Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.aus suchend durch den Gang geschritten war, bei ihrem Anblick stehen blieb und, den Zylinderhut abnehmend, eintrat.
»Nun ... Gott sei Dank!« sagte er und hüstelte, wie um eine Verlegenheit zu verbergen ... »...da sind Sie ja!«
»O ... Herr Regierungsrat!« Thea erhob sich und streckte dem steifleinenen Herrn die Hand hin ... »...So früh schon auf? ... doch hoffentlich nicht um meinetwillen? ... oder hat Ihnen mein Onkel am Ende wirklich telegraphiert?«
»Gewiß hat er das!« erwiderte der Bureaukrat ... »...Da er aus Ihrem hinterlassenen Schreiben wußte, daß Sie sich in diesem Zug befanden ... doch davon später ...« er gab seinem hageren Leibe einen straffen Ruck ... »...vor allem steigen Sie jetzt aus, Fräulein Thea, und begleiten Sie mich zu meiner Frau!«
»Ich? ... aussteigen?« Thea schien verwundert ... »ja ... ich fahre doch nach Berlin!«
Der Fremde machte eine ungeduldige Handbewegung. »Liebes Kind ...«, sagte er ... »...Sie fahren nicht nach Berlin und nicht zu Ihrem Vater, sondern folgen den Leuten, die es wohl mit Ihnen meinen, nach ...«
Sie setzte sich hin und lehnte träumerisch den Kopf in die Ecke. »Ich folge nicht ...« sprach sie gleichmütig ... »...ich denke nicht daran.«
Jetzt nahm der Regierungsrat seine starre Amtsmiene an: »Sie werden überhaupt nicht gefragt, Fräulein von Hoffäcker ...«
»Oho!« Sie fuhr auf und sah mit blitzenden Augen zu ihm empor ...
»...Sondern zu Ihrem eigenen Besten vor der Fortsetzung dieser Reise bewahrt ...«
Eine feine Zornröte begann sich über ihre schönen Züge zu breiten. »Wollen Sie mich etwa aus dem Wagen heraustragen lassen, Herr Regierungsrat?«
»Sie nicht! ... Aber Ihr Gepäck!« erwiderte der alte Herr kaltblütig ... »Ich hole meinen Diener vom Perron! Auf Wiedersehen!«
Er ging. Sie sah ihm einen Augenblick ganz fassungslos nach. »Das ist ... aber ... doch« murmelte sie verstört, und plötzlich gewann der Zorn in ihr wieder die Oberhand. Sie stand auf. »Mein Gepäck gehört doch mir ...« rief sie entrüstet. »...Das brauch' ich mir doch nicht gefallen zu lassen! So ein Gesetz gibt es doch nicht, daß man plötzlich von fremden Leuten aus dem Zug gerissen wird ...«
»Kein Schatten!« Der Ex-Husar sprang kampflustig empor ... »...Wehren Sie sich, meine Gnädigste! Wehren Sie sich! Der alte Herr hat bitter unrecht!«
Sie wandte den Kopf zu ihm, ohne eigentliches Erstaunen über seine Einmischung. »Da kommt er mit dem Diener zurück!« sagte sie beklommen.
»Der Diener, dieser würdige Tapergreis, wird niedergeboxt ...« Georg streifte mechanisch die Manschetten etwas zurück ... »...wenn er auch nur von ferne mit Ihrer Bagage liebäugelt!«
Sie wehrte ihm ab. »Um Gottes willen keine Szene, solange es irgend geht! Es genügt schon, wenn ich nur irgendeinen Rückhalt hinter mir hab' ...« Damit trat sie dem alten Herrn entgegen. »Also nun Scherz beiseite!« sagte sie freundlich lächelnd ... »...ich steige nicht aus, gebe mein Gepäck nicht her und verteidige mich mit allen Mitteln! Die Beamten und die Mitreisenden –« ihr flüchtiges Auge streifte Georg – »werden mich schon schützen!«
Das ging dem alten Herrn denn doch über den Spaß. Er warf einen zweifelnden Blick auf den gichtbrüchigen Diener, der wehmütig den Graukopf schüttelte. »Reden wir vernünftig, liebes Kind!« sagte er ... »Sie wissen ... ich bin ein alter Freund Ihrer Familie ... ich mein' es gut ... also seien Sie offen: was wollen Sie denn nur eigentlich in Berlin?«
»Was ich will?« Sie machte große Augen ... »...zu meinem Papa will ich! ... Das ist doch mein natürliches Recht! Meinen lieben, dicken, alten Papa lass' ich mir nicht nehmen!«
Der Regierungsrat seufzte. »Sie haben doch auf seinen ausdrücklichen Wunsch vor anderthalb Jahren sein Haus in Rhena verlassen!«
»...Und mich in Posen beinahe zu Tode gelangweilt! Kennen Sie Posen? Nein? Seien Sie froh! Aber meinen Onkel kennen Sie und die Seinen! Nun denken Sie mich in der Mitte dieser biederen Familie! Oh ... es war furchtbar!«
»Und doch hat Ihr Vater Sie stets gebeten, dort zu bleiben!« wiederholte der alte Herr hartnäckig.
