Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
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Würde er sich nun totschießen oder nicht?
Heute abend stand er wohl vor der Entscheidung ... oder morgen... oder übermorgen! Genau konnte man ja nicht wissen, wann aus Berlin, in seiner dort beschlossenen Fassung, das ehrengerichtliche Urteil zurückkam, das hier in der kleinen Husarengarnison die Regimentskameraden über ihn gefällt.
Er kannte dies Urteil ja nicht. Aber er mußte sich sagen: Wäre ich, statt als Angeklagter, als Richter ernst und schärpenumgürtet in der Reihe der Genossen gesessen, ich hätte »Schuldig der Verletzung der Standesehre« zu Protokoll gegeben!
Ganz natürlich schuldig der Verletzung der Standesehre! Wer Ehrenscheine verfallen läßt ... nicht einen, sondern mehrere ... ein halbes Dutzend wohl im Lauf der beiden letzten Jahre ... wer sich mit Haut und Haar den Wucherern überliefert, in monatelangem, jahrelangem Verzweiflungskampf den einen Halsabschneider mit Hilfe des andern prellt, den Gauner rechts gegen den Gauner links ausspielt, bis sich endlich die ganze Meute auf ihn stürzt ... nun, natürlich kann solch ein Mensch nicht länger den Attila tragen! Es war schwer, zu hoffen, daß man in Berlin anderer Ansicht sein würde.
»Verflucht!« Georg Textor warf die abgebrannte Zigarette weg und schritt wieder rastlos, in leisem Sporenklirren, durch das üppige Garçongemach.
Um ihn brauten die bläulichen Wolken des bessarabischen Tabaks, dessen Zigarettenstummel weithin den Smyrnateppich bedeckten. Die Wolken stiegen und sanken, sie spannen sich um die Rehgeweihe, die Waffen und Sportbilder an den Wänden und bildeten einen durchsichtigen Dunstkreis um den gelblichen Lichtkegel der Lampe, die auf dem Schreibtisch stand.
»Werd' ich mich nun totschießen oder nicht?«
Der stille Sommerabend draußen gab ihm keine Antwort. Er steckte sich eine neue Papyros an, trat vor den Spiegel und schaute gespannt hinein.
Merkwürdig... er sah aus wie immer. Eigentlich müßte doch in den Zügen eines Menschen, der eben mit dem Leben abrechnet, etwas Feierliches zu finden sein ...
Keine Spur! Dasselbe bartlose verwegene Galgenvogelgesicht wie sonst!
Kein Mensch hätte geglaubt, daß es einem preußischen Offizier gehörte! Allenfalls in einigen herben, hochmütigen Linien um Mund und Nase zeigte sich etwas von jenem märkischen Typus, zu dessen Uradel er mütterlicherseits gehörte.
Aber sonst sah er am ersten einem englischen Sportsman ähnlich, mit seiner mittelgroßen, sehnigen Gestalt, dem kleinen Bartstreifen an den hageren Wangen, und der gesuchten Lässigkeit der Bewegungen.
In Deutschland findet man solche Erscheinungen selten – am ehesten noch in Hamburg, dem Sitz seines väterlichen Hauses, der großen Reederfirma Textor & Comp. Dort spiegelt sich der kühle, zähe Wagemut des Seefahrers und Spekulanten, die blasierte Ruhe des Menschen, der sich fortwährend in der Hand des Zufalls weiß, und die List des Kämpfers, der rastlos diesem Zufall die günstige Seite abzugewinnen sucht, dort spiegelt sich das alles in jungen und alten Rassegesichtern so gut wider wie auf dem Turf, zu dessen Größen er, Georg Textor, bis vor wenigen Wochen gehört.
Seit zwei Jahren war die große Firma in Hamburg liquidiert, der alte Herr selbst tot. Nun sollte er, der einzige Sohn, auch Abschied nehmen vom bunten Treiben des Rennplatzes, auf dem so oft ihm die Menge zugejauchzt, von dieser ganzen üppigen Welt, die ihn lachend und schmeichelnd wie ein schönes Weib umfing?
Seine sechsundzwanzig Jahre krampften sich dagegen auf.
