Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.den Kopf, als wisse sie nicht, ob sie wache oder träume. War dieser alte Mann, der in solcher Behausung, unter solchen Menschen ein trübseliges, bitterarmes Dasein fristete, war das ihr Vater, der frohgelaunte, glänzende Kavalier von einst? Vor anderthalb Jahren hatte sie ihn noch in solcher Gestalt gekannt. Was war inzwischen mit ihm vorgegangen? Und warum hatte man es ihr verschwiegen? ...
Eine Viertelstunde verstrich.
»Det hat aber Pinke jejeben!« klang draußen in Frohlocken die Stimme des zurückkehrenden Fleischerburschen ... »zweihundert Märker uff den Tisch des Hauses!«
»Schön, mein Sohn!« hörte sie den alten Herrn würdevoll antworten ... »Hier ist eine Reichsmark ... kauf' dir ein Rittergut davon ... na ... und Sie, Herr Wegener, zählen sich nun Ihr Sündengeld ab.«
»Morgen, Herr Baron!« Der Gerichtsvollzieher stieg die Treppe hinab.
Nun standen sie sich wieder allein in dem kahlen Zimmer gegenüber.
Der Freiherr schaute aufmerksam durch die Scheiben auf die öde Straße, über die sein ärgerlicher Besucher dahinschritt ... »Hund!« knurrte er ingrimmig vor sich hin. Dann begann er mit zerstreutem Lächeln in seinen Taschen zu wühlen ... »gib mir das Beutelchen wieder, Kind ... so ... danke ... das ist nicht mein Geld ... das darf nicht angerührt werden ... und hier ...« er brachte verlegen eine Handvoll Gold- und Silberstücke zum Vorschein ... »das gehört natürlich dir!«
Sie starrte vor sich hin.
»Behalt' es nur!« sprach sie kurz.
»Na ... ich heb's dir auf ...« Ein merklicher Seufzer der Erleichterung kam aus der Brust des alten Herrn, und seine vornehmen Züge belebten sich, während das Geld in seine Tasche zurückglitt ... »ja ... schau ... liebe Thea ...« fuhr er nach einer Weile fort und ging unsicher im Zimmer auf und nieder ... »du hast mich vorhin gefragt, ob ich denn wirklich so ganz arm sei. Als Antwort hat sich dieser Mensch hier eingestellt, dieser Bandit ... dieser ... nun ... weißt du ... bei wem der Gerichtsvollzieher Stammgast ist, das ist ein Mann, der alle Bitternis des Lebens kennt ... und solch ein Mann ist dein armer, alter Papa geworden, seit wir uns zuletzt gesehen haben ...«
»...'n bißchen viel Geld hab' ich ja immer gebraucht ...« sprach er nach einer Weile und sah tiefsinnig das an die Wand genagelte Porträt der Stute »Wellgunde« an ... »Deine Mutter auch! Du weißt ... sie war 'ne halbe Polin, und in der polnischen Sprache gibt es, glaub' ich, überhaupt kein Wort für Sparsamkeit. Na ... solange wir's hatten, ging das fidele Leben ja auch so weiter. Aber dann kamen die schlechten Zeiten ... Schulden aufs Gut ... immer mehr ... die Landwirtschaft im Krebsgang ... schließlich ... so ein Witwer ist ja wieder ein halber Junggeselle ... der lebt auch 'mal ein bißchen unsolide und nimmt nicht gleich Hut und Stock, wenn sie die Karten mischen ... ja ... und so kam es denn, und eines schönen Morgens war eben alles aus ... alles«
»Ja ... und der Herzog ... und deine Freunde ... und unsere Verwandten ... die können dich doch nicht alle im Stich gelassen haben!«
»Doch, mein Kind!« Herr von Hoffäcker schüttelte den Kopf, und Theas ungläubiges Gesicht sehend, fuhr er bitter fort: ... »ich hab' keine Freunde mehr ... Niemanden auf der Welt ...«
»Und ich ... Papa?«
»Du ... mein Goldkind ...« Der alte Herr wandte sich ab und ein ersticktes Schluchzen kam aus seiner Brust ... »Du hättest gar nichts von meiner Not erfahren sollen! Immer und immer wieder hab' ich dir geschrieben, du sollst in Posen bleiben! Sicher hättest du dort irgendeinmal einen wohlhabenden Mann gefunden, der dich liebt und den du aus Liebe heiratest, ohne zu ahnen, daß du so ganz arm und elend bist. Jetzt weißt du's! Und aller Frohsinn ist aus deinem Leben weg! Not und Sorge, die bei mir schon so lange wohnen, halten jetzt auch bei dir ihren Einzug, arme Thea ... bei einem süßen Geschöpf wie dir, das so ganz auf Luxus und Zärtlichkeit angewiesen ist ... dich davor zu bewahren ... das war meine letzte Hoffnung ... nun liegt sie auch auf dem großen Scherbenhaufen ...«
Er verstummte. In leisem Rieseln begann draußen der Regen niederzuströmen.
