Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.klang rechts und links das Gespräch an ihr Ohr.
Vor wenigen Tagen noch hatte sie nebenan im Hillerschen Lokal mit Thilda und deren Herrn bei dem reizenden kleinen Souper gesessen. Wie anders war das doch gewesen. Damals als eine Dame der Gesellschaft, an der Seite eines Offiziers in Uniform, im offenen Restaurant ...
Und jetzt ... im Chambre séparée ... mit einer Hannemann zusammen! Eine bittere Scham regte sich in ihr.
Nicht, als ob irgend etwas Unschickliches hier gesagt oder getan worden wäre ... durchaus nicht! Aber die ganze Atmosphäre schien ihr wie vergiftet ... diese verstohlen zwinkernden Blicke ... die nur zur Hälfte ausgesprochenen Sätze ... das vielsagende Schweigen ... das ebenso vielsagende Lachen ... das alles flößte ihr ein unbestimmtes Grauen ein.
Und dabei kam sie sich so unbeholfen und töricht vor in der Gesellschaft dieser kühlen Dandys, die alles kannten, alles gesehen hatten und für alles in der Welt nur noch ein ironisches Lächeln besaßen.
Da waren die Bergheimer Husaren doch besser gewesen! Wie friedlich saß man da zusammen in Valeskas engem Wohnstübchen am Markte, ihr Freund Fritz, sein Intimus Aribert Duyn, der jetzt den abscheulichen Brief geschrieben, und noch einer oder der andere Attilaträger.
Und sie hatte draußen auf dem Herde ihre kleinen Kartoffelpuffer gebacken, auf deren Zubereitung sie so stolz war, und hatte sie selbst im koketten Küchenschürzchen knicksend und lachend herumgereicht und das Lob der Herren in Empfang genommen, während ihr Freund das Flaschenbier in die Gläser goß.
Später, wenn alles satt war, kam dann die Bowle oder der Glühwein, je nach der Jahreszeit, und man rückte in dem schummerigen Zimmer traulich aneinander. Sie sang mit ihrer klagenden, kleinen Altstimme: »Behüt' dich Gott ... es wär' so schön gewesen ...«, und die Husaren summten melancholisch den Refrain mit, und alles atmete Freude und Behagen.
Während hier ... die Tränen stiegen ihr ins Auge.
Man bemerkte es nicht. Denn eben machte Käthe den Vorschlag, zu tanzen. Das sei sehr gesund nach Tisch.
Aber wer sollte spielen? Die Damen konnten oder wollten nicht und sahen fragend auf Valeska.
Fügsam ging diese zu dem Klavier, das in der Ecke stand, und begann die »schöne blaue Donau«. Den Walzer konnte sie noch am besten.
Hinter sich hörte sie das Schleppenfegen und leichte Atmen der Hannemann, die mit Sedlek tanzte. Er hielt sie fest umfaßt, und seine Augen funkelten.
Eine tiefe, trostlose Traurigkeit erfaßte Valeska. Das also sollte das Ende sein ... hier ... in dieser Gesellschaft ...
Und plötzlich erschrak sie.
Die Worte gingen ihr durch den Kopf, die sie diesen Morgen noch aus tiefster Überzeugung zu einem Manne, der sie liebte, gesprochen:
»Ich hab' mich nie verkauft, und ich werd' es nie tun, solange ich lebe ...«
Ihre trotzige Verbitterung verflog. Ihr war, als ob sie aus einem bösen Traum erwache.
Da legte sich ihr eine Hand leicht auf die Schulter.
»Verzeihen's, Fräulein!« sagte der schwarze Wiener. »I will mal den Damen aufspüll'n.«
Valeska stand auf und sah, daß Käthe und Fränzchen sich bereit hielten, um miteinander zu walzen. Und schon griff Sedlek virtuos in die Tasten und sang den Text nach Art der »Schrammeln«:
»Dös is mei' Wien ... mei' Wien ... mei' Wien ... Dös is die Stadt, wo i geboren bin ...«
Seybling war neben Hammerschmiedt getreten, um den beiden Mädchen zuzusehen, die sich selig in dem Dreivierteltakt wiegten. Niemand merkte es, wie die kleine Elten lautlos das Zimmer verließ ...
