Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.setzte er schläfrig hinzu, und sein greises Sünderhaupt sank vornüber, »wir wollen sie trefflich mit Kraut und Lot bedienen –«
Es wurde still. Nur die Katze, die auf dem Fasse saß, schnurrte leise.
Herr Albin schaute unruhig um sich. Er schüttelte den Hauptmann: »Wachet und betet, Herr! Das ist besser als Schlaf!«
Der alte Krieger lächelte stumpfsinnig. »Wenn der Herr Obriste wacht, wagt sich der Teufel nicht heran. Wie sollt' er auch! Der Wein ist schlecht. Gold haben wir nicht. Und ein Weib ist nicht da. Leider!«
Und wieder schlief er ein.
Freilich – der Wein mochte schlecht sein. Aber Herr Albin empfand doch plötzlich einen quälenden Durst. Der Drang regte sich in ihm, seinen erschlafften, von der Reise ermatteten Körper durch einen Schluck zu stärken, nur durch einen kleinen Schluck aus jenem Fäßchen dort.
Gleich darauf lachte er über solch billige Anfechtung. Damit kam man ihm nicht bei. Aber immerhin war es besser, das Fäßchen nicht anzusehen. So blieb er der Versuchung überhoben.
Er stand auf und trat aus dem Schein des erlöschenden Wachtfeuers hinaus in das Dunkel der milden Maiennacht. Die Schildwache war zu seiner Beruhigung auf dem Posten. Sie rief ihn an und machte die Muskete schußbereit.
Er schritt an ihr vorbei. Weiter und weiter trieb ihn sein Träumen in die Nacht hinein, bis das Lagerfeuer hinter ihm im Nebel verschwand, und um ihn der Wald rauschte.
Weit von dem Schwarm der rohen Knechte und ihrem Hauptmann warf sich der Feldobrist auf einen kleinen Grasplatz mitten im Dickicht. Hier wollte er den nicht mehr fernen Morgen abwarten. Eine lauwarme, zuweilen von leisem Taugeriesel durchschauerte Luft umgab ihn. Um ihn rauschten im Nachtwind die Zweige. Die Ermattung des langen Rittes machte sich geltend, Herr Albin schloß die Augen.
Aber nicht um zu schlafen. Er verfiel in den unruhigen Halbschlummer des Biwaks, eine Art Betäubung, die sich beim geringsten ungewöhnlichen Geräusch blitzschnell in klares Bewußtsein umsetzte. Seine Gedanken wanderten zurück sein Leben entlang durch drei Jahrzehnte. Die drei Jahrzehnte waren Krieg gewesen. Immer Krieg. Von dem Tag ab, da ihm als Bub in der Klosterschule die Nachricht geworden, daß die feindlichen Völker das feste Haus derer von Habstein im Odenwald überrannt. Und was von den Seinen im Schlosse war, das blieb in selber Nacht tot. Er war nun der letzte Sprosse des Geschlechtes, das, nach der Chronik, seit den Tagen des Aeneas auf dem Habstein gehaust.
Und der Morgen danach stieg vor ihm auf, wie er, heimlich der Klosterschule entlaufen, als Kind in das Lager der Kaiserlichen gekommen, wie sie ihn da freundlich aufgenommen als einen verwaisten Junker von Geblüt, wie er unter Tilly den ersten Küraß umgeschnallt und die Fortuna am Schopf gepackt, wie der große Albrecht Waldstein selbst an ihm Gefallen gefunden und er in der blutigen Lützener Schlacht mit Ehren zum ersten Male ein Fähnlein kommandiert, wie er höher und höher gestiegen, bis er endlich selbst dem Kaiser ein Regiment geworden und die Habstein-Kürassiere dem Feind allerorts mit Schrecken bekannt gemacht hatte. Und wenn der Obrist von Habstein sein Leben vor sich sah, so war es Feind und war Feindesgeschrei und war Feindestod. Was tat man auf der Welt, wenn man nicht mit blanker Klinge gegen die Konfederierten oder mit blankem Gelübde wider den Teufel stritt? Die Welt war um des Krieges willen da. Drum wollte es ihm nicht in den harten und wettergebräunten Kopf, daß sie sichtlich den Krieg nicht mehr trug.
Ueberall verödete das deutsche Land. Er wußte es wohl. Ueber Buschsteppen und kahle Felder, durch Trümmerhaufen zogen die Heere. Wenn der Krieg noch lange währte, so mußten sie in ihren Lagern verhungern, umgeben von der Wildnis, die sie sich selbst in den dreißig Jahren geschaffen. Denn überall stieg in diesen Tagen der Wald wieder von den Bergen herab und überzog die Orte, wo die Menschen gehaust, und wo der Wind sonst über wogende Kornfelder strich, da tummelten sich jetzt schreiend die Krähen und Elstern zwischen Gestrüpp und Unkraut.
