Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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wie Sie es nennen, etwas Ernstliches tun ...«

      »Was soll ich denn tun?«

      »Sich schonen ... Gründlich schonen ... mal ein Jahr ausspannen und vernünftig leben ...«

      »Was nennen Sie denn leben?« unterbrach ihn die Dobschütz gereizt ... »... essen? ... trinken? ... schlafen? ... Das wäre mir nicht der Mühe wert! Mögen sie mich eines schönen Morgens tot im Bette finden, wenn nur bis dahin ...«

      Sie brach ab. Ein krampfhafter Husten erstickte ihre Worte.

      »Nun sehen Sie ...«, der alte Arzt schüttelte den Kopf, »... dieser Husten nach einer kleinen, mühelosen Probe! ... Wie soll denn das werden, wenn Sie diese Rolle erst wirklich spielen? ... Womöglich jeden Abend ...«

      Die Dobschütz schien selbst etwas verstört.

      »Ich kann mich diese Woche des Abends erholen,« sagte sie ... »... wir geben von heute ab bis zur Premiere der ›Lilith‹ die ›Freundinnen‹, das französische Sittenstück, das vor drei Jahren bei uns so viel machte ... darin spiele ich nicht ...«

      Der Sanitätsrat sah nach dem Flurschalter hinüber, hinter dem der Kassierer einsam und schläfrig saß. Denn oft vergingen Viertelstunden, ehe ein Kunde herantrat. »Allzu fieberhaftes Interesse scheint das Publikum an den ›Freundinnen‹ nicht zu nehmen«, meinte er.

      Die Dobschütz zuckte die Achseln.

      »Die Geschäfte gehen überhaupt erbärmlich. Die erste Novität durchgefallen, die zweite von der Zensur verboten und bei den alten Stücken das Haus hundeleer ... im Vertrauen gesagt ... ich glaube ... es ist allerhöchste Zeit, daß wir etwas machen ... die Gefahr steht vor der Tür ...«

      »... Scheint so ...«, meinte der Sanitätsrat nachdenklich.

      »Sie sehen also ... ich kann mich nicht schonen. Ich muß die Lilith spielen, ob es Ihnen recht ist oder nicht!«

      »Tun Sie, was Sie nicht lassen können!«

      Der Arzt lüftete seinen Hut, und sie trennten sich.

      Als die Dobschütz ihre Wohnung betrat, schlug ihr ein leichter Zigarettenduft entgegen, ein Zeichen, daß Seybling auf sie wartete.

      Ein Gefühl freudiger Genugtuung durchzuckte sie, und ein verächtliches Lächeln ging über ihr Gesicht. Da war er also schon wieder, nachdem sie sich erst gestern abend – zum dritten Male in kurzer Zeit – gezankt und in bitterem Zorn getrennt!

      Sie wußte es ja ... er konnte nicht mehr von ihr lassen. Sie war ihm unentbehrlich geworden im Laufe der Zeit. Es fehlte ihm etwas, wenn er nicht bei ihr des Nachmittags seinen Tee trinken und bei ihrem bizarr- geistvollen Geplauder sich von den Geschäftssorgen, dem Gesellschaftszwang und der tödlichen Langeweile erholen konnte, die ihm der Verkehr mit den Damen der Gesellschaft einflößte.

      Langsam legte sie den Mantel ab. Das Treppensteigen hatte sie erschöpft. Sie rang nach Luft. Es war ihr seltsam angstvoll und unbehaglich zumute.

      Am liebsten hätte sie sich gleich hingelegt, bis die Beklemmung in der Brust vorübergegangen. Aber sie wollte Seybling nicht warten lassen und trat in den Salon.

      Das Zimmer war leer, nur die bläulichen Zigarettenwölkchen brauten darin noch auf und nieder, und auf dem Tische lag ein Brief.

      Während sie ihn aufriß, erkannte sie die Handschrift ihres Freundes.

      »Ich habe auf Dich gewartet,« schrieb Seybling, »um Dir noch einmal zu sagen, daß ich des Spieles müde bin und es endgültig und für immer bei unserer gestrigen Trennung bleibt! Leute von Welt wie wir sollten aber nicht als Feinde auseinandergehen. Ich komme noch einmal wieder. Dann wollen wir mit einem ruhigen Shake-hands Abschied nehmen ...«

      Eine Viertelstunde darauf kam Seybling auch wirklich wieder. Er besaß einen Drücker, der den Flureingang geräuschlos öffnete. Die Dobschütz hatte ihm das anfangs sehr übelgenommen, sich aber schließlich achselzuckend in dies Symbol seines stets wachen Mißtrauens gefunden.

