Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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Ein hübscher, spitzenumrahmter Frisierspiegel mit drehbaren Seitenkerzen ... vornehm sah es ja nicht aus, aber es zeugte doch vom Streben nach Raffinement ... Sie wunderte sich, daß sie das alles überhaupt merkte ... in, diesem Augenblick ... aber sie fühlte sich wie betäubt ... sie nahm die Eindrücke willenlos auf, wie sie kamen.

      Es litt sie nicht in dem einsamen Zimmer. Nach kurzer Zeit trat sie gegenüber bei ihrem Vater ein.

      Welch ein seltsamer Raum! Ein großer Tisch in der Mitte, ganz bedeckt mit allerhand Zeitungen, Papieren und Schriftstücken. Dazwischen eine Leimflasche mit einem Pinsel darin und eine mächtige Schere. Nebenan ein Papierkorb. An den Wänden schief festgenagelt die Bilder siegreicher Rennpferde, wie sie als Beilage in Sportblättern erscheinen. Sonst nur ein alter Lehnstuhl und ein Paar Strohsessel in dem von Zigarettendampf durchqualmten Gemach.

      In diesem unwirtlichen Zimmer saß der Kammerherr an dem großen Tisch. Er hatte einen Fez schräg auf dem Kopf, die Zigarette schief im Mund und schrieb mit unsicheren zittrigen Zügen einen Bogen Papier voll.

      Seine Tochter blieb an der Türe stehen.

      »Was machst du denn da, Papa?« fragte sie scheu.

      Der alte Herr drehte sich im Sessel um. »Ich redigiere, Kind ... aber komm' nur näher! Du störst nicht. Es hat Zeit!«

      »...Ja ... was redigierst du denn?«

      »Da ist die letzte Nummer!« Er reichte ihr ein Heft herüber.

      »...Paprika! ... Wochenblatt für Witz und Humor ...« las sie ... »und das gibst du heraus, Papa ...?«

      »Herausgeber bin ich freilich! ...« Der Kammerherr legte die Feder beiseite und wischte sie mit einem Läppchen aus ... »...aber der wahre Besitzer ... das ist ein Geldprotze und Aussauger ... ein Mensch namens Heinlein ... ein Individuum, das überhaupt nicht orthographisch schreiben kann! Da muß ich schon einspringen und ihm die Sache deixeln ...«

      »Ja ... zahlt er dir denn was dafür?«

      Der alte Freiherr lachte dröhnend auf und stich eine mächtige Tabakswolke in die Luft. »Ich soll's ihm wohl noch umsonst tun ... diesem ... ah ... da ist ja die Frau Kautz!«

      Eine ältere, sauber gekleidete Frau trat, ein Kaffeegeschirr in der Hand, ins Zimmer. »›;Morjen ooch‹, Freilein!« sagte sie freundlich und wandte sich, ohne darauf zu achten, daß Thea ihren vertraulichen Gruß kaum mit einem hochmütigen Nicken erwiderte, zu dem Baron. »Draußen steht der Herr Steudel ... der Tanzmaitre aus der Oranienstraße ... und will 'rin ...«

      Der Kammerherr stand ärgerlich auf. »Trink' deinen Kaffee nebenan, Thea!« bat er, ... »Es ist da ein Geschäftsfreund ... ich muß ihn wohl empfangen ... man hat ja keine Ruhe in Berlin ...«

      Damit schob er seine Tochter in den kleinen Nebenraum, der ihm als Schlafzimmer diente, stellte ihr den Kaffee hin und zog eine verschlissene Portiere vor die Tür.

      Allein geblieben, sah sie sich in dem Kämmerchen um. Auch hier nur das allereinfachste Mobiliar ... Bett ... Waschtisch ... ein paar Stühle ... ein Kleiderschrank ... knapp, was der Mensch zum Dasein braucht. Als einziger Luxusgegenstand ein zerlesener französischer Roman auf dem durcheinandergewühlten Bett.

      Da klangen von innen Stimmen.

      Durch eine Spalte in der Portiere erblickte sie einen bleichen, mit geschmackloser Eleganz gekleideten jungen Menschen. Sein Gesicht sah verlebt und vulgär aus.

      Ihr Vater saß ihm gegenüber und rechnete. Einige Goldstücke lagen auf dem Tisch.

      »Also zwanzig auf Kirawedda!« Er kritzelte in seinem Notizbuch ... »...je zehn auf Sir John und The Screw ... das ist für Ihre Damen ... und für Sie selbst zwanzig auf Vesuvia Sieg ... und fünfzig Goldelse Platz ...« er zählte das Geld nach ... »stimmt! ... Machen wir, mein lieber Herr Steudell«

      »Na ... sehen Sie ... da haben Sie gleich 'n paar Märker verdient ...« lachte der Talmistutzer ... »...unsere Damens sind gute Kunden. Verstehen nischt von Pferden und wetten wie doll! ... Na. Mahlzeit, Herr Baron!«

      »Mahlzeit, Herr Steudell«

      Thea steckte ihren blassen Kopf durch die Portiere. »Papa ... wer ist denn das?« fragte sie angstvoll.

