Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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und sich doch durchgeschlagen ... sie würden auch heute durchkommen und morgen und die nächsten Jahre.

      »Wir wollen rascher gehen!« sagte Thea beklommen ... »...die Leute sehen uns alle so an... ich weiß nicht ...«

      Freilich ... um diese Stunde ein gigerlhaft gekleideter Sportsman und eine elegante junge Dame in den Gassen Altberlins ... das fiel auf. Neugierige Blicke, umgedrehte Köpfe... da ein roher Witz aus einer Gruppe kalkbespritzter, in ihren Holzschuhen klappernder Maurer ... ein wieherndes Gelächter ... sie verstanden den gemeinen Berliner Jargon nicht ... aber sie machten, daß sie weiter kamen.

      Wäre man nur erst heraus! Aber das nahm kein Ende! Immer neue Straßen und Plätze und Gäßchen und immer neue Mengen von dunklen, zum Fronwerk pilgernden Gestalten.

      Sie wußten die Richtung gar nicht mehr. »Das ist wie in einem Irrgarten!« klagte Thea... »...wir wollen hinaus ins Grüne und unter blauen Himmel... und dies graue Arbeiterviertel mit seinem Rauch und Lärm läßt uns nicht los! Wir sind wie gefangen in diesem Gewirr von häßlichen Häusern!«

      Georg drehte mit ihr um. »Wir wollen uns nach links wenden!« riet er ... »...dann müssen wir die Richtung wiederbekommen.«

      Sie eilten durch immer neue Gassen dahin, in denen sich Laden um Laden öffnete, in denen man fegte und kehrte, emsig die Geschäftsräume scheuerte und alles zurechtmachte für den kommenden langen Tag. Wie zwei Flüchtlinge erschienen sie sich selbst in ihrer scheuen Hast, wie zwei ratlose Menschen, die nicht mehr wußten, wo aus diesem emsigen Wirren und Treiben heraus der Weg zum süßen Nichtstun, zu dem geheimnisvollen Nichts führte.

      Hier kümmerte sich keiner um das Nichts, hier dachte keiner daran, wehmütig dem Dasein Adieu zu sagen! Hier lebte man und rang zäh und grimmig um sein bißchen Leben. In gewaltigem Donnern und Dröhnen umhallte jetzt, auf der großen Verkehrsader, in die sie ihre Flucht getrieben, der Berliner Arbeitstag das verstörte Paar. Klingelnde Pferdebahnwagen, menschenwimmelnde Omnibusse, schwer knarrendes Fuhrwerk und leichte Handwagen auf dem Fahrdamm, ein Getümmel und Gehaste von tätigen Menschen auf den Bürgersteigen daneben, ein Fluten und Brausen, das betäubend auf ihre übermüdeten Sinne wirkte.

      Auch die Häuser hatten sich belebt. Es klangen die Schellen an den Ladentüren und aus den Höfen der Lärm des Handwerks. Da fiel durch die schmutzigen Fenster der Kartonnagefabrik der Sonnenschein auf lange Reihen junger Mädchen, die mit vorgebeugtem Oberkörper an den Tischen hantierten, dort zeichneten sich durch die Scheiben des Kontors die schreibenden und rechnenden Gestalten und im Nebenraum der diktierend auf und nieder schreitende Fabrikdirektor ab.

      Und die Fabriken selbst begannen, noch mit gähnend klaffenden Toren, zu brummen und zu stampfen. Es kam Leben in die kleinste Werkstatt wie in die mächtigen Maschinensäle. Wie sich da die Räder drehten und die Riemen glitten und in schwarzen Wolken der Dampf dem Schornstein entstieg, so hallte dort der Hammerschlag in das Pfeifen und Schrillen des Hobels und sprühten die Essen, und gewaltig, sich tausendfach mischend und immer stärker anschwellend klang es im Lärm der Arbeit über das Meer der Giebel und Dächer empor: »Unser täglich Brot gib uns heute!«

      Berlin war erwacht. Wie ein Riese reckte es seine Glieder und machte sich in lachender Jugendkraft an einen neuen Tag. Ein Abglanz dieser frohen Schaffenslust schien im Licht des Sommermorgens alles umher zu vergolden, die im Grollen der Dampfkessel, dem rastlosen Pochen des Handwerks zitternden Häuser, die langen, einförmigen und doch so belebten Straßen und die Menschen selbst, graues Volk in grauem Gewande, das in immer neuen Wogen, in Tausenden und Zehntausenden das einsame Paar umbrandete. »Wir alle leben!« schien es aus diesen farblosen, eilfertig sich dahinwälzenden Wellen zu mahnen... »wir alle leiden und trotzen doch dem Geschick! Ein Feigling, wer beiseite geht, solange sich noch seine Faust ballen und sein Mund noch das Geheimnis aussprechen kann, das große Geheimnis: Ich will!«

      Ich will! ... das Zauberwort, vor dem das Schicksal selbst sich beugt – vor dem die Sorge selbst mählich ihre grauen Schleier zusammenrafft und unhörbar aus dem Zimmer gleitet...vor dem die grimme Not zähnefletschend und knurrend wie ein böses Raubtier beiseite schleicht...