Der Feldobrist fuhr plötzlich empor. Er fühlte, wie sein Herz zu pochen begann. Auf einem Waldweg, der unfern von ihm durch das Dickicht führte, klang es wie Stimmengewirr und Hufgetrappel.
»Die Gäule sind kaiserlich,« grollte ein rauher Baß, »nur fort – fort – je mehr Meilen zwischen uns und Augsburg, desto besser für unsere Hälse –«
»Nach Ulm müssen wir reiten,« zischelte ein anderer, »zum Schweden –«
»Oder nach Lothringen zu den welschen Völkern.«
Der Lärm verlor sich. Herr Albin fand sich wieder allein in der Einsamkeit des Waldes.
Hastig und lautlos schlüpfte er durch das Gestrüpp zurück und näherte sich vorsichtig spähend dem Lagerfeuer.
Das Feuer war auseinander geworfen. In verzerrten Stellungen lagen die Knechte herum am Boden, ohne Waffen, mit aufgerissenen Wämsern und umgestülpten Taschen. Zwischen ihnen der dicke Hauptmann, Seine Augen waren glanzlos, wie die der andern, sein Mund halboffen. Er regte sich nicht mehr, und nichts rührte sich an den anderen Körpern. Im Zucken der verlöschenden Flammen glänzten breite Blutlachen über dem zerstampften Boden. In sie hinein rieselte der Rest des Weins aus dem umgestürzten Fäßchen.
Die Pferde waren verschwunden. Während Herr Albin zu ihren Pflöcken schlich, stieß er auf die Leiche der Schildwache, die die Freibeuter offenbar ebenso wie die anderen Knechte von Schlaf und Wein trunken übermannt und abgewürgt hatten, ohne daß ein Schuß fiel.
Da war nichts mehr zu helfen. Der Hauptmann und seine Leute waren tot. Die Merodebrüder hatten reinen Tisch gemacht. Die ließen nur stille Leute hinter sich zurück, schon der eigenen Sicherheit wegen.
Herr Albin trat in das Dickicht zurück und sprach hastig ein Gebet für die Sünder, die so unbußfertig dahingefahren, indes er allein dem Teufel entrann. Dann überdachte er seine Lage.
Die war schlimm genug.
Fand er sich doch ohne Gefährten, ohne Pferd und Feuerwaffe, ohne Speise und Trank zur Nachtzeit in einer unwirtlichen, verwüsteten Gegend, wo hinter jedem Baume der Tod lauerte.
Aber der Obrist war nicht gewohnt, zu verzagen. Seit Jahren war die Gefahr seine tägliche Begleiterin. Er liebte sie und war an sie gewöhnt. So nahm er den blanken Degen in die Rechte, sah zum Sternenhimmel auf, um den Weg nach Osten zu erkennen, und schritt dahin in der Richtung auf Augsburg.
2.
In schrägen Strahlen zitterte die scheidende Sonne durch das lichtgrüne, feuchtglänzende Laubwerk. Ein würziger weißlicher Dunst stieg aus dem Boden, in dessen weichem Moos die Schritte lautlos verhallten. Auch sonst regte sich nichts ringsum. In feierlichem Schweigen dämmerte die Maienlandschaft zur Nacht hinüber.
Herr Albin sah rechts und links. Kein Baum und Strauch entging seinem Auge. Aber dies Auge weidete sich nicht an der Waldespracht; es blickte spähend und finster – überall eines Feindes oder eines reißenden Wolfes gewärtig.
»So schreiten wir durch dies Leben!« dachte er bei sich, indes er behutsam durch das Dickicht sich den Weg bahnte. »Rings um uns lauert das Verderben und die Gefahr und die Versuchung. Wer sich hier beugt, nur eine Blume am Bachrand zu pflücken, den mag im selben Augenblick eine Musketenkugel aus dem nächsten Busche fällen – und wer hier stehen bliebe, auf den Vogelgesang zu horchen und zum Abendhimmel hinaufzuschauen, dem springt wohl unversehens einer rücklings mit scharfem Schwerte bei. So heißt es: Wache und bete! Sei eingedenk, daß du auf einer Pilgerfahrt durch dies Erdental schreitest, und hoffe auf die Stunde der Erlösung. Mög' die mir Gottes Gnade auf grüner Heide bescheren ... das Gesicht wider den Feind in ehrlichem Feldtod –-«
Er hemmte seinen Schritt, denn vor ihm lichtete sich der Wald. Ein Tal breitete sich sanft abfallend zu seinen Füßen aus.
Im Tale unten lag ein Dorf. Noch konnte man im Abendschatten deutlich die Reihen spitzgiebliger Häuser erkennen, die still zwischen dem Grün hochaufgeschossener Bäume dalagen.
Ueber