Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Schriftsteller, die die Direktion zu solchen feierlichen Gelegenheiten einlud, und zwischen diesen Solokrebsen der Literatur, wie er sich in frivoler Weise ausdrückte, die weitbekannten anderen Berliner Bühnenleiter mit ihren Frauen, die nicht beschäftigten oder aus fremden Theatern gekommenen Modeschauspielerinnen, die, vom ganzen Publikum lorgnettiert, bekrittelt und bestaunt, von der Logenbrüstung herab heute, unbefangen lächelnd und fächelnd, ohne Gage mitspielten, die Intendanten und Direktoren aus der Provinz, die zufällig in Berlin anwesend oder eigens zur Premiere der »Lilith« gekommen waren.
Und dann wies er ihnen unten in dem ungeduldig murmelnden und schwatzenden Parkett die markantesten Erscheinungen. Eine Anzahl Berliner Dramatiker, die großen Theateragenten und Bühnenverleger, ein paar Komponisten, Künstler und Gelehrte, und überall an den Ecken der vorderen Parkettreihen die Kritiker der bedeutenderen Blätter, die wie gewöhnlich im letzten Moment erschienen und eilfertig ihren gewohnten Plätzen zustrebten. Dazwischen die Feuilletonkorrespondenten auswärtiger Zeitungen, Schriftstellerinnen, haarbuschige Jünglinge auf -ismus, die schon am Nachmittag im Café Kaiserhof erklärt hatten, daß die ganze Sache wieder einmal »ein kolossaler Mist« sei, harmlose Kriminalschutzleute in Zivil, die ab und zu mit raschem Blick durch das Parkett nach den ihnen wohlbekannten Gesichtern der Berliner Taschendiebsgilde spähten.
In den Parkettlogen einige der bekannten Premierenschönheiten, lachend, plaudernd und befreundeten Damen zunickend, an der Seite ihrer Männer, hinter ihnen da und dort die funkelnden Uniformen der Garde-Kavallerie und in schlichtem schwarzen Zivil einige höhere Offiziere z. D., die nach ihrer Pensionierung mit der Literatur in Fühlung getreten waren.
Und im Proszenium endlich das Highlife, schimmernde Hemdbrust, schwarze Atlasbinden, glänzende Kahlschädel und blinkende Monokels, Leute vom Schlage Seyblings und seiner Freunde, die eine ganze Loge dicht an der Bühne innehatten.
Nun war das Haus ganz gefüllt und das erste Glockenzeichen verklungen. Ein ungeduldiges Summen und Surren webte durch die lichtüberfluteten Ränge, eine ununterbrochene nervöse Bewegung, ein Grüßen und Winken und Sichverbeugen und Zulächeln. Die Parkettstühle klappten, die Theaterzettel knisterten, die von Dunst, Staub und Parfüm erfüllte Luft begann drückend heiß zu werden, und von der Decke her spiegelte sich in breiten bläulichen Strahlen das elektrische Licht auf den schimmernden Damentoiletten, dem Samt der Logenbrüstungen und den blanken Köpfen im Parterre, das immer noch unruhig durcheinanderwogte.
Da das zweite Zeichen. Das Haus verfinstert sich. Im Augenblick hat alles Platz genommen und setzt sich mit kurzem Räuspern zurecht. Und mit dem dritten Glockenschlag rollt lautlos der Vorhang vor einem Publikum in die Höhe, das, wenn es kein anderes Lob verdiente, doch an atemloser Aufmerksamkeit sicher von keiner Zuhörerschaft Europas erreicht wird.
Valeska trat aus ihrer Garderobe. Sie kam erst in der dritten Szene auf die Bühne.
Die Friseuse, die Ober- und Untergarderobiere, ein ganzer Schwarm weiblicher Wesen umringte sie. Der Inspizient wich kaum von ihrer Seite. Auf seinen Wink hatte ein Theaterarbeiter sofort einen Stuhl herbeigetragen, damit sie sich noch etwas ausruhen solle. Die Kollegen traten heran und schüttelten ihr die Hand – selbstverständlich ohne den unheilbringenden Glückwunsch auszusprechen. Im Gegenteil, die Mizi sagte ihr freundlich: »Brechen Sie sich's Genick!« und dachte ihr damit etwas Liebes zu erweisen. Andere, wie die Ilgen und die Hannemann, hielten sich freilich abseits, und ihr schadenfrohes Lächeln sagte deutlich genug, was sie dachten. Aber das eine fühlte doch Valeska stolz und deutlich: Heute war sie die Herrin hier, sie, die vor kurzem noch eine Rieke und dergleichen gespielt. Von ihr hing Glück und Unglück dieser kleinen Welt heute abend ab.
Sie war nicht einmal eigentlich aufgeregt. In wenigen Stunden – das wußte sie – war die Entscheidung gefallen. Sie konnte sie nicht mehr ändern. Sie konnte nichts tun, als ihr Bestes zu geben.
