Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Das Prasseln wurde stärker, es schwoll mehr und mehr an, es gestaltete sich zum Lärm. Vereinzelte Zurufe klangen dazwischen. Auf der Bühne stockte das Spiel. Sie merkte, wie Zajonchek mitten im Satz abbrach, sie glaubte die Kollegen vor sich zu sehen, wie sie wartend auf offener Szene standen, bis der Beifall sich gelegt.
Jetzt schien er schwächer zu werden. Aber plötzlich brach von oben, von der Galerie herunter, von neuem das Klatschen und Prasseln los und ging durch alle Ränge des Hauses. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, während sie reglos, mit zitterndem Herzen, an der Tür stand.
Dann wurde der Lärm allmählich wieder schwächer. Sie horchte bang, bis das letzte Klatschen verhallt sei. Doch mit einemmal schwoll der Beifall, als er eben zu versiegen drohte, abermals zu seiner früheren Stärke an.
Nun endlich verklang er. Ein paar Handflächen schlugen noch aneinander, ein abmahnendes sanftes Zischen tönte dazwischen, die Darsteller nahmen ihr Spiel wieder auf, und in ihre Worte mischte sich noch minutenlang das Summen und Brausen des aufgeregten Parketts.
Wie im Traum ging Valeska langsam nach hinten.
Seltsam ... es war doch alles noch so, wie wenige Minuten zuvor. Die staubigen Versatzstücke in den Ecken, die Arbeiter in ihren Leinwandkitteln, das dämmernde Schweigen ringsumher. Und doch kam ihr das alles so vergoldet und erhellt und so farbig leuchtend vor, als lächle durch das Schnürwerk der Soffitten die Maiensonne direkt auf die Bühne des Westend-Theaters herab.
Sie wußte kaum, wie ihr geschah. Eine Menge Menschen drängten sich im Garderobengang und auf der Bühne an sie heran und gratulierten ihr flüsternd und geheimnisvoll zu dem Erfolg, dem Beifall des Premierenpublikums auf offener Szene. Und sie reichte jedem die Hand, dem Inspizienten, den Kollegen, den Garderobieren, selbst einem alten Theaterarbeiter und einem Feuerwehrmann, der schmunzelnd in der Nähe stand. Aber sie tat es mechanisch und sprach ebenso mechanisch ihren Dank.
Und dann sah sie plötzlich einen korpulenten, alten Herrn in Frack und weißer Binde vor sich stehen, der ihr die Hände drückte und sie belobte, und sie entsann sich, daß das ja ihr Direktor sei. Eben wollte sie ihm irgend etwas antworten, als von der Bühne das leise Surren des Vorhangs tönte. Der Akt war zu Ende.
Ein matter Beifall rang draußen mit heftigem Zischen.
»'raus, liebste Elten!« Hochmann schob sie zur Tür. »Rasch ... rasch!«
Kaum war sie auf der Bühne, als das Zischen in dem Applaus verklang, der sich jäh und brausend erhob. Bravorufe ertönten aus den Sperrsitzen und den Logen. Sie faßte instinktiv nach Zajoncheks Hand und verbeugte sich mit schüchternem Lächeln.
Dann fiel der Vorhang und stieg wieder, und wieder scholl einmütiger Beifall, als sie sich zeigte, und wiederholte sich vier-, fünfmal.
Die Opposition hatte indessen geschwiegen. Jetzt erst, wo die Elten ihre Ehren eingeheimst, die man ihr gönnte, begann aufs neue der Sturmlauf gegen das Stück, und durchdringend und unermüdlich spann sich das Zischen von einer Beifallspause in die andere hinüber.
»Gilt denn das Zischen auch mir?« fragte die Elten, vor Aufregung zitternd.
Hochmann schüttelte den Kopf.
»Kein Gedanke! Ihr Erfolg steht fest! Das gilt dem Stück. Sie wollen's umbringen. Liebste Elten ... retten Sie sie, die ›Lilith‹! ...«
Die kleine Elten warf siegesfroh den Kopf zurück. Jetzt fürchtete sie das Premierenpublikum nicht mehr, im Gegenteil, sie empfand eine Art von inniger Zuneigung zu diesen guten Menschen da unten, die soviel Freude an ihrem Spiel hatten.
»Ich rette das Stück, Herr Direktor!« sagte sie stolz. »Ich reiß' es an den Haaren durch dick und dünn!«
Ein übermütiges Kraftgefühl schwellte ihr die Brust. Sie konnte ein leichtes Rachegelüst nicht unterdrücken.
