Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Verwandten, wie gesagt, ist's aus! Denen hab' ich nach dem Begräbnis meine Meinung gesagt, mit Worten, die die verwünschten Pfeffersäcke mir nie vergessen. Und die Verwandten meiner seligen Mutter? Ach, Roger, mein gutes Gräflein ... du weißt's am besten, wieviel bei euch Männerchen auf –ow und –itz an Kleingeld zu holen ist. Ihr seid bessere Kerle als so ein gottverlassener Hamburger Lebemann wie ich! Ihr setzt euch vor euren Stammbaum, verzehrt eine Butterstulle und bildet euch ein, ihr diniertet bei Pfordte oder Hiller ...«
Der Husar machte eine abwehrende Bewegung: »Jetzt ist doch nicht die Zeit für faule Witze!«
»Oh ... ich werde einen Witz machen!« Das hagere Gesicht des Turfmannes nahm plötzlich den Ausdruck unheimlichen Grimmes an ... »Ich versteh' mich zu rächen, wenn es sein muß! Ich denunziere die ganze Schwefelbande, die mich ausgeplündert hat, dem Staatsanwalt! Sie müssen ins Gefängnis: Tatbestand des Wuchers: Notlage, Leichtsinn oder Unerfahrenheit! Unerfahren bin ich ja nun nicht ...«
»Nein!« klagte der Graf ... »Du bist ein höllisch heller Kopf! Man könnt' sich manchmal beinahe vor dir fürchten.«
»Aber 'ne leichtsinnige Fliege bin ich!« Ein kindlich liebenswürdiges Lächeln spielte schon wieder um Georgs Lippen... »...Na, und die Notlage versteht sich von selbst ...«
Es klirrte auf der Treppe. Der Leutnant von Hanitz kam herein.
»'n Abend. Textor!«
»'n Abend, Hähnchen!«
Der Besucher zog ein Blatt Papier heraus: »Ich wollt' dir nur gleich, da du wieder hier bist, sagen, wie ich deine Affären geordnet hab'!... Also an Schulden hast du bei Robrecht in Berlin noch 417 Mark, hier bei kleinen Leuten im ganzen 1512 ... dann an das Königliche Proviantamt für Extra-Pferderationen im letzten Quartal 680 ... dann...«
»Na... wieviel macht's im ganzen?«
»Ziemlich genau 3000 Mark!«
»Schön!« sagte Georg Textor gleichmütig ... »diese kleinen Leute müssen zu ihrem Gelde kommen. Eher kann ich mich nicht mit gutem Gewissen totschießen.«
Der andere stutzte einen Augenblick. Dann fuhr er mit unsicherer Stimme fort:
»Nu hab' ich also Laring telegraphiert, der als Rittmeister zu uns versetzt ist. Er ist bereit, deine ganze Wohnungseinrichtung und die Wohnung selbst mit der Miete zu übernehmen – und dafür all diese kleinen Kosten zu bezahlen.«
»Und mein Trainer?« fragte Georg ... »Wenn er nicht inzwischen durch ein glückliches Spiel des Zufalls gehängt sein sollte, macht er jedenfalls enorme Schadenersatz-Ansprüche geltend. Mein Stallbursche auch!«
»Ich habe deine drei letzten Pferde verkauft ...« erwiderte Hanitz bedächtig ... »die Fuchsstute an den Etatmäßigen ... die Donna Diana nach Berlin an ...«
»Na ... und?«
»Na. Und das ging gerade so glatt auf. Es ist alles geregelt!«
»Und ich hab' noch sechshundert Mark in der Tasche,« sagte der kleine Sportsman nach einer Pause »...vielleicht irr' ich mich, aber ich glaube: Rothschild hat mehr! Kinders ... Kinders ... Ihr springt nett mit mir um ... schon der alte Schiller sagt: das Opfer liegt, die Raben steigen nieder!«
Die beiden anderen Husaren antworteten nicht.
»Ja,« hub Georg nach einer Weile wieder an ... »abgetan bin ich und mein irdisches Vermächtnis geregelt. Jetzt fragt es sich nur: Einfache Abschiedsbewilligung oder schlichter Abschied? »Leutnant a.D.« oder »früherer Leutnant«? Im ersten Fall kann ich zum Armeerevolver M/92 greifen ... im zweiten muß ich dies schätzbare Instrument aus seiner Lederhülse befreien. Sonst verliere ich den Rest eurer Achtung ...«
»Gott ... mancher geht ja auch nach Amerika!« brummte der Graf. Die Tränen standen in seinen gutmütigen, blauen Augen.
