegel ... die dicke Beschützerin der kleinen Cilli von einst...

      Und jetzt erkannte sie ihn auch. »Herrjeses!« rief sie, machte eine Bewegung, als wollte sie sich die Hand an der Schürze abwischen, und reichte ihm dann, sich besinnend, daß sie ja ein Seidenkleid anhabe, die fleischige Rechte...»...Der Herr Leutnant Textor!... ja... wie kommen denn Sie...?« sie nötigte ihn in den Flur... »...spazieren Sie nur herein ... das Kind wird eine Freude haben!«

      »Störe ich das Kind auch wirklich nicht?« fragte der kleine Sportsman zweifelnd. Denn von innen erklang deutlich Stimmengewirr und Gelächter.

      Mama Spiegel schmunzelte und stieß die Türe auf. »I wo! Uns macht's Spaß, viele Leute um uns zu sehen! Und so ein lustiger Herr wie Sie...«

      Wem denn »uns?«... der Alten? der Cilli? ... oder dem unbekannten Herrn Heinlein...? Georg kam nicht dazu, die Frage auszudenken...

      Donnerwetter... war das ein Empfangszimmer Smyrnateppiche... Gobelins... die Venus von Medici zwischen Palmen... mächtige Oelbilder in Goldrahmen ... »Na,...Ihnen scheint's ja recht gut zu gehen, Mama Spiegel?« sagte er trocken und blieb stehen.

      Mama Spiegel strahlte. »Nicht wahr, Herr Leutnant? Und alles bezahlt!... Ach ja...« sie neigte gerührt das Haupt mit den grauen Ringellöckchen... »...das tut einem wohl, wenn man soviel Freude an seinem Kind erlebt!«

      »Hm... ja...« erwiderte der Herrenreiter etwas


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