»Und glauben Sie mir ...«, sagte sie, »ich hätte auch die ›Ellinor‹ seinerzeit herausgerissen, wenn ich nicht darin die Rieke hätte spielen müssen ... diese Rieke ... diese ...«
»Ja ... aber, liebes Kind ...«, Hochmann seufzte auf, »wer konnte dann das ahnen? Und Sie wissen ja, was der alte Laube immer sagte: ›Beim Theater ist nur eines gewiß: Es kommt alles anders!‹ ...«
XXIV.
Ein aufgeregtes Stimmengewirr drang während der großen Pause durch das ganze Theater.
Man lärmte und gestikulierte in den Logen, deren Türen jetzt offen standen und ununterbrochen die Besucher ein- und auspassieren ließen, in dem halbleeren Parkett, am Büfett, wo das Münchener Bier in Strömen schäumte, und vor allem im Foyer und in den Wandelgängen.
Hier war kaum möglich, durchzukommen. Die Menschenklumpen stauten sich aneinander, sie lösten sich auf und schlossen sich fast sofort zu neuen, nervös debattierenden Gruppen zusammen, zwischen denen nur mühsam einzelne der Geschäftigsten durchzuschlüpfen, sich zu suchen und einander zuzuwinken vermochten. Es war erstickend heiß. Überall wehten die Fächer, die Damenschleppen rauschten, die Kellner drängten sich mit hochgehobenem Biertablett durch das Gewühl, und über alles hin zitterte aus Hunderten und aber Hunderten von Kehlen ein brausendes, aufgeregtes, vielfach zerrissenes Getöse, aus dem immer wieder der Name Valeska Eltens scholl.
Um das Stück kümmerte man sich wenig. Das galt für so gut wie verloren. Aber die Elten! ... Das war die Sensation des Abends. Man hatte ganz unerwartet und überraschend ein neues Talent entdeckt, und man kam sich sehr wichtig und verdienstvoll angesichts dieser Tatsache vor, gerade weil sie so verblüffend kam und das blasierte Premierenpublikum in der angenehmsten Weise über einen sonst halb verlorenen Abend hinwegtäuschte.
Nun regte sich auch schon überall der Stolz des Entdeckers. Man wollte doch nicht umsonst in der Lage sein, im Laufe der nächsten Tage auf den Tiergartendiners beiläufig zu erwähnen, daß man natürlich auch dabeigewesen, als die Dingsda, die kleine Elten, am Sonnabend im Westend-Theater entdeckt worden sei! Man mußte doch etwas Rechtes aus der Angelegenheit machen; und so wurde die Verkörperung der »Lilith« immer leidenschaftlicher und enthusiastischer gepriesen, je mehr die große Pause sich ihrem Ende nahte. Denn die Weltstadt besitzt keinen Gradmesser. Maßlos und ungeheuerlich, wie ihre stumpfe Gleichgültigkeit gegenüber allem heißen Wollen, wie ihre Brutalität gegenüber allem werdenden Können ist auch ihre leidenschaftliche Anbetung des Gelungenen, des Erfolges. Fühllos, vernichtend und befruchtend zugleich, wie die Natur, erkennt die Weltstadt nur das eine an, das ihr imponiert: die Kraft des Vollbringens; ja sie überschätzt sie im Taumel des Augenblicks.
Aber sich diesem Taumel zu entziehen, ist schwer, und es mochten im Westend-Theater jetzt nur wenige skeptische Premierenkenner sich im Innern sagen, daß man nach einigen Monaten bedeutend nüchterner über Valeska Elten urteilen würde.
Schließlich ... wenn das auch so kam ... für die kleine Elten war das einerlei. Bis dahin war ihr Name überall in den Berliner Zeitungen und den großen Provinzblättern genannt, alle Agenten und Direktoren waren auf sie aufmerksam geworden, in ihrem Schreibpult lagen ein halbes Dutzend erster Rollen und ein vorteilhafter neuer Kontrakt mit dem Westend-Theater. Ist man erst einmal so weit und dabei nur leidlich seiner Aufgabe gewachsen, so hat man auf Jahre hinaus im Berliner Kampf ums Dasein gewonnenes Spiel ...
»Eigentlich ist das Ganze doch mein Werk!« sagte Herr von Seybling in der Proszeniumsloge, reckte seine mächtigen Glieder und stieß die Tür zum Bühnenraum auf.
Dort stand die Elten, von einem Haufen Menschen umgeben, halb lachend, halb weinend, und vor Aufregung am ganzen Leibe zitternd. Sie konnte den Beginn des dritten Aktes kaum erwarten.
Als sie Seybling sah, eilte sie ihm herzlich entgegen und streckte ihm beide Hände hin.
»Schönsten Dank, Herr Baron!« sagte sie fröhlich. »Das war der beste Rat, den ich in meinem Leben bekommen hab'.«
Der Dandy beugte sich über