Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.und seine Frau, ihre guten Freunde aus Rhena, die da einen bequemen Platz suchend durch den Raum schritten und sich ihnen näherten!.
Welch ein Vergnügen, bekannte Gesichter aus dem alten, guten Rhena zu sehen!
Thea wollte sich erheben und ihnen fröhlich zuwinken. Da fühlte sie sich von zorniger Hand am Arm ergriffen.
»Kümmere dich nicht um diese Bande!« zischte ihr Vater ihr zu – und dann lauter, mit dunkelrotem Gesicht: »Kellner! ... die Rechnung!«
Was war denn das? Und was machten denn Paulis für Gesichter, als sie plötzlich auf ihren Tisch herüberblickten?
Erschrocken sahen sie aus ...verlegen ... und da wandten sie sich ab und nahmen ganz in der Ecke, weit von ihnen, Platz!
Und hatten sie doch ganz deutlich gesehen und erkannt!
»Papa ...«, flüsterte Thea tonlos ... »...warum wollen denn Paulis nichts von uns wissen?«
Der alte Herr brummte etwas Unverständliches statt der Antwort. Sie merkte ... der Zwischenfall war für ihn außerordentlich unangenehm. Er sprach kein Wort mehr, sondern stierte, die grauen Favoris mit den Händen auskämmend, aus den vom Weine rotunterlaufenen Augen hartnäckig auf die Tischplatte vor sich, bis endlich die Rechnung kam.
Achtzehn Mark und fünfzig Pfennig! ... Thea entsetzte sich. Aber ihr Vater schien das erwartet zu haben. Gleichgültig wie ein Mann, dem es aufs Geld nicht ankommt, schob er ein Zwanzigmarkstück über den Tisch und erhob sich um aus den Händen der Kellner, ohne diese auch nur eines Blickes zu würdigen, Hut und Stock zu empfangen.
Er räusperte sich drohend, während sie an Paulis vorbeigingen. Das Ehepaar schaute nicht zu ihm auf. Aber als Thea mit einem scheuen Seitenblick sich an ihrem Tisch vorbeidrängte, merkte sie, daß beide sie traurig und ernst ansahen. Ob das Mitleid war, ob ein stummer Vorwurf ... wer konnte das wissen? Sie warf trotzig den Kopf zurück und folgte ihrem Vater. Aber ihr Inneres zitterte vor Erregung.
Auf der Straße blickte sie dem alten Herrn voll ins Gesicht. »Komm' mit nach Hause. Papa!« sprach sie rauh und fest ... »...ich muß mit dir reden!«
Der Kammerherr senkte, wie zur Zustimmung, das graue Haupt. Schweigend gingen sie die Linien entlang ...
Nun waren sie wieder in dem dämmerigen Redaktionsraum.
Auf dem Tische lag eine Depesche. Der Major aus Posen hatte sie an Thea gesandt. »Erwarten deine umgehende Rückkehr in unser Heim«, stand darin.
Das war viel, das war ein großes Entgegenkommen von dem sonst gegen sich und andere so harten Mann. Aber Thea kümmerte sich jetzt nicht darum.
»Papa ...« sagte sie mit klarer, ruhiger Stimme ... »...wenn ich auch nur ein Mädchen bin und nicht viel vom Leben weiß ... das weiß ich doch: in unseren Kreisen verachtet man jemanden deswegen nicht, weil er sein Geld verloren hat. Man sagt sich: das ist eben ein Unglück! Man grüßt ihn trotzdem auf der Straße und man hilft ihm, wenn man irgend kann! Dich aber grüßen Paulis nicht, und du sagst selbst, daß dir niemand zur Seite steht. Warum, Papa? ... ich will die Wahrheit wissen! ... ich muß sie wissen!«
Die helle Mädchenstimme klang beinahe drohend durch das dämmernde Gemach, in dem der alte Grandseigneur unsicher hin und her trottete. Seine Augen irrten unstät an den Wänden umher, seine Hände krampften sich wie im Schmerz zusammen ... er atmete schwer.
»Die Wahrheit ...« murmelte er ... »...die Wahrheit ist eben, daß ich mein Geld verloren hab' ...«
»Bist du denn Wucherern in die Hände gefallen?«
»Auch das, Kind!« Der Alte nickte gedankenvoll ... »...es kam so eins zum andern!«
»Und unsere vielen Freunde ...?«
»Anfangs haben sie mir geholfen ... ich war ja schon seit Jahrzehnten in der Klemme ... Und endlich wurden sie's müde ... und dann ... ja dann ...« ein verzweifeltes Schluchzen drang aus der Brust des alten Mannes.