Oft war er in der Rennsaison zwei-, dreimal an einem Nachmittag in den Sattel gestiegen und hatte den Tod herausgefordert, wenn er in fliegender Pace das Feld über Hecken und Gräben dahinriß und unter dem Donner der Massen in wütendem Endkampf seinen Gaul aus der Schar der anderen herauspeitschte.
Aber das war doch etwas anderes, diese Möglichkeit eines schweren Sturzes als so... sich selbst... Der Sergeant, der sich neulich oben auf dem Kasernenboden aus Liebesgram erschossen, kam ihm nicht aus dem Sinn. Wie der Kerl aussah ... Der ganze Kopf entzwei. Blutspritzer weit über den Boden hin, das Gehirn rings an den Wänden...
»Verflucht!« Georg Textor sah nachdenklich in den Spiegel.
Da klopfte es. Leutnant von Heerwaldt trat ein.
Sein bester Freund im Regiment. Ein magerer hochmütiger Graf mit wenig Geld und zahllosen Ahnen, ein etwas steifer, aber grundanständiger und gutmütiger Kerl.
»Also du bist zurück, Georg?« sagte er und setzte sich.
Der kleine Sportsman nickte.
»Wo sollt' ich denn schließlich bleiben? Zu Verwandten gehen? Meinen Hamburger Onkeln und Vettern? Mit denen bin ich seit zwei Jahren fertig... seit sie sich beim Bankrott meines Vaters so erbärmlich benommen haben. Sie hätten ihm helfen können ... und sie taten's nicht! Nur vertuschen ... Alles vertuschen ... Das wollten sie und brachten sie auch fertig ... Die verfluchten Geldsäcke ... Alles schön und gut: der alte Herr ist nun wirklich nach allgemeiner Meinung eines natürlichen Todes gestorben. Und unser Haus hat nicht falliert... pfui, wie häßlich für die Verwandten! Nein... es hat ja glücklich liquidiert ... und daß dabei nicht ein roter Dreier herauskam, das geht ja nur mich an ... den sogenannten Erben!«
»Verfluchte Chose!« sagte der Graf.
Georg ging im Zimmer auf und nieder und rauchte.
»Na... siehst du, Roger... da steht man nun eines schönen Morgens so da, wie ich vor zwei Jahren ... und fragt sich: was nun, alter Junge? ... Den Abschied nehmen... natürlich ... ich wollt' es ja auch... aber ich war hier der große Kerl im Regiment... Der erste Rennreiter ... galt immer noch für 'nen Reichmeier ... denn außer dir und Hanitz wußt' es ja keiner, wie es eigentlich mit mir stand ... und da dacht' ich mir: am Ende geht's auch so! Du hast dein bißchen Gehalt, du hast deinen Stall voll Gäule, mit denen du eine Masse Geld gewinnen kannst ... du hast das Jeu, in dem man nur Glück zu haben braucht, um den großen Schlag zu machen ... du hast deine Freunde, die dir im Notfall borgen ... und schließlich machst du 'ne anständige Partie ... kriegst im Lauf der Jahre deine Schwadron und alles wird gut!«
Der andere Husar schüttelte tiefsinnig den Kopf. »Weißt du, Kerlchen,« sagte er, »das war doch von vornherein eine recht unsichere Existenz!«
»Ach, wirklich?« Georg legte ihm die Hand auf die Schulter und ein spöttisches Lächeln kräuselte seine Lippen ... »wirklich? ... Merkst du das jetzt auch? ... Denk' mal: das ist mir schon früher aufgefallen! ... Weiß der Teufel, wie mir sofort alles quer ging ... Meine Gäule lahmten, beim Jeu war ich der sichere Mann, meine Freunde hatten nie Geld, wenn ich welches brauchte ... und mit dem Heiraten ... ja ... ich fand keine! Zu Dutzenden laufen ja die Millionen-Erbinnen nun 'mal nicht in diesem Krähwinkel umher ... und draußen ... auf den Rennplätzen und in Berlin ... Gott ... ich hätt' ja können ... aber weißt du ... ohne Liebe ... nein! Mich direkt verkaufen ... das ist ja einfach unanständig!«
Der semmelblonde Graf seufzte auf ... »Jetzt kommen bei dir kleinem Mephisto die Grundsätze heraus, wo es zu spät ist!«
»Na ja!« Georg warf sich ihm gegenüber in den Sessel ... »ich fing an, Schulden