Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Eine Minute Aufenthalt gönnte sich der eilige Zug nur. Georg hatte gerade noch Zeit, sich sein Gepäck in den Wagen reichen zu lassen. Dann schnitt das wiederbeginnende Rasseln der Räder ihm das Wort vom Munde ab.
Wozu auch dem Burschen viel sagen! Der Lümmel und die andere Mannschaft der Schwadron erfuhr es zeitig genug, daß der Leutnant Textor »seinen Abschied genommen habe«.
Da stand er nun in dem engen Gang des Rauchwagens erster Klasse. Natürlich erster Klasse! Hauptsache war es von vornherein, sich die Lebenshaltung im großen Stil zu bewahren und dadurch vor der Proletarisierung zu schützen!
Wie immer in nächtlichen D-Zügen waren alle Kupees dicht verhängt und die Lampen verhüllt. Er stieß auf Geratewohl das nächste Abteil auf. Die eine Seite des dämmernden Raumes war leer. Auf der anderen lag ein undeutliches, in Tücher und Decken gewickeltes, tiefatmendes Etwas.
Es schien eine Dame zu sein. Und jedenfalls eine alte. Denn ein einzelnes junges Mädchen konnte man nicht wohl im Rauchkupee erster Klasse vermuten. Um sie nicht zu stören, löste er sich draußen auf dem Gang die Platzkarte. Dann ließ er sich am Fenster nieder.
Nacht ringsumher. Am Himmel die Sterne. Vorüberflitzende Lichtpunkte auf der Erde. Und eintönig, unermüdlich das Rasseln des Zuges, Rattata ... Rattata ... immer wieder ... man konnte alle möglichen Worte und Melodien dem taktmäßigen Geräusche unterlegen, die dann in ewiger Wiederholung einschläfernd und gedankenlos ins Ohr drangen.
Da fuhr er nach Berlin ... Wie würde er es verlassen? Die Nacht draußen sagte ihm nichts und stumpfsinnig stampften die Räder.
Vielleicht als ein großer Mann, den Kammerdiener drüben in der zweiten Klasse, neben sich den Sekretär, mit dem er in der Muße der nächtlichen Fahrt die wichtigsten Telegramme und Schriftstücke erledigt?
Oder als ein geschlagener Mann, der wie ein wundes Wild sich nur noch irgendwohin in die Einsamkeit flüchtet, um dort ungestört zu verbluten?
Oder gar nicht? Von Berlin zermalmt ... aufgefressen ... spurlos verschluckt? Das war wohl das Schicksal der meisten.
»Aber ich gehöre nicht zu den »meisten«, dachte der kleine Sportsman tiefsinnig ... »...denn die meisten sind Esel, und ich glaube, doch über eine gewisse Gerissenheit zu verfügen. Neugierig bin ich jedenfalls, wie das nun wird!«
Und befriedigt lehnte er sich zurück, während draußen schon in raschem Grauen der frühe Sommermorgen tagte. Es wurde zusehends heller. Schon sah man die Lerchen sich über den Stoppeläckern wiegen und auf den hohen Getreidemieten in der Ferne lag schon ein Widerschein der in rötlichem Dunst am Himmel aufsteigenden Sonne.
Er blickte neugierig auf das schwer atmende Kleiderbündel ihm gegenüber. Einen gesegneten Schlaf hatte dies weibliche Wesen ... mochte es nun jung oder alt sein. Um so besser! Wenn sie erwachte, brauchte sie wahrscheinlich tausend Dinge und noch ein paar dazu! Er mußte dem Kellner wegen des Frühstücks klingeln, dem Kondukteur mitteilen, daß das Rundreiseheft vorläufig nicht zu finden sei, den Plaidriemen zuschnallen, im Hendschel nach den Anschlüssen suchen ... nein ... schlafe du nur immer zu!
Da fuhr sie plötzlich mit einem Ruck empor und starrte fassungslos und erschrocken um sich, als begriffe sie gar nicht, wie sie eigentlich in diesen D-Zug geraten!
Donnerwetter, wie hübsch! Er hatte Mühe, seinen gleichgültigen Gesichtsausdruck zu bewahren.
Nein ... nicht hübsch! Schön! ...
Freilich alles andere, nur keine langweilige, regelmäßige Schönheit.
Dunkles, vom Schlaf verwirrtes Lockenhaar um ein schmales, mattgetöntes Gesicht. Ein schwermütiges Zigeunerin-Gesicht mit großen, verträumten Augen und rotgewölbten Lippen, ... eine schlanke, mittelgroße Gestalt in tadellosem Reisekleid, lange zierliche Hände und Füße ... und über dem Ganzen die schwer zu bestimmende, unmöglich nachzuahmende kühle Vornehmheit der großen Welt.
Eine Dame der guten Gesellschaft! Er lüftete mit einer Verbeugung seine Reisemütze.
