Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.fielen sich lachend in die Arme.
»Und nun gestehe mir, Maus ...«, sagte Zajonchek, während sie zusammen im Abenddunkel dem Westend- Theater zuschritten, »gestehe mir ... wer war dieser Baron heute vormittag?«
»Ein Liebhaber von mir!« lachte die Elten mutwillig. »Du weißt gar nicht, wie viele ich hier hab' ... ich verdrehe jedem den Kopf, den ich will ... merken Sie sich das, mein Herr ...«
»Und welche Nummer hat der?« scherzte ihr Begleiter und drückte im Gehen ihren Arm fest an sich.
»Herr von Seybling? Das ist mein drittes Schlachtopfer ... in Berlin ... aber nein ... nun im Ernst gesprochen ... Er war also heute zum zweiten- und letztenmal bei mir ...«
»Und was wollte er?«
»Er sagt, du hättest einen sehr guten Geschmack!«
»Und deswegen ist er die drei Treppen hinaufgestiegen?«
»Nein!« erwiderte die kleine Elten und sah in stiller Zärtlichkeit zu ihrem Freunde empor. »Er brachte mir einen guten Rat mit. Ich will ihn auch befolgen. Er meint, ich solle die Rolle der Lilith in aller Stille lernen. Dann bekäme ich sie vielleicht einmal, wenn die Dobschütz krank würde oder so was ...«
Zajonchek sann nach.
»Recht hat er! Soll ich's dir einstudieren?«
»Ach, das wäre reizend!« Valeska schlug wie ein Kind die Hände ineinander. »Und dann spielten wir ja den ganzen Abend zusammen, denn du hast ja die Hauptrolle im Stück ...«
»Nun eben ... da wollen wir nächste Woch' gleich anfangen!«
»Aber Seybling meinte, ich müsse bis Montag die Rolle können!«
»Bis nächsten Montag! Das ist ja Unsinn!«
»Ich weiß auch nicht, warum. Aber er hat es mir dringend geraten. Ich hab' den Nachmittag auch schon angefangen.«
»Ach geh ...«, meinte der Schauspieler, »so pressiert's nicht ... na ... jetzt kommen wir wohl gar zu spät!«
»Ja ... es scheint so!« sagte die Elten, während sie dem Theaterportal zuschritten. »Man sieht keine Wagen und keine Menschen mehr. Und heute, am Sonnabend und bei einer Neueinstudierung, müßte das Haus doch endlich mal voll sein.«
»Aber nein!« Zajonchek sah auf die Uhr und blieb im Foyer stehen. »Es fehlen ja noch drei Minuten an halb acht ... es hat noch nicht angefangen ... 's ist bloß keine Katz' im Theater ...«
Beide blickten durch eine offene Logentür in den Zuschauerraum. Großer Gott ... was war das Haus leer!
Vorn zwei, drei Reihen zahlender Sperrsitzinhaber, dahinter, um nur ein bißchen das Parkett zu füllen, sorgsam über alle Bänke hin einzeln verstreut, einige Dutzend Freibillettempfänger. In den Parkettlogen ein paar Menschen, im ersten Rang so gut wie niemand ... das Ganze ein trostloser Anblick.
Die wenigen Besucher machten einen verdrossenen, gelangweilten Eindruck. Man sah ihnen das unbehagliche Gefühl an, das sich in einem leeren Hause von selbst erzeugt.
Und aus dem Zuschauerraum, in dem das leise Gemurmel der vordersten Parkettreihen beinahe unheimlich verhallte, kroch dies Unbehagen hinaus in die Gänge und Foyers. Es nistete in den leeren Garderoben, wo mürrisch die alten Frauen saßen und die langen Reihen der leeren Kleiderhaken betrachteten, es spiegelte sich in den Gesichtern der Logenschließer, die heute fast ihren ganzen Vorrat an Theaterzetteln unverkauft wieder zurückgeben und auf Trinkgelder verzichten mußten, es brütete über dem Büfett, dessen Pächter und Kellner mißmutig auf die nutzlos aufgetürmten Schinkenbrötchen und das angestochene Bierfäßchen blickten.
Wie ein erkältender Hauch ging es durch die schweigenden Räume. Ein dicker Herr kam aus dem Parkett zurück, ließ sich Hut und Mantel wiedergeben und ging weg.
Seine schweren Tritte verklangen in dem kahlen Flur.