Sie seufzte: »Freilich ... solange er auf Reisen war ... das ganze Jahr ... Aber jetzt ist er in Berlin. Jetzt such' ich ihn heim, er mag wollen oder nicht! Es war doch immer so lustig bei Papa! Denken Sie nur an all die fidelen Menschen in unserem Hause in Rhena ... und die schönen Pferde ... und das ewige Getümmel ... das heißt doch noch leben ... hingegen dort ...«
Der Bureaukrat wiegte traurig sein Haupt. »Also das zieht Sie zu Ihrem Vater?« fragte er leise.
Sie lachte hell auf: »Ich will leben!« rief sie ... »...ich kann doch nichts dafür, daß die Natur solch einen Springinsfeld aus mir gemacht hat ... Sehen Sie mich doch nur an ... sehen Sie mich an ...« wiederholte sie flehend ... »...und dann sagen Sie ...«
»Ich sehe Sie ja an!« Der alte Herr schien halb ärgerlich, halb belustigt ... »so unangenehm ist das ja nicht ...«
»...Und dann sagen Sie mir ...« fuhr Thea unbeirrt fort: »ob ich zu einer biederen Hauptmannsfrau in einer kleinen preußischen Garnison passe? Nein ... widersprechen Sie nicht ... Heiraten sollt' ich in Posen! ... Heiraten um jeden Preis! Deswegen wurde ich hingeschickt! Onkel und Tante waren darin zum ersten und letztenmal in ihrem Leben einig, daß ich vor Ablauf des Jahres unter die Haube müßte! ... Gott ... Anträge hatt' ich genug ... sogar von einer Exzellenz ...«
»Und Ihr Bräutigam?« fragte der Regierungsrat ernst.
Sie fuhr zornig auf. »Ich bin nicht verlobt! Der Hauptmann Klein hat mich beschworen, ich sollte wenigstens nicht gleich »Nein« sagen. Gut. Den Gefallen tat ich ihm, sagte nicht ja und nein ... und er sollte sich in vier Wochen die Antwort holen. Aus reiner Gutmütigkeit gab ich ihm die Galgenfrist, um ihn zu schonen! Und daraus machen Onkel und Tante eine Verlobung! Nur um mich zu zwingen! Aber das hat dem Faß den Boden ausgeschlagen. Eines schönen Abends das Kofferchen gepackt, ein paar Abschiedszeilen... und me voilà!«
Sie lehnte sich in dem Sitze zurück und sah ihren Gegner triumphierend mit gekreuzten Armen an.
»Und warum sollt' ich den Hauptmann Klein heiraten?« fuhr sie fort ... »...weil er eine Menge Geld hat. Lieber Gott ... ich bin doch auch 'ne gute Partie! Und Frau Klein! Ueberlegen Sie mal: ich soll Frau Klein heißen ... und Hauptmannsfrau werden ... mit 'ner Stube voll Kinder und dem Aerger mit dem polackischen Burschen und alle vier Wochen den Regimentskaffee ... in der Mitte vom Sofa die Kommandeuse, rechts davon die Etatsmäßige, links die älteste Majorin ... und ich bescheiden auf dem Strohstühlchen davor und warte, ob die Vogelscheuchen vom Avancement oder von den Dienstboten zu reden anfangen ...« sie lachte hell auf, mit einem fröhlichen, sorglosen Kinderlachen ... »...nein ... mein gutes Onkelchen ... wissen, Sie, als kleiner Knirps hab' ich Sie immer so genannt, wenn ich auf Ihren Knien saß und aus Ihrem Schnurrbart Zöpfchen flocht ... nein ... Onkelchen ... man muß die Menschen nehmen, wie sie sind. Wer Rasse im Leib hat, der geht in dieser lauwarmen Wohlerzogenheit dort zugrunde, und ich wehr' mich mit Händen und Füßen dagegen.«
Ihre Worte schienen doch einigen Eindruck auf den alten Herrn gemacht zu haben.
»Mein liebes Kind!« sagte er ... »...ich bitte Sie nur um eins: fahren Sie mit dem nächsten Zuge weiter! Schenken Sie mir ein paar Stunden. Ich werde Ihnen dann ... dann etwas erzählen, was ich Ihnen nicht so ohne weiteres sagen kann ... Sie hätten es vielleicht schon früher wissen sollen! ... Nun ... das stand nicht bei mir! Jetzt aber ...«
Sie schüttelte lächelnd das Haupt: »Den Kniff mit dem Aussteigen kenn' ich, Onkelchen! Aus den paar Stunden werden ein paar Tage, inzwischen kommt der Major aus Posen an ... ich werde eingeheimst und die alte Misere beginnt von neuem ... Nein ... so leicht fangen Sie mich nicht. Ich fahre weiter ... nach Berlin ... zu Papa. Ich hab' ihm telegraphiert. Er erwartet mich jedenfalls am Bahnhof!«
Draußen ertönte das Abfahrtszeichen. Der Schaffner trat mahnend heran. Mit ihm Georg,