Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


Скачать книгу
Das mußt du alles mit dir selbst abmachen ... mit dir allein!«

      »Aber wirst du mir auf der Straße die Hand reichen und mit mir gehen, wenn wir uns etwa in acht Tagen hier auf dem Marktplatz treffen?«

      »Nein, Georg ... das kann ich nicht und kein anderer!«

      »Siehst du!« sagte der Sportsman achselzuckend, und ein bösartiges Lächeln huschte über sein blasses, bartloses Gesicht. »...Das ist ja eben der moralische Zwang, den ihr ausübt, um mich zum Selbstmord zu zwingen. Euren Freund und Mitmenschen. Ihr müßt als Offiziere doch fromme Christen sein! Da solltet ihr doch wissen, daß es heißt: Liebe deinen Nächsten! ... und nicht: Drücke deinem Nächsten gefälligst den Revolver in die Hand!«

      »Wenn dein Gewissen das nicht tut,« – Hanitz sprach lebhafter als sonst – »...wir Offiziere tun es gewiß nicht. Wir haben kein Recht und keine Verpflichtung mehr für dich!«

      Und der Graf setzte trübsinnig hinzu: »Ach, Jungchen ... was hilft das Gerede? Davon wird's nicht bessert«

      »Melden Sie mich nur!« knarrte draußen eine Greisenstimme ... »ich muß den Herrn Leutnant sprechen!«

      Georg stand auf. Er sah kampflustig aus.

      »Hans Joachim, mein teuerer Onkel!« sagte er ... »jetzt könnt ihr was erleben!«

      Der Generalmajor z. D. Hans Joachim von Arenstorff erschien auf der Schwelle, eine hohe, hagere Greisengestalt, das schlichte Schwarz seiner Kleidung allein von dem Bande des eisernen Kreuzes durchbrochen. Er trat langsam näher, mit flüchtigem Kopfnicken die Verbeugung der beiden jungen Offiziere erwidernd.

      »Ihr bleibt!« sagte Georg zu denen – und dann zum Onkel gewandt, »willst du Platz nehmen!«

      Der General blieb stehen. Sein verwittertes Gesicht mit dem eisgrauen Schnurrbart zuckte nicht. Er war einst als Oberst der Schrecken des Regiments gewesen und, wie man glaubte, mehr seiner erbarmungslosen Strenge als der mangelnden Fähigkeit wegen der Armee-Verjüngung zum Opfer gefallen. Seitdem lebte er, ein vergrämter Junggeselle, auf seinem Gütchen in der Nachbarschaft, schoß bei Tage Enten und spielte abends mit dem Dorfpfarrer seine Partie Piquet.

      Er hüstelte und richtete sich straff auf.

      »In der Lage, in der du dich befindest,« begann er langsam, »...wird es für dich vielleicht von Wert sein, die Ansicht deiner Verwandten zu hören ... ich meine, der Verwandten deiner seligen Mutter. Mit den anderen haben wir nichts zu tun. Es war ein Zufall, daß dein Vater auf einer Rheinreise in Koblenz meine Schwester kennen lernte und sie ein Paar wurden. Und kein guter Zufall, denn der Mensch soll bei seinesgleichen bleiben ... der Adel beim Adel ... der Kaufmann beim Kaufmann ... die Rassenmischung taugt nichts!«

      »Verzeihung, Onkel!« sagte Georg kühl ... »diese etwas fernliegenden Dinge ...«

      »Sie liegen dir nahe! Denn du bist eben solch ein Mischling. Wie du da stehst, siehst du einem Engländer, der sich zu Fastnacht in eine preußische Husarenjacke gesteckt hat, ähnlicher als einem wirklichen Offizier ... ich weiß, was du sagen willst ... du verstehst deinen Dienst so gut wie jeder andere? ... Oh ja ... aber auf die Gesinnung kommt es an ...«

      »Und auf das Kleingeld! Mein Unglück war, daß die Cholera in Hamburg auftauchte! Was kann ich dafür, daß dort so ein Schmutz war und in den Wasserkanten der Tang hing und die Aale plätscherten ... was kann ich dafür, daß es in den Fleets wie im Schweinestall aussah ... aber die Cholera war nun einmal da ... mit ihr die große Handelskrise und mit der Handelskrise unser Bankrott ... was hilft mir alle Gesinnung gegen solch einen niederträchtigen Bazillus?«

      Der General wiegte finster das graue Haupt: »Das Unglück war eine Prüfung für dich. Du hast sie nicht bestanden und bist der Versuchung erlegen. Eben höre ich, daß das Urteil aus Berlin eingetroffen ist ...«

      »Ja.« Der schmächtige Husar sah ihm mit spöttischem Trotze ins Gesicht ... »ich hab' den schlichten Abschied ...«

      Der Alte zuckte, wie von einem Schmerz berührt, zusammen. »Der Oberst sagt' es mir ...« murmelte er und sah zur Seite ... »und nun ... was wird nun?«

      Georg suchte nach der Zigarettendose. »Meinst du nicht, Onkel ...« sprach er beiläufig ... »daß das zunächst meine eigene Angelegenheit ist?«

      Die lange schwarze Gestalt vor ihm reckte sich noch mehr in die Höhe. Ein dunkler Arm fuhr in die Tasche des langschößigen Rockes, er kam wieder zum Vorschein, durchschnitt die Luft und legte ein Etwas in schwerem Schlage neben der Lampe auf den Tisch nieder.

