Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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und webte eben durcheinander und strebte doch zum gleichen Ziel, wie im Fabriksaal die sausenden Riemen und kreisenden Räder und gleitenden Stangen aus scheinbarem Chaos doch ein Ganzes schaffen.

      Aber wehe dem Unkundigen, der seine unerfahrene Hand in dies Chaos mengt! Er ist verloren, in Stücke zerrissen von dem gleichgültig weiterstampfenden Getriebe.

      Freilich bummelten ja auch manche Menschen langsamen Schrittes dahin. Elegante Flaneure mit Bügelfalten in der Hose und schweren Stöcken, dienstfreie Offiziere, Gutsbesitzer aus der Mark ... Aber das war ja gerade die Welt, die ihn ausgestoßen hatte ... für die er jetzt nur noch ein ehrloser Schatten war. Oder sollte er sich täuschen? War man vielleicht in Berlin, der brausenden, alles umfassenden und verstehenden Weltstadt, toleranter als in der engen Garnison?

      Ein jüngerer Herr nahm im Vorbeigehen lächelnd den Hut ab. Georg erkannte ihn. Es war ein Diplomat, den er zuweilen auf den Rennplätzen gesehen.

      »Na, auch mal wieder in Berlin?« scherzte der Mann aus der Wilhelmstraße und reichte ihm mit sorgsam hochgehobenem Ellenbogen die Hand ... »...schönes Rennen morgen in Karlshorst ... kann Sie leider nicht bewundern ... haben schauderhaft im Auswärtigen Amt zu tun ... bin eben auch auf dem Weg dorthin ...«

      An diesem gutmütigen Kavalier konnte man die Probe machen! Der kleine Sportsman schloß sich ihm an.

      »Ich reite morgen nicht!« sagte er, neben ihm hergehend, in möglichst gleichgültigem Ton ... »...ich reite überhaupt nicht mehr ...«

      »...Streber geworden? ... Kriegsakademie? ...« wunderte sich der Diplomat.

      »Nein. Aber schlichten Abschied erhalten ... nach dem großen Unglück in Hannover!«

      »Schlichten Absch ...« Der Elegant blieb stehen. Ein peinliches Erstaunen malte sich auf seinem Gesicht und ging allmählich in ratlose Verlegenheit über ... »...das ist ja ... allerdings

      ... und Sie sagen das so kühl ...«

      »Ja ... ändern kann ich's ja nicht!«

      »Natürlich nicht ... nein ... ja ... dieser Spielerprozeß ...« Der korrekte Herr schaute hilfesuchend rechts und links und heftete sein Auge auf ein Firmenschild ... »...nun ... ich muß jetzt hier ... ist mein Zigarrenlieferant ...«

      Höflich den Hut lüftend, verschwand er mit ein paar langen Schritten in dem Laden.

      Der Ex-Husar steckte sich traurig eine Zigarette an und zog weiter. Als er die Linden wieder heraufschleuderte, sah er den Diplomaten mit einem anderen, ihm bekannten Herrn ihm entgegenkommen. Sie mußten ihn schon von weitem gesehen haben. Dann plötzlich gingen sie quer über alle die Fahrdämme und Alleen auf die andere Seite der Linden, wo sich ein anständiger Mensch doch nur zeigt, wenn er auf dem Weg zu Hiller oder Dressel ist.

      Als ob seine Nähe ansteckend wirkte! Ein grimmiger Zorn erfaßte Georg Textor. Er haßte die ihm entgegenkommenden Elegants, die Offiziere und Gigerln, die alle so vergnügt aussahen und plauderten und lachten.

      Und als der kleine Wendelslohe von den 29. Ulanen an ihm vorbeirollte und sich im Wagen aufstellte, um den Kutscher anzuhalten, da winkte er ihm spöttisch mit der Hand zu: »Fahren Sie nur weiter!« rief er ... »...ich habe die Blattern!« Und der Leutnant, der ihn auf der Verfolgung einer Dame wähnte, setzte sich verständnisvoll nickend wieder hin ...

      Nein, diese Welt wollte nichts mehr von ihm wissen! Das Freimaurer-Zeichen des Gentleman starrte ihm überall abwehrend entgegen.

      Da war es wirklich schon besser, Sozialdemokrat zu werden! Dann sollte die Bande vor ihm Angst kriegen! Aber wie wurde man Sozialdemokrat? Er konnte sich doch nicht ohne weiteres in seinem Gigerl-Zivil zu den Maurern und Droschkenkutschern da unten in dem Budikerkeller setzen! Und dann hatte er auch die Empfindung, daß diese Leute sich nicht oft genug wuschen! Das war ihm ein Greuel ...