      »Das?« Der Kammerherr brummte etwas Unverständliches vor sich hin ... »...ein reicher junger Bengel, Thea ... interessiert sich für Rennen...«

      »...Ich dachte ... er wäre Tanzmeister ... oder so was ...« stammelte sie. Aber ehe ihr Vater ihr noch antworten konnte, öffnete sich die Türe außen ohne vorheriges Anpochen, und ein gemeiner Soldat, der Musketier eines schlesischen Infanterieregiments, trat ein. Ohne seine Mütze abzunehmen, reichte er dem alten Herrn ein Zehnmarkstück und eine Anzahl Nickel mit einem Zettelchen hin. Der las es und nickte. »Zehn auf Eintracht ... Gut, hier die Quittung, mein Lieber! Empfehlung an den Herrn Leutnant!«

      Der Soldat ging. An der Türe stieß er mit einem vollbärtigen, anständig gekleideten Herrn zusammen.

      »Ah ... Herr Neubert!« Der alte Freiherr stand auf ... »...na ... haben Sie 'ne ordentliche Liste?«

      »Hier sind die Namen!« Herr Neubert legte bedächtig ein Blatt Papier auf den Tisch ... »...und hier das Geld ... einhundertdreißig Mark! ... Stimmt's? Dann bitte um Quittung! ... Weiß Gott ...« sagte er dann, während der andere eifrig zu schreiben begann ... »...ich mach' nächstens meinen Zigarrenladen zu und ein Wettbureau für meine Kunden auf! Warum sollen Sie das schöne Geld allein verdienen?«

      »Saures Brot!« tröstete ihn der alte Herr und schüttete Streusand über den Schein ... »...so ... Herr Neubert ... na... und wie ist's denn? ... Sie haben mir doch was für den schönen Tip neulich in Aussicht gestellt?«

      Der Kaufmann lachte etwas gezwungen und holte ein Päckchen heraus... »...Rauchen Sie's mit Verstand. Es sind echte! Fünfundzwanzig Stück! ...«

      »Danke, mein Lieber!« Der Baron begleitete den Zigarrenhändler bis zur Türe ... »...wenn ich 'mal den großen Schlag ins Kontor kriege ... Ihnen gönn' ich 'nen Anteil! ...«

      Thea hatte die Portiere zurückgeschlagen und trat mitten ins Zimmer. »Papa!« sagte sie mit tonloser Stimme... »was sind denn das um Gottes willen alles für Menschen, die dir da Geld bringen?«

      »Mir nicht, meine gute Thea!« Der alte Herr ließ sich im Fauteuil nieder und schob das Geld in ein Ledertäschchen, das er sonst unsichtbar unter der Weste um den Hals trug ... »...leider nicht! ... Das sind schlichte Leute, denen ihr Beruf keine Zeit läßt, auf die Rennbahn zu gehen. Wetten wollen sie aber, natürlich ... nun! ... da vertrauen sie ihr Geld einem zuverlässigen, erfahrenen Manne an, wie mir. Ich besorge ihnen das!«

      »...und nimmst Bezahlung dafür?« fragte sie schaudernd.

      Er nickte melancholisch und fuhr mit der Hand über ihr schwarzes Seidenhaar. »Eine halbe Reichsmark ... bis zu 'ner ganzen ... je nachdem ...« sprach er, ins Weite starrend ... »...ja ... so schlägt man sich nun eben durchs Leben ...«

      »Servus!« tönte hinter ihnen eine fettige Stimme.

      Ein Kellner stand da ... der typische Kellner eines Wiener Cafes. In tadellosem Frack und weißer Binde, das peinlich sorgsam gescheitelte und geölte Haupt ohne Bedeckung, so wie er eben über die Straße gelaufen sein mochte.

      »Ah ... Herr Joseph Meisinger!« Der Kammerherr legte zwei Finger in die dargebotene Rechte des anderen.

      Thea traute ihren Augen nicht.

      Da war das Unerhörte, das Unfaßbare geschehen!

      Ihr Vater, der Freiherr Raban von Hoffäcker, fürstlich Rhenascher Kammerherr, Rittergutsbesitzer und Rechtsritter des Johanniter-Ordens, hatte einem Kellner die Hand gereicht!

      Wenn das möglich war, dann konnte sich überhaupt alles ereignen; dann gab es keinen Halt mehr auf der Welt!

      »Verzeihen's die Störung!« sagte inzwischen der Frackträger, ein paar Fünfmarkscheine in der Hand drehend, zu dem Kammerherrn, und


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