      Ein Revolver blinkte da in dem gelblichen Schein.

      Reglos und tückisch lag die Waffe da. Aus sechs schwarzen, kleinen Schlünden stierte der Tod auf sein Opfer, gewärtig, bei leisem Fingerwink eilfertig herauszuspringen, wie der Kellner auf den Ruf des Gastes.

      »Damit soll ich mich wohl totschießen?« sagte Georg und setzte sich. Ein bösartig-verwegenes Lächeln spielte um seine Mundwinkel.

      Der General sah starr ins Leere: »Da hast du meine Meinung!«

      »Und meine Meinung ...«, der Sportsmann bog sich im Sessel vor und betonte flüsternd, zischend jedes Wort... »Meine Meinung ist, das nicht ich ein Verbrecher bin, sondern die, die mich mit aller Energie, die sie in ihrem bißchen Hirne haben, zu einem wirklichen törichten Verbrechen aufstacheln. Der Selbstmord ist ein ganz törichtes Verbrechen ... Er ist wider die Natur! Es ist ganz abgeschmackt, daß ein ganz gesunder, kräftiger Mensch wie ich sich Schädel und Hirn und Augen zerschmettern soll, weil er einem elenden Wucherer ein paar tausend Mark schuldig ist. Die kann er ihm noch lange wiedergeben, wenn er erst einmal selbst ein reicher Mann geworden ist!«

      »Und deine Ehre?«

      »Ich hab' ja keine mehr!« sagte der gewesene Leutnant kaltblütig ... »Ihr habt sie mir ja abgeknöpft und von eurem Standpunkt aus ganz recht gehabt. Aber damit sind wir doch auch geschieden und ich wäre schön dumm, wenn ich mich jetzt noch um das kümmern wollte, was ihr von mir denkt. Jetzt bin ich mein eigener Herr und mir scheint: man kann auch ohne eure Hochachtung essen und trinken und schlafen! Und Geld verdienen auch! Das ist nämlich für mich jetzt dringend notwendig ...«

      »Also du willst dich nicht richten?« Mit bebenden Lippen stieß der General die Worte hervor.

      »Nein, mein lieber Onkel,« ein mephistophelisches Lächeln umspielte den Mund des kleinen Sportsman ... »ganz ehrlich gesagt: es gefällt mir viel zu gut auf der Welt! Es ist zu amüsant hier. Ich will nicht weg!«

      »Man ist nicht auf der Welt, um sich zu amüsieren!«

      »O doch! Ihr glaubt das bloß nicht! Arbeit und Amüsement gehören zusammen!«

      »Arbeit!« Der General wandte sich verächtlich zur Türe ... »Maurergeselle wirst du drüben in Amerika!«

      »Nein. Aber Millionär hier in Berlin!« Georg sprach das ganz gelassen aus ... »noch heute Nacht fahre ich hin!«

      » ... Ich hab' auf keinen Menschen mehr Rücksicht zu nehmen,« fuhr er nach einer Pause fort, in der der alte Haudegen ihn fassungslos ansah ... »und das ist eine große Hilfe im Kampf ums Dasein! Von dem verstehst du zwar nichts, mein lieber Onkel, weil dein Diener dir am Quartalsersten pünktlich die Pension holt ... aber ich werd' ihn kennen lernen ... und ... hol' mich der Teufel ...« er stand plötzlich auf, und seine Augen sprühten ... »hol' mich der Teufel ... ich werd' siegen!«

      »...Wenn ich einmal mit Vieren lang fahre,« er öffnete, ruhiger werdend, dem zum Ausgang schreitenden General die Türe ... »dann wird euch manches klar werden. Was brummst du, Onkel? Du meinst, ich werde im Zuchthaus enden? Wenn ich frivol wäre, könnte ich sagen, es genügt, das Zuchthaus zu streifen! Aber ich werde auch das vermeiden. Ich werde mich einfach an unsern alten Husarenspruch halten: »Durch! durch!« Hiebe rechts, Hiebe links ... immer weiter durchs Gewühl, bis man der Vorderste ist und freie Luft um sich hat.«

      Der General wandte sich noch einmal um ... »Für mich bist du tot!« ... sagte er leise und drohend und stieg vorsichtig, von dem ihm leuchtenden Burschen geleitet, die knarrende


Скачать книгу