Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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... das sind ja merkwürdige Dinge, die wir hier erleben ...« Der Direktor öffnete mit raschem Entschlusse die Tür zum Nebenzimmer ... »... Herr Reichau ... bitte ... entwerfen Sie eine Notiz für die Blätter, daß an Stelle des plötzlich erkrankten Fräulein Dobschütz am Sonnabend Fräulein Elten die Titelrolle in ›Lilith‹ spielt.«

      »Gott sei Dank!« Valeska atmete aus tiefster Brust auf. »... Aber wer bekommt denn nun meine Astild?«

      Richtig ... die Astild!

      »Vielleicht Fräulein Neumann?« wagte Valeska hoffnungsvoll zu bemerken. Der schnippischen Blondine hätte sie die Schundrolle am ersten gegönnt.

      Und wirklich ... ehe noch Grillon zugunsten seiner Freundin intervenieren konnte, sagte Hochmann zu Valeskas inniger Genugtuung in gleichgültigem Tone: »Meinetwegen die Neumann ... ich habe schon damals zwischen ihr und Ihnen geschwankt.«

      »Und nun, liebe Elten,« wandte er sich dann ernst an sie, »halten Sie diese Woche die Ohren steif! Am nächsten Sonnabend geht's für Sie um Kopf und Kragen ...«

      Vor dem Theater hatte Zajonchek ungeduldig auf Valeska gewartet. Nun ging sie an seiner Seite durch das Brausen und Fluten der Potsdamer Straße dahin.

      Sie hatte ihn gebeten, sie spazieren zu führen. Sie könne es jetzt nicht zu Hause aushalten. Es dränge sie nach einem Orte, wo recht viel Lärm und Getümmel sei. Ihr war es, als müsse sie Berlin in seinem gewaltigsten, mitleidlosen Getriebe aufsuchen, dies Berlin, mit dem sie sich in wenigen Tagen zum Kampf um Sein oder Nichtsein messen sollte.

      »Sag' ... Maus ... hast' denn gar keine Angst?« fragte Zajonchek sie erstaunt.

      Sie schüttelte träumerisch lächelnd den Kopf.

      »Wovor sollte ich mich denn fürchten? Du bist ja bei mir ... heute und am Sonnabend ...«

      XXII.

       Inhaltsverzeichnis

      Eine endlose Wagenkolonne schob sich langsam an dem hell erleuchteten, menschenwimmelnden Portal des Westend-Theaters vorbei. Bis weit die Straße hinauf wehten im Abenddunkel die hochgestellten Peitschen und blinkten die Helme der Schutzleute, die fluchend und schreiend die Reihen auf und nieder ritten. Am Eingang tönte in regelmäßigen Abständen das Klappen der Wagentüren und das »Los!« des Schutzmanns. Dazwischen strömten die schwarzen Schwärme der Fußgänger auf dem Trottoir dahin, an dessen Rande schon hundert Schritt vor dem Schauspielhause das Spalier der Programmverkäufer begann und mit seinem näselnden »Theaterzettel gefällig? ... Theaterzettel!« die Passanten bis zum Eingang verfolgte.

      Dort trieb, in scheuem Bogen die Polizei umkreisend, die Gilde der Billetthändler ihr Wesen. Vertraulich raunend drängten sich die dunklen Gestalten heran. »Es ist drinnen alles ausverkauft, mein Herr!... Parkettplatz, mein Herr!... Sehr schöner Parkettplatz... ganz vorn... sehen Sie nur nach, mein Herr... es ist drinnen alles ausverkauft...«

      Und wirklich war drinnen im Vorraum der Billettschalter durch eine grüne Gardine verhüllt, und vor ihr hing – nach einem geheimnisvollen Naturgesetz wie immer schief – das Papptäfelchen mit dem lakonisch-stolzen Worte: »Ausverkauft.«

      Je mehr Ankommende mißmutig vor diesem Täfelchen kehrtmachten, desto mehr verstärkten sich die flüsternden und zankenden Gruppen, die draußen in dunklen, zugigen Straßenecken um den Preis der Billette feilschten, bis endlich der Kauf – gegen das Drei- und Vierfache des Kassenpreises – abgeschlossen war.

      Aber es waren meist nur Fremde und vereinzelte Börsianer, die diesem Zwischenhandel ihren Tribut entrichteten. Die große Menge des Publikums war längst – zum Teil seit einer Woche und mehr – mit Einlaßkarten ausgerüstet. Man sah es an den sicheren, eiligen Schritten, mit denen alles dem Theater zustrebte und ohne Umschauen und Fragen sich in Foyer und Garderobe zurechtfand, daß keine gewöhnliche Zuschauerschaft sich heute versammelte. Das Premierenpublikum gab sich hier im Westend-Theater sein Stelldichein, dem deutlich ein Anstrich von Geschäftsmäßigkeit und berufsmäßigem Interesse anhaftete.