»Entsetzlich leer heute!« sagte Mary Esser, die schöne Frau des Väterspielers Frey, die mit ihrem Manne sich ebenfalls das Stück ansehen wollte, zu der Elten, ihrer Kollegin. »Es ist ja freilich diesen Abend Premiere im Spree-Theater ... aber trotzdem ... an einem Sonnabend! ... Nicht einmal die Vereine wollen mehr heran ... wie soll das nun die ganze Woche werden?«
»Flau wird es!« murmelte der finstere Väterspieler. »Zwölfhundert Mark Tageskosten und zweihundert in der Kasse ... das gibt keine Rechnung ...«
»Und wissen Sie das Schlimmste?« Frau Esser beugte sich zu Valeskas Ohr. »Ich höre eben, die Dobschütz soll krank sein!«
Die Elten fuhr auf.
»Wenigstens sagt es meine Schneiderin!« fuhr die andere fort. »Sie kam von dort und wurde vom Mädchen nicht vorgelassen, weil die Dobschütz im Bett liege. Wenn es auch nur ein vorübergehendes Unwohlsein ist ... denken Sie nur ... wer soll die Lilith spielen? Und aufschieben läßt sich's ja kaum mehr!«
Da klangen die elektrischen Klingeln. Das Stück sollte beginnen. Das Ehepaar Frey trat in die Loge.
Valeska zog ihren Freund beiseite.
»Ich gehe nach Hause!« sagte sie, und ihre Stimme klang heiser vor Aufregung. »Ich lerne die Rolle der Lilith! Morgen früh mußt du kommen und mir sie einstudieren helfen.«
»Ja ... wenn die Dobschütz wirklich krank ist ...« Zajonchek war ganz verwirrt. »Aber wieso wußte denn dieser Baron Seybling heute vormittag schon davon? Das begreife ich nicht ...«
»Du begreifst noch vieles nicht!« sagte die kleine Elten und trat zur Garderobe, um sich Hut und Mantel wiedergeben zu lassen. »Und nun bringe mich vor meine Haustür. Jede Minute ist kostbar ...«
XXI.
Es war zwei Uhr nachts.
Lange schon schliefen die Damen der Pension Haidenschild den Schlaf der Gerechten. Auch die Herren kamen allmählich nach Hause. Man hörte, wie sie eine Weile in ihren Räumen herumrumorten und die Stiefel vor die Tür setzten. Dann verlosch das Licht, und alles wurde wieder still.
Nur in Valeskas Zimmer brannte immer noch die Lampe, und sie selbst ging, im weiten blauen Schlafrock, gelbe Mikadopantöffelchen an den Füßen, rastlos murmelnd auf und nieder.
In der Hand hielt sie ein Blatt Papier, auf dem sie die Stichworte des ersten Aktes untereinander geschrieben hatte. Sie überhörte sich. Es ging! Nur selten mußte sie einen Blick auf das Buch werfen, das neben der Lampe aufgeklappt auf dem Tisch lag. Den Text ihrer Rolle hatte sie darin mit blauem, die Stichwörter mit rotem Stift angestrichen.
Sie machte eine kleine Pause, um von dem schwarzen Kaffee zu schlürfen, der über einem Spiritusflämmchen warm stand.
Dann griff sie nach dem Buche und nahm den zweiten Akt in Angriff.
Sie war todmüde. Aber sie konnte sich nicht setzen. Sie war nun einmal gewohnt, im Gehen zu memorieren, und hatte das schon oft, wenn sie den Tag über acht Stunden und länger während der Probe, der Vorstellung, des Kleideranprobierens usw. auf den Beinen gewesen war, des Nachts beim Rollenlernen schmerzlich empfunden.
Aber freilich nie so wie heute, bei dieser Kraftprobe, die sie sich auferlegt.
»Es muß sein!« sagte die kleine Elten mit finsterer Energie vor sich hin. Und wieder ging sie in lautlosen, langsamen Schritten durch das Zimmer hin und her, in dem das leise Summen der Spiritusmaschine die einzige Begleitung zu ihrem eintönigen Murmeln bildete.
Auch auf der Straße war es jetzt ganz still.
Ein Glück, daß der südamerikanische Attaché nebenan noch nicht zu Hause war. Der hätte sich am Ende ihr halblautes Memorieren verbeten. Aber Gott weiß, wo der jetzt herumbummeln mochte.
Und weiter und weiter lernte sie. Der Hinterkopf begann sie zu schmerzen, die Augen fielen