Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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in jedem Augenzwinkern und Flüstern einen versteckten Hohn zu erkennen.

      Ein verzweifelter Drang ergriff sie, das Premierenpublikum zu sehen, das Ungeheuer, das unheimlich hinter dem herabgelassenen Vorhang summte und brummte.

      Sie ging auf die Szene und blickte durch das Loch in der Gardine hinaus in das Parkett.

      Menschen, überall Menschen, wie sie sie täglich zu Tausenden auf der Straße sah. Lachende, plaudernde, gähnende Alltagsgesichter, an denen durchaus nichts Besonderes zu bemerken war, nicht einmal ein auffallend boshafter oder tückischer Ausdruck.

      Und doch waren diese Leute so grausam gegen sie und blieben kalt bei allen ihren Bemühungen und fällten vielleicht in zwei Stunden, zerstreut zischend und mit den Gedanken schon bei dem warmen Abendbrot, das Todesurteil über sie. Freilich ... sie hatten die Mehrzahl für sich. Achthundert oder tausend Menschen gegen eine arme kleine Komödiantin!

      Bei dem Gedanken mußte sie beinahe lachen. Eine Art Galgenhumor erfaßte sie. Sie würde durchfallen und kühl pfeifend nach Hause schlendern und sich achselzuckend sagen:

      »Na ... denn nicht!«

      Da fühlte sie sich an der Schulter berührt. Zajonchek stand neben ihr. Seine Augen glänzten finster aus dem rosa gepuderten Gesicht.

      »Komm mit!« sagte er kurz, und sie traten in einen Winkel im Hintergrund der Bühne.

      Dort sah die Elten in banger Erwartung zu ihm auf. Er blickte ihr zornig ins Gesicht und faßte plötzlich ihre beiden Hände.

      »Warum spielst du so schlecht?« zischte er zwischen den Zähnen. »Willst du dich mit Gewalt unglücklich machen?«

      Valeska erschrak.

      »Ich kann nicht anders ...«, sagte sie beklommen, »ich habe solche Angst ... Gott ... wenn es nur schon vorbei wäre ...«

      Zajoncheks Augen brannten auf ihrem Gesicht. Sie empfand den Druck seiner Hände und fühlte sich wie hypnotisiert von seinem Willen.

      »Du wirst keine Angst mehr haben!« befahl er leise und herrisch. »Du wirst an mich denken und daß ich neben dir bin, und daß dir nichts passieren kann, wenn du nur halb so gut spielst wie bisher auf den Proben!«

      »Aber das Publikum ...!« stöhnte die Elten.

      »Kümmere dich den Teufel um das Publikum!« sagte ihr Freund barsch. »Das Publikum ist für dich nicht da! Spiele du deine Komödie, so gut du's kannst, einerlei wie's ausgeht! Wir beide behalten uns lieb und heiraten uns, ob du durchfällst oder nicht ... und das ist doch die Hauptsache!«

      Das war wahr! Valeska hatte die Empfindung, als fiele ihr ein Stein vom Herzen. Sie fühlte sich plötzlich frei und leicht.

      »Du Lieber, Süßer ...!« sagte sie zärtlich. »Du hast recht! Nenn ich nur dich hab'! ... Meinetwegen mag dann die abscheuliche Bande da unten tun und lassen, was sie will ...«

      »Sie wird schon mitgehen!« erwiderte Zajonchek mit gerunzelter Stirn. »Sowie du keine Angst mehr vor ihr hast. Denke nur immer daran: Was ist denn das alles hier? Ein kleines steinernes Haus inmitten des riesigen Berlins, dessen Hunderttausende und Millionen sich gar nicht um uns und die achthundert Leute da unten kümmern, und in dem Hause ein buntes Gaukelspiel, so nützlich und so dauerhaft wie ein Regenbogen. In zwei Stunden ist hier alles gewesen! Unsere Worte sind verhallt, das Licht erloschen, und der Hauskater schleicht einsam durch das dunkle Parkett. Und alles war wie ein Traum, ein schöner oder ein böser, je nachdem, und draußen auf den Gassen lärmt das wirkliche Leben weiter, das Leben, das wir beide jetzt in Freud' und Leid miteinander teilen wollen ...«

      Die Elten richtete sich auf, so hoch sie konnte.

      »Ja wirklich ... du hast recht!« sagte sie und sah ihn entschlossen an. »Und nun hab' ich auch wahrhaftig gar keine Angst mehr!«

      Zajonchek drückte ihre Hände zwischen den seinen und sah auf sie nieder.