Sie nickte kurz, fast ohne ihn anzusehen.
Dabei unterdrückte sie ein Gähnen. Dann dehnte sie sich, die Ellbogen fest an den Leib gepreßt und die Unterarme ausstreckend, mit hochgezogenen Schultern wie eine verschlafene Katze und stieß einen müden Seufzer aus. Ihre Blicke glitten auf kurze Zeit durchs Fenster, als wollte sie sehen, an welchem Punkt des deutschen Vaterlandes sie nun eigentlich sei, und blieben dann in kühler Frage an ihm haften.
Das hieß: Sie könnten mich jetzt eine Weile allein lassen, damit ich mein Haar ordnen, meine sieben Sachen zusammenpacken und meine Hausschuhe mit den oben im Gepäcknetz, blinkenden Stiefelchen vertauschen kann.
Er stand auf und ging hinaus.
Auf dem Gang war es ganz leer. Er lehnte sich ans Fenster und schaute, wie draußen auf den Aeckern die Hasen im Frühlicht ihre Kapriolen trieben.
Komisch, wie fidel einen doch gleich der Anblick eines hübschen Mädels stimmt! Georg fühlte sich jetzt bedeutend besserer Dinge ... Das heitert einen richtigen Kerl auf! der sagt sich: Solange so was noch ungeküßt auf der Welt herumläuft, liegt gar kein vernünftiger Grund vor, sich totzuschießen!
Hoffentlich fuhr sie bis Berlin! Sicherlich! Wohin denn sonst? Da blieb man noch ein paar Stunden zusammen. Das konnte sehr amüsant werden!
Er schob die Glastüre etwas zurück. »Darf ich eintreten?«
»Bitte!« erwiderte sie gelassen und wandte, wie um den Versuch eines Gesprächs abzuschneiden, den Kopf zum Fenster. Er sah nur mehr die schwarzgelockten, seidenschimmernden Haarsträhnen, die kurzgeschnitten den Nacken umspielten.
Nein. Jetzt sah er auch wieder ihr Profil. Schöne, festgeschwungene Linien ... viel Energie darin ... und doch auch Weichheit ... etwas Verlangendes, etwas Schmachtendes. Sie hatte die Lippen fest zusammengepreßt, während sie hinausschaute. Ob in Angst oder Trotz oder gespannter Erwartung, das ließ sich nicht erkennen. Aber irgendetwas ging in ihr vor und beschäftigte unausgesetzt ihr Inneres. Das zeigte auch das schadenfrohe Lächeln, das von Zeit zu Zeit verstohlen über die schönen Züge lief.
Sie seufzte wieder, nestelte ihre winzige Uhr los und zog, sie anblickend, ungeduldig die Augenbrauen hoch. »Zu dumm! Erst fünf Uhr morgens!« konnte man auf ihrem Gesichte ablesen. Sie schien es sehr eilig zu haben, weiterzukommen.
Ein Königreich für einen passenden Gesprächsstoff! Leicht war der nicht zu finden und mit einer einmaligen kühlen Ablehnung wahrscheinlich das Schweigen für den Rest der Fahrt besiegelt.
Da sah sie schon wieder auf die Uhr!
Der Zug lief in eine große Bahnhofshalle ein. »Acht Minuten Aufenthalt!« rief unten der Schaffner.
Die blasierten D-Zugfahrer rührten sich nicht, um auszusteigen. Sie hatten ja alles in ihren Wagen. Aber auf deren Gang entstand eine Bewegung. Eine Türe nach der anderen wurde von einem rasch näher kommenden Manne aufgemacht, und eine Stimme rief eine monotone Frage hinein, die, wie es schien, stets mit schweigendem Kopfschütteln beantwortet wurde.
Jetzt ging ihre Tür auf. Ein Beamter stand da, ein Blatt Papier in der Rechten. »Depesche für Fräulein von Hoffäcker«, sagte er in fragendem Ton.
Die junge Dame richtete sich auf. »Geben Sie her!« sprach sie gleichgültig und streckte die Hand aus ... »...Ich bin Freiin Thea von Hoffäcker ...« setzte sie, als der Telegraphenbote einen Augenblick zögerte, hinzu ... »...Sie sehen ja da oben auf meinem Handtäschchen das T. und H. mit der Krone!«
Darauf erhielt sie die Depesche. »Hier!« rief sie, als sich der Mann schon wieder entfernen wollte, gab ihm eine Mark Trinkgeld und öffnete, ohne auf seinen Dank zu achten, das Papier.
Ihr Reisegefährte beobachtete sie dabei. Merkwürdig, wie kampflustig sie aussah! Die feinen Nasenflügel blähten sich und um die Lippen spielte ein Trotz, der jetzt, nachdem sie den Inhalt gelesen, in ein spöttisches Lächeln überging. Sie zuckte die schmalen Schultern, las die Depesche noch einmal durch und begann sie dann, mit offenbarem