Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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zu essen bekam, daß er verlassen und verraten in einer kahlen Wohnung dahinhauste – er, der vornehme, unbehilfliche alte Herr, auf dessen Fingerwink sonst die ganze Dienerschaft flog!

      Er hatte doch sonst eine Menge Eigenheiten und Angewohnheiten ... sie erinnerte sich wohl, das Rasiermesser mußte einen ganz bestimmten Wärmegrad besitzen ... der Bordeaux genau die Zimmertemperatur gewonnen haben, und es gab eine wohl vorgeschriebene Art, mit der ihm der Stallknecht beim Ausreiten die Zügel in die Hand reichte.

      Wie konnte er sich denn nur jetzt in alle diese Entbehrungen finden? Wie brachte er das fertig, ohne zu verzweifeln?

      Eine grenzenlose, mitleidige Zärtlichkeit erfaßte sie. Sie eilte sich mit ihrer Toilette, um recht bald dem armen alten Mann da drüben die Gramfalten aus der Stirne streichen zu können.

      Aber als sie in das Redaktionszimmer des »Paprika« eintrat, war niemand da.

      Er mußte ausgegangen sein, denn sein Hut und Stock fehlten. Da, wo sie gelegen, stand auf dem Tisch eine Flasche ... ihre Flasche mit Danziger Goldwasser und ein leeres Gläschen daneben.

      And diese Flasche – sie erschrak – war beinahe zu einem Drittel leer!

      Vielleicht hatte er Besuch – aber nein. Es war ja nur ein Glas da.

      Sie setzte sich auf einen Stuhl und sah traurig, mit gefalteten Händen, die Flasche an. Hätte sie das gewußt! ... Also auch das noch! ... Ja, freilich ... Vergessen fand man da wohl ...

      Aber da knarrte es auf der Treppe. Der alte Freiherr trat ein. Ihr ängstlicher Blick vermochte nicht das geringste Auffällige an seiner vornehmen Erscheinung zu bemerken. Nur lebendiger sah er aus, jugendlicher und fröhlicher. Er hielt sich straff aufrecht, die gefärbten Schnurrbartenden waren noch spitzer als sonst aufgedreht und der graue Zylinder unternehmend zurückgeschoben.

      Er hielt ein Rosensträußchen in der Hand und überreichte es ihr freundlich lächelnd mit der Handbewegung eines Kavaliers aus der Rokokozeit. »Ich war aus!« sagte er rasch ... »...ein paar kleine Posten zahlen ... die Räuber verfolgten mich schon seit Wochen! ... Ach ...« er nahm den Hut ab und fuhr sich mit dem Seidentuch über die hohe Stirn« ... »...das tut wohl, diese Insekten los zu sein!«

      Sie antwortete nichts, sondern überlegte. Viel Schmuck hatte sie nicht! Aber immerhin ... wenn man ihn versetzte, war wenigstens für die nächsten Wochen gesorgt ... das Wertvollste war die kleine goldene Uhr ... aber die mußte man bis zuletzt aufsparen ... um so mehr, als der Kammerherr selbst ja auch keine besaß, sondern statt dessen an schwarzem Seidenband seinen Zwicker in der Westentasche trug.

      »Komm, Kindchen,« hörte sie seine etwas ungeduldige Stimme, »du wirst Hunger haben!«

      Ja, wahrhaftig ... sie hatte starken Hunger. Trotz alledem und alledem! Die Natur forderte ihr Recht und kümmerte sich nicht um Seelenleid und Sorgen.

      »Ich hab' freilich seit gestern mittag so gut wie nichts gegessen!« sagte sie und trat mit dem alten Herrn auf den Flur. Dort schloß er brummend die Fenster ihres Hinterzimmers. Diese Schmeißfliegen unten aus der Wildprethandlung! ... das sei eine wahre Not!

      Aber noch größer war sein Zorn, als er unten das Haustor öffnete. Die Klinke war wieder voll Blut! Natürlich ... wieder diese Metzger aus dem Wildpretladen! Und wenn man ihnen Vorhalte machte, erwiderten sie, sie könnten sich nicht alle fünf Minuten die Hände waschen!

      Auch Thea hatte einen Fleck auf ihren perlgrauen Glaces bekommen. Es schimmerte feucht in ihren Augen. Nicht wegen des verdorbenen Handschuhs – aber wie war das alles so häßlich und gemein! Schmutz und Notzeit, wo man hingriff.

      Da umfing sie das brausende Treiben der Friedrichstraße. Das Wetter hatte sich aufgehellt. Vereinzelte Streifen der Abendsonne vergoldeten das bunte Gewühl, die rastlos dahinflutenden Menschenwogen, in denen man sich so behaglich mittreiben lassen konnte, das Gewirr der Omnibusse und Droschken auf dem Fahrdamm, die prachtvollen Läden, die geschmackvollen Toiletten und hübschen Gesichter, die überall in dem Gewühl auftauchten, ... dazwischen massenhaft Uniformen aller Waffen, Studentenmützen, hellfarbige Herrenpaletots, da ein gigerlhaft gekleideter Neger, um den kein Mensch sich umdreht, ein paar würdevolle bezopfte Chinesen in buntseidenen Weiberröcken auf Holzstöckeln dahinwatschelnd ... das Trottoir einsäumend in monotonem Geschrei die Reihe der Zeitungshändler und Verkäufer... ein Brausen und Weben und Wirren zwischen all diesen in fünf, sechs Stockwerken aufragenden Riesenhäusern, das Thea ganz schwindlig machte.