      Im Salon sah er die Dobschütz. Sie lag auf einer Causeuse, das Gesicht in den Kissen, seinen Brief zerknittert in der Hand. Es war, als ob sie schluchzte.

      Er trat auf sie zu. Aber dicht vor ihr blieb er erschrocken stehen. Er sah Blut. Blut, das ihr Taschentuch tränkte, Blut an ihrer Hand, auf der Causeuse ... überall.

      Und jetzt erst merkte er, daß im Nebenzimmer Menschen beschäftigt waren, die Kammerjungfer, die bleich und eilig ein Lager richtete, und ein junger Arzt aus der Nachbarschaft.

      Der Arzt erschien auf der Schwelle und sah ihn.

      »Das Fräulein hat einen Blutsturz gehabt,« sagte er rasch und nachdrücklich ... »... es ist keine unmittelbare Gefahr ... aber vollkommenste Ruhe vonnöten ... Es wäre besser, wenn ...«

      »Wenn ich gehe?« ergänzte Seybling mechanisch. Er war wie vor den Kopf geschlagen.

      Der Arzt nickte.

      »Falls irgend etwas nötig ist,« murmelte Seybling ... »die Kammerjungfer kennt mich und meine Adresse ...«

      »Es ist nichts nötig als Ruhe!« Der Doktor warf einen besorgten Blick auf die reglos daliegende Gestalt und drängte den Besucher hinaus ...

      Das alles war so unerwartet, so jäh gekommen. Seybling wußte nicht, ob er wachte oder träumte, während sein Coupé in rascher Fahrt durch die Straßen rollte.

      Wohin fuhr er eigentlich? Richtig ... er entsann sich. »Nach Hause!« hatte er dem Kutscher befohlen, der sich erwartungsvoll, die Hand an der Hutkrempe, vom Bock zu ihm herabgebeugt.

      Er sah durch das Fenster. Das war die Lützowstraße!

      Und in seinem Kopfe, der gewohnt war, rasch, beinahe instinktiv die Konsequenzen eines wichtigen Ereignisses zu ziehen, schoß ein Gedanke auf. Er zog an der Schnur.

      »Halten Sie an dem Hause von neulich!« befahl er dem Kutscher, der wieder stumm an den Hut griff.

      Bald darauf hielt in kurzem Ruck der Wagen, und Seybling stieg die steilen Treppen zu Valeskas Wohnung hinauf ...

      Aber die Elten war nicht allein. Zajonchek saß neben ihr auf dem Sofa, als Seybling eintrat, und hielt ein Blatt Papier in der Hand.

      Er besuchte sie, seit ihrer neulichen Begegnung, täglich unter diesem und jenem Vorwand. Heute handelte es sich um einen eben eingetroffenen Brief seines Töchterchens, den er ihr durchaus vorlesen mußte. Sie werde sich wundern, was das kleine Maritscherl mit seinen vier Jahren schon für schlaue Einfälle habe. Geschrieben habe sie's natürlich nicht selbst, sondern der Wärterin diktiert. Aber der Stil! ... Und offenbar habe sie mit ihrem Fäustchen auch die Feder führen helfen ... das zeigten die Tintenflecke und Krakelfüße zur Genüge ...

      Valeska hatte mit tiefer Teilnahme das Briefchen betrachtet, in dessen Lektüre man durch den Besuch gestört worden war. Nun stellte sie sehr befangen die beiden Herren einander vor und bot Seybling einen Stuhl an.

      Der Dandy setzte sich und schwieg. Der Schauspieler gleichfalls. Eine unbehagliche Pause trat ein.

      »Lassen Sie mir den Brief bis zum Abend da!« sagte endlich die Elten zu Zajonchek ... »... Ich geb' ihn Ihnen wieder, wenn wir zusammen in die ›Freundinnen‹ gehen ...«

      »Da sind schon die Billette ...« Zajonchek zog sie aus der Westentasche halb hervor ... »... Nobel ... Parkettloge ...«

      »Und wenn Sie schreiben ... ach nein ... grüßen können Sie ja das Maritscherl nicht von mir ... schade ... aber ich werde eine große Puppe kaufen und der selbst einen hübschen Anzug machen ... die schicken wir ihr dann ... sie braucht gar nicht zu wissen, von wem ...«

      Zajonchek stand auf.

      »Ich hab's Ihnen ja gleich gesagt ... wer so ein liebes Gesichterl hat wie Sie, der hat auch ein liebes Gemüt ... also ... auf Wiederschauen heute abend ... ich hol' Sie ab ... Servus! ...«

      Und mit einer kühlen Verbeugung gegen Seybling verließ er das Zimmer.


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