Zajonchek war schon draußen. Sie hörte seine Stimme durch das dünne Lattengestell, hinter dem sie saß, und zuweilen die Antworten Mary Essers und Harald Grillons.
Näher und näher kam ihr Stichwort.
Und wie sie da mit immer stärker pochendem Herzen saß und aus den rotumränderten Augen vor sich hin auf das Leinwandgerüst starrte, das sie von der glänzenden, unheimlichen Welt der Premiere draußen schied, hatte sie nur die eine Empfindung: Die Augenblicke vergißt du in deinem Leben nicht wieder! –
Diese Stille, diese fürchterliche Stille! Kein Laut aus dem menschengefüllten Zuschauerraum, von der Bühne das halblaute, scharfbetonte Plaudern Zajoncheks, hinter ihr die schlürfenden, vorsichtigen Tritte der Vorbeigehenden... es war beinahe unheimlich, obwohl sie das schon seit Jahren kannte.
Wie bei einem Leichenbegängnis! fiel ihr ein, und gleich darauf mußte sie denken: Vielleicht wird es eins... für mich und für das Stück!
Da stand der Inspizient neben ihr.
»Aufgepaßt!« flüsterte er. »Gleich kommen Sie heraus!«
Mechanisch raffte sie sich ihre ersten Sätze im Kopf zusammen. Da fiel ihr Stichwort. Sie trat hinaus auf die glänzend helle Bühne.
Erst als sie draußen zu sprechen begann, merkte sie, wie aufgeregt sie war.
Das war nicht die gewöhnliche Nervosität, das landläufige Lampenfieber. Das war eine erstickende Angst, die ihr die Kehle zuschnürte und sie am freien Gebrauch ihrer Stimmittel, ja beinahe ihrer Glieder hemmte.
Ab und zu gelang es ihr, sich freizumachen und aus sich herauszugehen. Und dann schien es ihr an einer leichten Bewegung im Parkett, als ob sie Fühlung mit dem Publikum gewänne. Aber gleich darauf war das wieder vorbei. Die alte Beklemmung kehrte wieder, und sie spielte ihre Rolle ängstlich und korrekt, wie sie sie auf der Probe gelernt. Die Furcht, etwas schlecht zu machen, wurde immer stärker als der Drang, etwas Gutes zu leisten.
Das Publikum blieb lau und zuwartend. Ist es doch ohnedies nicht Brauch, schon im ersten Akt oder nach dessen Schluß Mißfallen zu äußern.
So erscholl immerhin ein freundlicher Beifall, als sich die Gardine zum erstenmal senkte, und Valeska konnte sich an Zajoncheks Hand zweimal vor dem matt klatschenden Publikum verbeugen.
Aber viel – das wußte sie – war damit nicht gewonnen.
XXIII.
Der Theaterzettel verzeichnete jetzt eine kürzere Pause. Die große entscheidende Pause, in der das Premierenpublikum zwischen Bierseidel und Schinkenstulle das mutmaßliche Schicksal des Stückes feststellt, kam nach dem zweiten, mit einem stärkeren Abschluß versehenen Akt.
Trotzdem hatte sich auch jetzt das Parkett gelichtet. Breite Lücken klafften da und dort. Die Logentüren gingen auf und zu, in den Gängen standen heftig gestikulierende und aufeinander einsprechende Gruppen.
Sehr lebhaft war die Stimmung sonst gerade nicht. Man verhielt sich zuwartend. Die Zeit zur Kraftprobe zwischen Stück und Publikum, zur Entscheidung, welches von beiden der Gewalt des anderen unterliegen müsse, war noch nicht gekommen. An einzelnen Stellen wurde zwar schon ein Durchfall prophezeit, und die neuesten, in aller Hast von den vereidigten Premierenwitzbolden geschmiedeten Kalauer gingen von Mund zu Mund, aber im ganzen stand die Sache »flaumweich«, nicht gut und nicht schlecht.
Jenseits des Vorhangs war die Stimmung gedrückt, sehr gedrückt, wie immer, solange man noch keine Fühlung mit dem Publikum gewonnen. Es herrschte keine Aufregung, aber man sprach nicht viel, man ging gedankenvoll auf und nieder, man starrte müßig in die Soffitten hinauf, und in den Ecken rekapitulierten flüsternde Paare noch in aller Eile ihre nächsten Szenen. Es war, als ob man sich auf einen schweren Kampf vorbereitete.
Hochmann, der während der Pause in Frack und weißer Binde auf die Bühne kam, trug eine lächelnde, hoffnungsvolle Miene zur Schau.
»Nun... es steht ja soweit ganz freundlich!« sagte er zu der Elten, aber seine Worte waren kurz, und ein besonderes Wohlwollen lag nicht darin.
Valeska