Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.sah ihn von der Seite an. Es lag wirkliche Empfindung in seinen Worten. Offenbar tat es ihm wohl, einem weiblichen Wesen, das ihm sympathisch war, von seinen Sorgen zu erzählen.
»Sehen's ... die Mutter ... liebe Kollegin ...«, sagte er träumerisch, »wenn man die nicht hätt'! ... Ich zum Beispiel ... nach alledem, was mir passiert ist ... na ... Sie wissen's ja wohl ... ich wär' wahrhaftig imstande, alle Weiber in Bausch und Bogen zu verwünschen, wenn ich nicht an die alte Frau da unten dächte ... die da in ihrem Stübchen in Bruck an der Leitha sitzt ... alle Wände hat sie mit meinen Lorbeerkränzen austapeziert ... und die da an mich denkt und für mich betet ... schauen's ... da wird einem doch wieder anders ums Herz ... da wird man wieder ein besserer Mensch ...«
Er brach ab.
Valeska sah zu Boden und nickte. Sie fühlte sich gerührt und auch etwas geschmeichelt durch seine Offenherzigkeit.
»Ich hab' so Tage ...«, fuhr Zajonchek fort, »da muß ich davon sprechen ... zu irgend wem ... und Ihnen seh ich's an, Fräulein ... Sie fassen's nicht falsch auf ... Sie haben so ein liebes Gesichterl ... solche herzige Köpferln wachsen halt doch nur in Wien, um unsern alten Stephan 'rum ...«
Die Elten blieb stehen und lachte laut auf.
»Falsch geraten!« sagte sie. »Ich bin aus Eisenach.«
»Schau ... schau!« Ihr Begleiter schüttelte nachdenklich lächelnd den Kopf. »Was die Preußen heutzutag' alles zuweg bringen ...«
»Ja ... um Gottes willen ...«, fragte Valeska, »glauben Sie denn etwa, daß Eisenach in Preußen liegt?«
Jawohl. Zajonchek war dieser Ansicht. »Dort heroben« sei alles preußisch oder so gut wie preußisch. Und Geographie habe er nie behalten können, überhaupt stets die Schule geschwänzt. »Ich bin immer ein Strick gewesen,« meinte er, »solang ich mich erinnern kann.«
Das freute Valeska.
»Das muß doch eigentlich so sein ...«, sagte sie, »bei uns vom Theater ...«
»Natürlich ...«, bestätigte Zajonchek, »oder vielmehr ... man muß so 'ne Mischkulanz von allem vorstellen ... Sie wissen, wie's im Lied heißt: ›Und a bisserl Lieb' und a bisserl Treu und a bisserl Falschheit is allweil dabei ...‹«
»Ja ...«, meinte die kleine Elten, »bequem ist's jedenfalls, wenn man das alles auf Lager hat. Aber ich bin für die Liebe und Treue allein. Die Falschheit können Sie für sich behalten ...«
Aber ihr Begleiter war wieder nachdenklich geworden.
»Ich wär' auch für die Liebe ...«, sagte er und sah träumerisch ins Weite, »wenn halt nur ...« Und plötzlich zu einem anderen Gedanken überspringend, sprach er leise und vertraulich: »Da schaun's her ...«
Er hatte ein Medaillon hervorgezogen und öffnete die Kapsel. Sie blickte neugierig hinein.
Es enthielt das Bild eines niedlichen kleinen Mädchens von etwa vier Jahren.
»Ach ... wie süß ...«
Die Elten sah ihren Begleiter erwartungsvoll an.
»Aufs Frühjahr seh' ich's wieder, mein Maritscherl,« sagte er, und es lag ein zärtlicher Ausdruck in seinen sonst so begehrlich flackernden Augen, »die übrige Zeit ... Sie begreifen ... da ist sie bei der Mutter ...«
»Ach ... Sie Armer! ...« Valeskas Stimme war voll Mitleid. »So ein herziges kleines Ding! ...«
Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, dann blieb sie stehen.
»So ... da sind wir vor Ihrem Hause. Nun bedanken Sie sich schön bei mir! ...«
Zajonchek erfaßte ihre Hand so fest, daß sie zusammenzuckte.
»Wann sehen wir uns wieder?« fragte er und sah ihr erwartungsvoll ins Auge.
Valeska errötete leicht.