      Und gar in dem Parkett selbst, das sich rasch dichter und dichter füllte, konnten die paar anwesenden Fremden glauben, sich inmitten des Publikums eines kleineren Provinztheaters zu befinden. Ein jeder der Ankommenden schien den andern zu kennen. Wer eintrat, grüßte rechts und links, schüttelte da und dort den Herumstehenden die Hände, nickte Ferneren über die Bänke hin vertraulich zu und verbeugte sich zu der Logenbrüstung hinauf, die bereits ein ununterbrochener Kranz buntfarbiger Toiletten einrahmte.

      Freilich gingen auch viele schweigend aneinander vorüber und übersahen sich nach allen Regeln der Kunst. Aber die kannten einander erst recht. Das waren die intimen Feinde in dieser durch Interessenkonflikte und Kunstdoktrinen tausendfach gespaltenen Gemeinde.

      Das Premierenpublikum war unter sich! Man konnte die paar unbekannten Menschen zählen, die meist etwas gedrückt und verwundert in diese lärmende, lachende und durcheinander schwätzende Menge schauten. Sonst nur Leute, die »zum Bau« gehörten oder wenigstens des festen Glaubens lebten, daß ohne sie das gefürchtete Votum des Berliner Parketts, dieser ersten und beinahe einzigen Instanz für die moderne Bühnendichtung deutscher Zunge, unvollkommen und schief ausfallen müsse. Die Überzeugung von der Wichtigkeit dieser Mission war unverkennbar. Sie spiegelte sich trotz alles blasierten Plauderns und Witzelns in der Haltung der Versammlung wider. Ein nervöses, fiebriges Interesse für die Dinge, die da kommen sollten, lag wie eine elektrische Spannung in der schwülen Luft, bereit, je nach dem Verlaufe des Abends sich in tosenden Beifallsstürmen oder brausendem Hohngelächter zu entladen. Warm und lebendig war dies Interesse nicht – im Gegenteil ... es lag etwas Grausames, etwas Kampflustiges und Schadenfrohes von Anbeginn an darin, aber es war doch eben ein Interesse, in seiner zitternden, alles vorausahnenden und vorausfühlenden Empfangsfähigkeit, verblüffend für jeden, der nur den bleiernen Gleichmut eines philiströsen Provinzpublikums kennt.

      Und immer neue Schwärme drängten sich durch die Türen. Es schien, als sei das Theater schon bis auf den letzten Platz gefüllt, und doch nahm der Zuzug kein Ende, während draußen schon mahnend über alle Gänge und Treppen hin das durchdringende Zittern der elektrischen Klingeln tönte ...

      In einer Loge des ersten Ranges saß Thilda Thorbeck an der Seite ihres Bräutigams. Sie hatte ihm zwar versprechen müssen, für die nächsten Jahre überhaupt gar nicht an das Theater zu denken, geschweige denn eine Vorstellung zu besuchen, aber in diesem einen Falle, wo es sich um den Triumph oder die Niederlage ihrer kleinen Kollegin handelte, machte man eine Ausnahme.

      Hinter ihr hustete und stöhnte Onkel Klaus aus der Neumark. Er war sehr unwirsch. Dies Premierentreiben mißfiel ihm. Auch entdeckte er, soweit er schaute, keine Bekannte. Lauter fremde, unheimliche, aufgeregte Gesichter.

      Und er wußte so genau, wo er jetzt seine Freunde finden würde! Die konservativen Abgeordneten saßen jetzt im Hofbräu in der Französischen Straße und im Leistbräu gegenüber dem alten Reichstag, die Herren seines früheren Regiments kneipten im Pschorrbräu in der Friedrichstraße, während andere dasselbe Bräu in der Potsdamer oder das Bürgerbräu der Leipziger Straße zum Abendtrunk vorzogen. Und ebenso würde es in den Reichshallen, dem Wintergarten, in der Weinstube des Kaiserhofs oder bei Hiller an Bekannten und Verwandten aus der Mark nicht mangeln.

      Statt dessen saß er jetzt hier in einem Theater, in dem er nicht das geringste zu tun hatte. Was sollte er eigentlich hier? Er war es gewohnt, wenn er nach Berlin kam, entweder mit seiner Gattin und den halbflüggen Töchtern einmal in das Königliche Schauspielhaus oder aber allein im Räuberzivil in das Residenz-Theater zu einem Pariser Sittenstück zu wandern und dann noch einmal en famille den Zirkus Renz aufzusuchen. Auch in »Charleys Tante« hatte er sich vortrefflich amüsiert. Aber diese eleganten Berliner Modetheater mit ihrem blasierten Börsianerpublikum flößten ihm einen unüberwindlichen Abscheu ein.

      Neben ihm saß der Major von Rönne, schweigsam und ernst.

      Desto mehr sprach sein Bruder. Er machte im Verein mit Thilda die beiden Herren auf


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