      Da war man doch mitten im Leben ... da war man in der Welt!

      Die Uhr zeigte auf sieben. Jetzt setzte man sich in Posen zum Abendbrot ... dünnem Tee und dünnem Aufschnitt. Baby wurde herumgereicht und lallte Gutenacht ... der Bursche brachte die Lampe und das Parolebuch ... Der Major stopfte sich seine Pfeife und griff nach der Zeitung, seine Gattin und die beiden Backfische zum Strickstrumpf und Straminrahmen... o Gott ... o Gott ...

      Thea atmete tief auf. Sie war eben doch aus einem Gefängnis entsprungen! Und daß ein entwischter Gefangener nicht auf Rosen gebettet ist ... ja ... das war doch klar.

      Spaßhaft war es ihr, wie alle Leute sie ansahen, während sie quer über die von Menschenmassen wimmelnden Linden schritten. Distinguiert mußten sie beide schon sich ausnehmen, der hochgewachsene alte Herr in seiner behäbigen, selbstbewußten Würde, und neben ihm, in seinen Arm geschmiegt, die Tochter in ihrer schlanken Eleganz und Schönheit. Denn natürlich war sie doch schön! Das Mädchen müßte erst geboren werden, das schön ist und es nicht weiß, obwohl jeder Blick der Vorübergehenden, jeder Spiegel es ihr sagt. Sie, Thea, wußte es jedenfalls ... und wußte ... das war eine mächtige Waffe, wenn man wie jetzt in Not und Kampf geriet.

      Ihr Vater weckte sie aus ihren Träumen. Er stand mit ihr auf dem Nord-Trottoir der Linden und sah sie aufgeregt und ängstlich zweifelnd an, während seine Linke mechanisch mit den Gold- und Silberstücken in der Tasche klimperte.

      »Schau, Goldkind!« sagte der alte Herr verlegen und etwas stockend, wie wenn er selber nicht recht an seine Worte glaubte ..., ... wir müssen doch deine Ankunft feiern, und da ja nun Geld, da ist ... ich würde mich so freuen, wieder einmal bei Dressel zu essen!«

      Thea wußte nicht, wer Dressel war. »Gewiß wollen wir zu Mittag essen ...«, erwiderte sie und schritt an dem grüßenden Türhüter vorbei in das Restaurant.

      Da drinnen gefiel es ihr. Alles so vornehm und reich und sauber. Und dieser Schwarm der sie dienstfertig und lautlos umhuschenden Kellner. Und die Gäste – mehr als sonst um diese Sommerzeit, der landwirtschaftlichen Ausstellung wegen – doch endlich wieder einmal anständige, gut angezogene und leise sprechende Menschen ihrer Kreise ... sie fühlte sich sehr behaglich – etwa wie ein Schiffbrüchiger, der endlich eine trockene Höhle und ein warmes Feuer gefunden – und lächelte über die Wichtigkeit, mit der ihr Vater die Anordnungen zum Mahl traf.

      Der alte Herr war in seinem Element! Das war ganz der Grandseigneur von einst, der da die ehrfurchtsvollen Kellner mit Handwinken und halben Worten hin und her dirigierte. Wie er dasaß, im Stuhl zurückgelehnt, die Weinkarte weit von dem goldenen Pincenez abhaltend und gleichgültig, beinahe übellaunig musternd, bis endlich in knarrenden, abgebrochenen Tönen die entscheidungsschweren Worte fielen, da wunderten sich wohl manche der herumsitzenden Vertreter des High-life, daß ihnen dieser uckermärkische Grande noch nie in Berlin aufgestoßen sei.

      Und dann kam das Essen, in vielen Gängen, die alle Thea gleich vortrefflich schmeckten, und der Wein, schwerer, schwarzroter Burgunder, der wie Feuer den Magen wärmte.

      Mein Gott ... schließlich war die Welt ja nicht so schlimm! Es konnte ja noch alles gut werden. Sie schaute träumerisch lächelnd durch die großen Spiegelscheiben auf das Gewühl der Linden. Welch ein Kontrast – dies vornehme Lokal, in das manche Vorübergehende geradezu respektvoll, manche Arbeiter höhnisch grinsend hineinschauten ... und dort drüben, wenige Schritte von hier ... sie blickte bang auf ihren Vater, der mit der gewählten Ruhe des Feinschmeckers speiste und in großen Zügen den alten Volnay trank.

      Eben beorderte er den Kaffee samt Likören und nahm sich aus dem Kasten eine lichtbraune, prunkender Leibbinde versehene Havanna ...


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