»Nun ... übermorgen, denk' ich ... denn da beginnen die Proben zu ›Lilith‹ ...«
»Und Sie spielen mit ... als was denn?«
Sie schaute zu Boden.
»Ich?« sagte sie. »Ich ... ich komme als ein ganz schlechtes Mädchen ...«
»Und ich als ein ausgemachter Bösewicht! ...«
Beide lachten laut auf.
»Wir Armen!« seufzte die Elten mutwillig und reichte ihm nochmals die Hand. »Auf Wiedersehen!«
Eine Viertelstunde darauf saß sie in ihrem Stübchen, Stecknadeln zwischen den Zähnen, mit Nadel und Fingerhut ausgerüstet, und nähte an dem über ihre Knie gebreiteten Damastkleid den Besatz wieder fest. Draußen strömte der Regen, der Wind pfiff durch die menschenleeren Gassen, und auch in ihrem Zimmerchen war es empfindlich kühl. Im Vorflur schimpfte die Haidenschild mit dem Dienstmädchen, die Schottinnen hämmerten auf dem Klavier, der Attaché schnarchte nebenan.
Valeska sann nach.
Warum hatte sie eigentlich Berlin verlassen wollen?
Es war doch wohl nur eine vorübergehende Stimmung gewesen. Gut, daß man sie nicht losließ.
Was sollte sie denn in der Provinz? Diese Misere kannte sie doch nun schon.
Man mußte eben in Berlin Geduld und Ausdauer haben, dann kam auch einmal das Glück.
Und wenn man auch bis dahin so manchen harten Schlag bekam – Valeska sah träumerisch-lächelnd zum Fenster hinaus in das graue, kalte Regengeriesel – so schrecklich war schließlich der Aufenthalt in Berlin doch auch nicht ...
XIX.
»Eigentlich müßte das ein großer Erfolg werden«, meinte Valeska, als sie zwei Tage darauf, mit dem Rollenheft ein leichtes Gähnen verbergend, auf der Bühne des Westend-Theaters stand, »... wenn es schon bei der ersten Arrangierprobe solchen Skandal gibt ...«
Zajonchek wandte sich nach ihr um.
»Das scheint ja ein z'wideres Frauenzimmer zu sein ... die Dobschütz ... ist die immer so?«
»Meistens!«
Die Dobschütz war in der Tat diesen Vormittag unerträglich. Sie hustete nervös in ihr Taschentuch und sprach die Stichworte so leise, daß man sie kaum verstehen konnte. Und kaum hatte Harald Grillon, der in Vertretung des Direktors die Regie führte, sie daran zu erinnern gewagt, als sie mit ihm einen Streit begann, in den auch der mittlerweile herbeigekommene Hochmann selbst verwickelt wurde.
Nach vielem Hin- und Herreden ging endlich die Probe weiter, und zwar in ziemlich raschem Tempo, da es sich heute nur darum handelte, das Drama »Lilith« einzurichten, die Stellungen anzuordnen und die Auftritte und Abgänge zu regeln.
Auch gestrichen wurde fortwährend. Valeska hatte kaum eine Szene, in der ihr nicht Grillon nach kurzer Beratung mit dem Direktor das Heft aus der Hand nahm und den Text der Rolle durch energische Hakenzüge seines schwarzen Bleistifts auf die Hälfte verkürzte. Sie war damit zufrieden. Denn sie merkte schon: Eine »feine Nummer« war diese Astild keineswegs!
Die Dobschütz war zuletzt ganz verstummt und begnügte sich, allen Bemerkungen ein impertinentes Achselzucken entgegenzusetzen. Plötzlich wandte sie sich an den Direktor: Es sei ihr nicht wohl. Sie wolle nach Hause. Ob nicht für den Rest der Probe der Regisseur ihre Rolle lesen könne?
Hochmann machte ein sehr bedenkliches Gesicht. Aber schließlich ... das fehlte noch, daß ihm die Dobschütz jetzt, in dem entscheidenden Moment, krank wurde. So gab er ärgerlich seine Einwilligung.
Die Dobschütz trat auf den Flur hinaus und blieb, da sie den Portier gebeten, ihr einen Wagen herbeizurufen, im Vorraum stehen. Dort traf sie Dr. Mans, den Theaterarzt, der eben auf einen Augenblick vorgefahren.