»Nach Amerika!« Georg stieß verächtlich seinen Stuhl zurück ... »nein ... Roger ... das beste am Menschen ist, daß er sich wäscht! ... Ein Land, wo ich nicht täglich mein laues Seifenbad haben kann, das existiert nicht für mich! Und ich glaube, als Kellner in New-York oder als Heizer auf einem Mississippi-Steamer würd' ich mir das schwer beschaffen können ...«
»...Amerika ... ein Kerl wie ich ... der elegantesten Hunde, die je den Rennplatz unsicher machten ... lächerlich!« ... Georg setzte sich wieder, und alle drei schwiegen.
Da war der Bursche! Die Sporen klirrten, wie er, strammstehend, die Hacken zusammenschlug.
»Herr Premierleutnant Köhler läßt fragen, ob er den Herrn Leutnant sprechen kann!«
Der Regiments-Adjutant!
Die jungen Männer fuhren auf. Sie wußten: den leidenschaftslosen, kühlen Streber, der da draußen, im Hausflur wartete, den trieb nicht die Freundschaft her. Er brachte eine dienstliche Nachricht.
»Ich lasse bitten!« Georg Textors sonst so scharfe Stimme klang merkwürdig belegt.
Premierleutnant Köhler trat mit schweigendem Gruße ein. Hanitz und Heerwaldt wollten sich entfernen.
»Bleibt nur da!« Der kleine Sportsman schüttelte trübe den hageren Kopf, in dem die grauen Augen unruhig funkelten –»...ob ihr's einen Tag früher oder später hört ...«
Das Gesicht des Adjutanten war finster. »Ich wußte nicht, daß Sie hier sind,« sprach er zu Textor, eintönig die Worte wägend, »...das Schreiben des Regiments ging heute mittag an Ihre bisherige Adresse. Um Sie nicht unnötig in Ungewißheit zu lassen, schickt mich der Oberst hierher ...«
» ... nun ... und ...« »Sie haben den schlichten Abschied erhalten!«
Der Adjutant war gegangen, kalt und förmlich, wie er kam.
Georg hatte sich schon wieder eine Zigarette angezündet und hielt sie lange prüfend gegen das Lampenlicht ... er wußte selbst nicht, warum ...
Die Freunde schwiegen. Auch draußen war es totenstill.
»Armer Kerl ...« sagte Hanitz endlich leise, wie am Lager eines Schwerkranken ... »...armer Kerl ...«
Der blonde Graf nickte ihm Beifall.
»Das ist sehr hart ...« sprach er schweratmend ... »...schau, Jungchen ... du bist ja ein böser Spötter und hast ewig deine Witze über die Vorgesetzten und den Dienst und uns ... ja namentlich über mich gemacht ... aber ein ganzer Kerl warst du doch ... ein ganzer Kerl ... schneidig im Dienst ... ein flotter Kamerad ... und ein Reiter ... na ... wir werden sobald keinen solchen wieder haben ...«
Der Herrenreiter sprang auf und dehnte den schmächtigen, katzenzähen Leib.
»Du tust gerade, als ob ich schon tot wäre!« stieß er hervor.
» ... natürlich schießt du dich tot! ...« konnte er in den ernst auf ihn gerichteten Freundesblicken lesen... » ... da du nicht nach Amerika gehst! Du willst doch nicht etwa hier in Deutschland als ein Ehrloser weiter leben, als ein Mensch, mit dem kein Gentleman mehr den Händedruck tauscht und die Klinge kreuzt?«
»Wißt ihr, Kinder!« sagte er stehenbleibend und ein heiseres Lachen kam aus seinem Munde. »...Das ist ja verflucht schnell gesagt: nu schieß' dich gefälligst tot! Ihr sitzt ganz behaglich da und wißt nicht, was sich da in einem dagegen aufbäumt ... wenigstens in einem so spannkräftigen, lebenslustigen und mit allen Hunden gehetzten Menschen wie ich! Bin ich krank? Nein! Bin ich hoffnungslos verliebt? Nein. Denn ihr wißt: ich nehm' die Weiber, wo ich sie finde – nur ernst nehm' ich sie nicht! Bin ich sonst so unglücklich, daß mir nichts mehr am Dasein liegt? Nein. Und doch soll ich mich und meinen nicht ganz unbedeutenden Verstand und meinen noch weniger unbedeutenden Willen mit einem Knall zerstören? Warum? Weil in einem Ackerstädtchen einige zwanzig Herren in buntverschnürten Röcken leben, die das für unumgänglich notwendig erachten! Ja, hört 'mal, Leute ... mehr, wie mich aus eurer Mitte ausschließen, könnt ihr doch nicht tun. Was ich dann treibe, sollte euch doch eigentlich gleichgültig sein!«
Die beiden Leutnants tauschten einen Blick.