      Ein donnerndes Gefährt kam da die Linden entlang. Prachtvolle Traber, ein würdevoller Kutscher, im Innern ein satter alter Herr mit einem Pack Zeitungen auf dem Schoß. Ein Börsenfürst, der zur Bank fuhr ... das unterschied sein in Hamburg geübtes Auge wohl.

      So reich zu werden, war das Ziel seines Ehrgeizes. Aber wahrscheinlich auch das aller anderen Menschen ringsumher. Da hatte man wohl so ziemlich alles, was lebte, zu Konkurrenten.

      Jedoch ein anderer Gedanke erfaßte ihn dabei. Hier in Berlin lebte ja der alte Geschäftsfreund seines Vaters, der Geheime Kommerzienrat Michaelis, einer der wenigen, die, seiner Ansicht nach, sich beim Sturz des Hauses Textor & Co. anständig benommen hatten.

      Den Sohn seines Geschäftsfreundes würde er wohl empfangen. Und er war reich ... sehr reich. Vielleicht verriet er ihm das Geheimnis, wie auch ein anderer reich werden könne. Georg hatte die Adresse noch von früher her im Kopf. Er winkte einem Kutscher und fuhr in die Jägerstraße.

      Daß es eine große Auszeichnung war, um diese Stunde überhaupt in das Allerheiligste des Direktors vorgelassen zu werden, davon ahnte der frühere Leutnant nichts. Er hatte seine Beichte beendet, lehnte sich in dem Stuhl zurück und sah den hageren, alten, unscheinbar gekleideten Herrn erwartungsvoll an.

      Der schwieg einige Zeit und dachte nach. Kein Fältchen rührte sich in seinem, von jahrzehntelanger, zäher Gedankenarbeit mumienhaft erstarrten Gesicht mit dem strengen Mund und den durchdringend forschenden Augen.

      »Sie sind der Sohn meines alten Freundes, Herr Textor!« sagte er mit leiser, leidenschaftsloser Stimme ... »...ich bin bereit, Ihnen die Passage nach New York zu bezahlen und irgendwo in Amerika durch ein befreundetes Haus ein Unterkommen zu verschaffen ... was für eins ... das weiß, ich nicht. Sie müssen eben nehmen, was sich in Amerika bietet.«

      Schon wieder das verwünschte Amerika! Es war, als ob die Welt sich verschworen habe, ihn über das große Wasser zu schaffen!

      »Verzeihung, Herr Geheimrat,« der Sportsman verbeugte sich höflich ... »...aber ich möchte eben auf jeden Fall in Deutschland bleiben und mir hier eine Stellung machen ...«

      Der alte Herr überlegte wieder einen Augenblick. »...Was für eine Stellung?« fragte er dann eintönig ... »...was haben Sie für Kenntnisse?«

      »Kenntnisse? ... ja, du lieber Gott ...« der gewesene Husar zuckte die Achseln ... »...ich spreche noch recht leidlich Englisch ... von Hamburg her ... und ein paar Brocken Französisch ...« »Also so gut wie nichts! Können Sie stenographieren? Mit der Schreibmaschine umgehen? Verstehen Sie etwas von Buchführung und kaufmännischem Geschäftsstil?«

      »Nein!« sagte Georg verblüfft.

      »Hm.« Der Financier runzelte die Stirne ... »...Haben Sie sich sonst irgendwie in der praktischen Welt umgesehen? Vielleicht in einem Fabrikbetrieb ... im Hüttenwesen ... in irgendeinem Ingenieurfach ...«

      »Ich habe meine Rekruten gedrillt ... und in meinen Urlaubsstunden Rennen geritten ...«

      »Nun ... und die Landwirtschaft? Wissen Sie etwas davon?«

      »...Nur, daß meine Pferde eine sündhafte Menge Hafer und Heu verschlangen ...«

      »Ja ... also ... verehrter Herr ...« der Bankier richtete sich etwas auf ... »...fühlen Sie etwa irgendeine besondere Begabung in sich ... eine Tenorstimme ... oder ein Zeichentalent ... auch nicht?«

      Georg schüttelte stumm den Kopf. Die Sache begann ihm unheimlich zu werden.

      »Dann kann ich Ihnen nur raten,« schloß der alte Herr kühl seine Fragen ... »...da Pferde offenbar der einzige Ihnen vertraute Gegenstand auf Erden sind ... werden Sie Stallmeister oder dergleichen!«

      »Verzeihung, Herr Geheimrat ...« der Herrenreiter hob kampflustig das hagere, schaffgeschnittene Gesicht ... »...da Knecht ... bezahlter Knecht zu werden, wo man früher Herr war ... ich, der ich vor drei Tagen selbst noch einen Trainer hielt, als servil grüßender Stallmeister ... das vertrag' ich nicht. Mein Ehrgeiz ist, mir Stellung und Reichtum zu erwerben.«

      »Ja ... womit denn?«

      »Das weiß ich nicht!«

      Der


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