Thea erhob sich bleich und fröstelnd. »Ich will mich jetzt ein bißchen schlafen legen, Papa!« sagte sie und reichte ihm die Hand ... »ich bin recht müde von der Fahrt ...«
Sie empfand eine grenzenlose Mattigkeit. Kaum, daß sie in ihrem Hinterzimmerchen, in das Frau Kautz den umstrittenen Koffer hineingeschafft, die Kleider abzustreifen vermochte. Dann fiel sie auf das Bett. Schlafen ... schlafen ... diese ganze Welt vergessen ... weiter empfand sie nichts mehr ...
Nach einer Weile hörte sie draußen auf dem Flur flüsternde Stimmen. »Holen Sie mir doch den Hutkarton 'raus, Frau Kautz ...« tönte es hell und leise ... »ich hab' ihn auf dem Schrank oben vergessen ...«
Es klopfte. Thea riegelte die Türe auf und ließ Frau Kautz eintreten. »Sind das Sachen von der Haushälterin?« fragte sie.
»Ja«, sagte die Schusterfrau merkwürdig befangen und hob rasch die Pappschachtel herab ... »Verzeihen Sie man, Fräulein ...«
Da klangen draußen schwere Tritte, und gleich darauf die knarrende Stimme des Kammerherrn zu der Fremden im Gang. »Was machst du denn hier?« fragte er gedämpft und unwirsch. Ein warnendes »Pst!« zischte dagegen.
Frau Kautz warf einen ängstlichen Blick auf Thea und eilte, daß sie mit ihrem Hut herauskam. Dann wurde draußen alles wieder still.
Und ihr Vater sagte zu der Unbekannten »du?« Und im Zorn konnte er sie gestern wohl nicht entlassen haben, da sie heute ganz unbefangen wiederkam! Warum also? Offenbar, weil sie, Thea, ihre Ankunft gemeldet hatte. Da machte ihr die andere aus Gefälligkeit Platz! Aber warum mietete Papa sie, seine Tochter, nicht in einem Familienhotel ein? Ja so! Er hatte ja keinen Heller eigenes Geld! Er konnte ihr nichts auf der Welt bieten als diese armseligen vier Wände hier, aus denen er erst eine andere vertreiben mußte ... eine andere, die er »du« nannte ...
Ein entsetzlicher Schrecken erfaßte sie jählings ... ein Drang, aus dem Bette zu springen ... das Haus zu verlassen ... davonzurennen ... aber wohin? ... um Gottes willen ... wohin? ...
Nein ... es gab nur ein Land, in das man sich flüchten konnte, das Land des Vergessens, den Schlaf. Ruhig daliegen und nichts mehr sehen und hören ... das war das beste. Sie würde frühzeitig genug auch noch das letzte erfahren, warum kein Mensch Papa in seinen Geldnöten geholfen – und was er eigentlich in diesem letzten Jahr getan – und wie er zwischen alle diese Leute ... diese Zigarrenhändler und Kellner und Gerichtsvollzieher, geraten war ... und warum er die Haushälterin, in deren Zimmer sie hier zu Gast war ... warum er die duzte ...
V.
Spät am Nachmittag erst wachte sie auf.
War denn das alles wirklich kein Traum? Dies enge Zimmerchen, der dumpfe Lärm der Weltstadt draußen, auf dem Hof das Getriebe der Wildprethandlung, Fleischerknechte, abgestreifte Tiere, ein kläffender Hund, von unten aus dem Schusterkeller ein dumpfes, monotones Pochen ... wie war das alles häßlich und entsetzlich.
Wärest du doch geblieben, wo du warst ... Einen Augenblick kam ihr dieser Gedanke, während sie seufzend ihren Koffer öffnete, um ihr bestes Straßenkleid – das Berliner Kleid hatte sie es schon lange in träumender Sehnsucht getauft – herauszunehmen. Oder wenn sie dorthin zurückkehrte, und, wie ein Reisender aus Zentralafrika, dort am stillen Teetisch von Gerichtsvollziehern, von Shake-Hands mit Kellnern und von Pfandhäusern berichtete?
Aber gleich darauf schüttelte sie den Kopf, daß die Locken flogen. Ein Lächeln, traurig und trotzig zugleich, glitt über ihr blasses Gesicht.
Nun war sie in dem Abenteuer darin! Nun hatte es keinen Zweck, unnütz zu denken und zu wünschen. Nun konnte man nichts mehr tun, als die Ereignisse geduldig über sich hinrollen zu lassen.
Der arme Papa! Der arme, arme alte Mann!
Und sie hatte ruhig in der Provinz in den