      »Gut!« sagte er nachdrücklich. »Dann versprich mir, daß du dich jetzt tapfer hältst in unserer großen Szene im zweiten Akt, und daß du gleich unverzagt und mit allen Kräften loslegst, sowie du herauskommst ...!«

      »Ich schwör' es dir!« Valeska blickte kampflustig nach dem Vorhang, als könne sie es nicht erwarten, daß er wieder in die Höhe ginge. »Und wenn ich auch noch bis dahin einmal Angst bekomme, so sage ich mir einfach: ›Um halber dreizehn ist alles aus ... und er behält mich doch lieb ...«

      Der zweite Akt hatte begonnen, mit einer Reihe von Gesellschaftsszenen, in denen Valeska noch nicht beschäftigt war.

      In rascher Kurve senkte sich »Lilith« dem Abgrund zu.

      Das Premierenpublikum fühlte sich durch die zahlreichen kleinen Ungeschicklichkeiten des Anfängerwerkes, die gefährlicher sind als die groben Fehler des Bühnenroutiniers, halb beleidigt und halb belustigt.

      Das Husten im Parkett – ein Zeichen mangelnder Aufmerksamkeit – wurde immer häufiger. Man rückte ungeduldig auf den Sesseln hin und her, man blätterte zerstreut in der Theaterzeitung. Der eine oder andere, der gegen das Werk Stimmung machen wollte, drehte sich, halblaut seufzend, auf seinem Sitz um und musterte gelangweilt die Nachbarschaft.

      Es war schwül in dem halbdunklen, schweigenden Hause. Ein jedes unvorsichtige Wort auf der Bühne konnte die Entscheidung herbeiführen, jenes aus Lachen, Widerspruch und ironischem Beifall gemischte Murmeln und Grollen, das unfehlbar ein Stück zu Grabe geleitet.

      Und schwüler, immer schwüler wurde es, während die Handlung der großen Szene zwischen der Elten und Zajonchek entgegentrieb, mit der der zweite Akt fiel und stand.

      »Daß die Dobschütz auch gerade jetzt krank werden mußte!« murmelte Hochmann in seiner Loge grimmig vor sich hin und warf einen spähenden Blick auf das in gereizter Aufmerksamkeit sich zurechtsetzende Parkett. Die Operngläser hoben sich, das Husten verstummte, es wurde still, während Valeska auftrat ...

      Ihre ersten Worte erstaunten. Die Stimme klang hell und frisch und so sicher, daß man sie kaum wiedererkannte.

      Und ebenso war es mit dem Spiel. Das war frei und lebendig vom ersten Schritte an, den sie auf die Bühne getan. Und es entwickelte sich immer stärker und temperamentvoller, je mehr die Szene aus der verhaltenen Leidenschaft des Anfangs zu schrankenlos losbrechendem Sturme fortschritt. Man merkte es ihr an, daß sie jetzt erst die Hilfsmittel ihrer Kunst beherrschte und so erst die Kraft gewann, die tiefe, heiß strömende Empfindung zu offenbaren, mit der die Rolle sie erfüllte.

      Jetzt war es totenstill im Hause. Niemand sah sich um. Niemand las den Zettel. Die kleine Elten interessierte! Die schwüle Stimmung ließ nach. Ein gespanntes, hoffnungsvolles Lächeln zeigte sich auf einzelnen Gesichtern.

      Und wie ein magnetischer Strom flutete die versöhnliche Atmosphäre aus dem Zuschauerraum hinauf auf die Bühne. Valeska wußte nicht, ob sie gefiel oder nicht, sie kümmerte sich nicht darum, aber sie fühlte ihre Kräfte wachsen, sie empfand, wie alle Register der Stimme, alle Farbentöne der Leidenschaft mühelos ihrem Willen gehorchten, und ließ sich von Zajoncheks temperamentsprühendem Spiel fortreißen, daß die Szene wie ein heißer Wirbel über die Bühne flog.

      Nun kamen ihre letzten Worte. Sie sprach sie schon dicht an der Tür, durch die sie, die verlassene Kleine, für immer von dem Geliebten gehen sollte. Vor ihr stand Zajonchek, dahinter lag in unbestimmtem Halbdunkel der merkwürdig klein erscheinende schweigende Zuschauerraum.

      Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen.

      »Und ihr, die ihr im Weibe jetzt die Dirne und jetzt die Heilige seht, die ihr heute vor uns kniet, um uns morgen in den Staub zu treten – dir und deinesgleichen sag' ich: Ich bin dasselbe wie du ... ein Mensch wie du, nicht besser und nicht schlechter! Und wenn du meiner dereinst gedenkst, wirst du's erkennen und von mir sagen: Sie war, was wir alle hier sind auf Erden ... in Lachen und Weinen und Lieben ein armes Menschenkind!«

      Die Tür fiel hinter Valeska zu. Sie blieb atemlos an dem Leinwandgestell stehen. Das Blut hämmerte in ihren Schläfen, und vor ihren Augen tanzten flimmernde Punkte.


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