»Was war dann, Papa?«
»Dann machte ich eben so Schulden. Aber man bekommt so schwer Geld, wenn nicht ein reicher Freund für einen bürgt ... oder man eben irgendwie seine Unterschrift hat ... und Geld muß man haben ... und man denkt ... der Freund wird einen nicht ins Unglück stürzen ... und seine Unterschrift anerkennen ...«
»Und da ... Papa ...« ihre Augen wurden starr vor Entsetzen ... »da ...« das furchtbare Wort kam nicht über ihre Lippen ... »...da ... da macht man selbst die Unterschrift.«
Der Alte hatte sich von ihr abgewendet und nickte leise.
Ihr Vater ... der heißgeliebte alte Papa ein Wechselfälscher!
Es krampfte sich alles in ihr zusammen.
»Und das ist nicht herausgekommen?« Ihre Stimme klang heiser vor Angst.
»Doch ...« der Alte nickte wieder ... »...drei Wochen, nachdem ich dich aus Rhena weggeschickt hab' ...«
»Und du bist dann verreist, um der Untersuchung zu entgehen ...« Thea brach verstört ab ... »...aber nein ... dann kannst du ja doch nicht hier ...«
»Ich war in Untersuchung, Thea!« ihr Vater wandte sich zu ihr um. Sie erschrak. Die ungesunde Röte war aus seinem Gesicht geschwunden. Aber entsetzlicher noch war das fahle Gelb, das jetzt zwischen den grauen Bartstreifen die vergrämten Züge bedeckte ... » ... ich war in Untersuchung. Du hast von allem nichts erfahren, denn du warst fern und unter guten, vornehmen Menschen, die dir alles aus dem Wege räumten, woraus du hättest Verdacht schöpfen können ...«
»...Aber wenn du in Untersuchung warst ... Und du sagst selbst ... du warst schuldig ...«
»Ja, Thea! ...«
»Und dann ...« Sie sank auf einen Stuhl. Ihre zitternden Knien trugen sie nicht mehr ... »...ja aber ... gibt es denn ... gibt es denn Geldstrafen ... für so etwas ...?«
Der alte Herr fiel plötzlich neben ihr auf die Knie.
Sein schluchzender Graukopf barg sich in ihrem Schoß, seine Hände umfaßten hilfeflehend ihren schlanken Leib.
»Ich war ja nicht verreist, mein Herzenskind«, stöhnte er laut und verzweifelt los ... »...ich war ja im Gefängnis ... ein langes, fürchterliches Jahr ...«
»Und nun geh', Kind ... nun weißt du alles ... bis aufs letzte! Nun geh' in dein Heim nach Posen zurück ... werde glücklich ... Vergiß mich ... und laß mich armen alten Sünder hier allein verkommen und verderben ...«
Eine kurze, bange Pause.
Dann fühlte er, wie zwei Hände sich streichelnd auf sein Haupt legten, und er vernahm ihre leise, tröstende Stimme:
»Du bist nicht allein, Papa! Denn du hast mich; die andern mögen dich verlassen ... mir bleibst du mein guter, alter Papa ... und ich bleib' bei dir ...«
VI.
Also nun konnte der Kampf beginnen.
Georg Textor hatte in seinem Hotel ein paar Stunden geruht, dann gebadet, sich rasiert und ein konsistentes englisches Frühstück eingenommen. Nun war er wieder soweit Mensch und sah streitlustig der Zukunft ins Auge.
Aber diese Zukunft war und blieb wie ein Gespenst. Nebelhaft, nicht zu erkennen, nicht zu fassen ... und eben darum doppelt unheimlich.
Jedenfalls erobert man Berlin nicht vom Lesezimmer der Monopolhotels aus! Der Exhusar zahlte und schlenderte nachdenklich die Friedrichstraße entlang und die Linden hinunter.
Merkwürdig, wie eilig es alle diese Menschen ringsum hatten! Das hastete in dem trüben Regengrau des Sommervormittags aneinander vorbei, das bewegte im Gehen rechnend die Lippen hatte das Gesicht voll Pläne ... ja gewiß ... alle diese – nebenbei bemerkt meist von fabelhaften Schneidern bekleideten