Man würde sie auslachen – das wußte sie –, und mit Seybling hatte sie es für immer verdorben. Aber das war ihr jetzt gleich.
»Besorgen Sie mir ein Coupé!« sagte sie draußen zu dem Portier, der am Türeingang lehnte.
Der Livreeträger machte ein verblüfftes Gesicht. Er ahnte schon, daß zwei Minuten später Seybling in grimmigster Laune vor ihm stehen würde.
Aber schon fuhr ein Kutscher, der die Dame gesehen hatte, in kurzem Trab vor. Valeska nannte ihm ihre Wohnung und sank, schwer aufatmend, in die Polster nieder.
Natürlich hatte sie ihre Streichhölzer vergessen und mußte sich im Dunkeln zu ihrer Wohnung hinauf und den Flur entlang in ihr Zimmer tappen.
Als sie in den dämmerigen Raum eintrat, wäre sie beinahe hingestürzt. Ein plumper Gegenstand befand sich da am Boden und hatte sie zum Straucheln gebracht.
Sie bückte sich und griff danach. Es rauschte und knisterte wie von einem schweren Stoff zwischen ihren Fingern.
Ein wilder Zorn stieg in ihr auf.
Sie riß in der Dunkelheit das unselige Damastkleid aus dem von der Portierfrau gebrachten Toilettenkorb, sie schüttelte es in der Luft und schleuderte es in die Ecke, wo es als ein regelloser Haufen zusammengeballt liegenblieb.
Dann machte sie Licht.
Aus reiner Gewohnheit, weil sie es jeden Abend tat, ging sie zum Ofen, holte ein Kännchen mit warmem Wasser herunter, wusch sich damit das Gesicht und rieb es, während die Haut noch naß war, mit trockener Mandelkleie wie mit Seife ab. Eine feine Schicht Creme Simon kam endlich, als das andere abgespült war, darauf, um die Nacht über da zu bleiben.
Sie seufzte auf, tief und hoffnungslos. Der heutige Tag hatte alle ihre Wünsche und Träume vernichtet.
Aus einem Schubfach nahm sie das Bild ihres verstorbenen Rittmeisters. Das war doch der Mann, den sie am heißesten auf Erden geliebt hatte. Zu ihm flüchtete sie jetzt in ihrer Not, zu ihm, der nun schon lange drüben an den Ufern des Michigansees den ewigen Schlaf schlief.
Sie preßte ihre Lippen auf das Bild und auf den Vers, den er daruntergeschrieben ... sie wußte genau, wann ...
Sie kannte die Worte auswendig:
»Hast du geliebt, spricht dich die Liebe frei!
Des Weibes Liebe ist des Weibes Ehre! ...«
Warum mußte er gerade sterben, er, der Gütige und Edle?
Sie steckte die Photographie unter ihr Kopfkissen und legte sich schluchzend zur Ruhe.
Es war noch früh am Abend, nach Berliner Begriffen ... kaum elf Uhr. Draußen klingelten die Pferdebahnen, man hörte das Lachen und Plaudern der Menschen, das Rollen der Wagen.
In Valeskas Zimmer war alles still.
Erst als draußen, gegen zwei Uhr nachts, das Treiben verstummt war, erhob sie sich plötzlich und glitt wie ein weißer Schatten lautlos durch den dämmernden Raum.
In der Ecke bückte sie sich nieder.
Es war doch schade um das schöne Kleid, wenn es die ganze Nacht zerknüllt dalag ...
Sie öffnete die knarrende Schranktür, hing es auf und strich vorsichtig mit der Hand im Dunkeln die Falten glatt.
Dann legte sie sich wieder hin, still und trostlos.
Nun war ja alles aus ...
XVIII.
Nun war alles aus ...
Valeska stand am Fenster und schaute in den grauen Herbstmorgen hinaus. Und während ihr Blick mechanisch den triefenden, vom Winde schiefgetriebenen Nebelschauern folgte und auf den naß spiegelnden Pflastersteinen hängenblieb, gingen wiederum die Ereignisse des gestrigen Tages durch ihren matten Kopf.
Was hatte sie jetzt noch zu hoffen?
Die paar Menschen, die ihr in guter oder schlechter Absicht hier helfen konnten, waren ihr fremd geworden.
Und