      Und weiter und weiter schritten sie. Sie bogen in Nebengassen und kehrten zurück und schlugen einen andern Weg ein, und nirgends nahm Berlin ein Ende und nirgends erlahmte sein rastloser Pulsschlag!

      Da blieben sie endlich stehen und sahen sich stumm an.

      Wie seltsam! Sie suchten den Tod und gerieten immer tiefer in die Welt der Arbeit hinein! Und kamen sich klein und lächerlich vor, zwei schlaffe Müßiggänger zwischen unzähligen Menschen, die unverzagt mit Kopf und Händen für sich und die Ihren stritten.

      »Bitte die Herrschaften weiterzugehen!« sagte neben ihnen ein Schutzmann ... »Sie hindern den Verkehr!«

      Sie traten beiseite, in ein stilleres Nebengäßchen. Natürlich ... sie waren hier ein Hindernis, eine Last! Leute, die Maulaffen feil haben und sich gegenseitig ihr Leid klagen, die konnte man hier nicht brauchen.

      Das Gäßchen mündete auf die Spree.

      Finster und träge schlich das Wasser dahin und auf seinem erblindeten Spiegel, in seinen trüben Fluten schwamm der Kehricht, der wertlose Abfall der Weltstadt.

      Vielleicht gehörten auch Menschen zu diesem Abfall und trieben unsichtbar unter der Oberfläche vorüber. Sollte man sich zu ihnen gesellen, den entsetzlichen, sich langsam auflösenden Körpern... oder zu dem unverzagten Geschlecht, das da um sie her im Sonnenscheine streitet und lärmt, im Abenddämmern lacht und liebt...?

      Wieder sahen sie sich an, und es fiel ihnen wie Schuppen von den Augen.

      »Thea ... du dummes, kleines Mädchen!« sagte Georg vorwurfsvoll und legte den Arm um sie ... »...merkst du nun, was du für Unheil angestiftet hast? Ganz wirblig hast du mich im Kopf gemacht, daß ein Kerl wie ich auf so eine Idee kommen konnt'! ... ist ja Unsinn ... kompletter Unsinn ...«

      »...ja ... das kann schon sein, Georg ...« Thea schaute aus großen Augen zu ihm auf ... »wenn man alle die vielen Menschen sieht, denen es so schlecht geht und die doch nicht verzweifeln ...«

      »...und wir dagegen, denen es so gut geht! ... denn erstens lieben wir uns ... und zweitens sind wir jung, gesund und stark ... wir sollten ... oh, Thea, Thea ... es bleibt dabei: du bist ein dummes, kleines Mädchen und wirst in Zukunft überhaupt nicht gefragt! Sondern du tust einfach, was ich will, und gehst mit mir! Und mußt dich mit dem Aennchen von Tharau trösten ... weißt du .. wo's im Volkslied heißt: ›;... ich will dir folgen durch Länder und Meer! – Eisen und Kerker und feindliches Heer ...‹

      »Ach, Georg ... ich folgte dir gerne!« Thea schüttelte traurig den blassen Kopf ... »...aber wir können ja nicht aus Berlin heraus!«

      »Und ob wir können!« Georg faßte mit energischem Griff ihre Hand ... »natürlich können wir! Jetzt weiß ich's! ... komm' mit!«

      »Wohin denn?«

      »In die Jägerstraße! Dort lebt ein vortrefflicher alter Herr, der mir mit Vergnügen das Reisegeld nach Amerika gibt. Und da es ohnedies seit acht Tagen der dringende Wunsch sämtlicher Zeitgenossen ist, mich bis auf weiteres jenseits des großen Wassers zu wissen, so willfahren wir dem allgemeinen Verlangen! Thea ... mach' dich auf die Seekrankheit gefaßt. – und Sie, Kutscher ...« ... er winkte einer Droschke ... »...zeigen Sie einmal, daß Sie Ehrgeiz besitzen, und befördern Sie uns in der denkbar kürzesten Zeit nach Berlin W. zurück!«

      Wohl eine Stunde hatten die Kommis des Bankhauses Zeit, die junge Dame zu beobachten, die auf der anderen Seite der Straße, den Kopf zu Boden gerichtet, mit zusammengepreßten Lippen wartend auf und nieder schritt. Dann kam Georg zurück.

      Sie eilte ihm entgegen. »Wie ist's!« rief sie bang.

      »Gott!« sprach Georg, leichtsinnig und verwegen lächelnd ...» ... ich sag' dir ja: mit dem alten Herrn kann man reden. Anfangs ließ er mich ziemlich lange warten und empfing mich mit hochgezogenen Augenbrauen ... weißt du ... so eine stumme Frage: ›;Wirklich schon auf, Herr Textor? ... Am zehn Uhr morgens? Und was wünschen Sie wieder von mir?‹ Na ... ich ließ mich nun nicht verblüffen ...«


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