Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Schollen klang ihr schweres Atmen ineinander, und über ihren Häuptern schwankte und zitterte der duftende Holunder. Und aus ihm klang in Jauchzen und Klagen der Sang der Nachtigallen, ein Sang, um den sich, Herr Albinus noch niemals gesorgt.
Stundenlang sangen die Nachtigallen. Als sie verstummten, spielte der erste fahle Morgenschein über den Trümmern.
Herr Albin richtete sich auf und musterte das Werk ihrer Hände. »Es ist genug,« murmelte er, »warte das Fräulein hier –«
Sie kauerte sich gehorsam hin, während der Obrist die Treppe hinaufstieg.
»Wenn mich nun doch ein Spuk geäfft hat,« sorgte er, »wenn gar kein Leichnam da ist – oder er kommt mir aufrecht entgegen, mich zu entsetzen –«
Aber Herr Melchior lag still und friedlich mit gefalteten Händen auf seinem Lager. So nahm der von Habstein den starren Leib in seine stählernen Arme und trug ihn hinab und bettete ihn in das Grab. Ein Tuch deckten sie darüber. Dann polterten die Schollen wieder zurück, woher sie gekommen, und füllten mählich das Grab bis zum Rand, und es ebnete sich der Boden wie zuvor.
Und niederkniend betete Albin von Habstein für den Toten, während sich ringsum das Frührot in rosiger Wärme über die verfallene Burg ergoß und Finkenschlag und Lerchentriller jauchzend den jungen Tag begrüßten.
Dann ließ er Ruth allein am Grabe zurück und schritt nach oben, sich Schwert und Elenkoller anzulegen, deren er sich bei seinem Totengräberdienst entledigt.
Dort blieb er noch geraume Zeit in düsterer Betrachtung und stählte sein Herz zu dem schweren Kampf, der ihm bevorstand.
Das mochte eine böse Reise werden, auch ohne Freireiter, Bauern und Wölfe, eine Reise, bei der einem jeden Augenblick das Seelenheil abhanden kommen konnte!
»Ich wollte, ich wäre in Augsburg und der Jungfer ledig!« brummte der von Habstein, als er wieder in den Hof hinaustrat.
Der Hof war leer. Von Ruth nichts mehr zu sehen.
Das war eine seltsame Ueberraschung und das Seltsamste dabei, daß sich des Feldobristen Gesicht verfinsterte und es den Anschein hatte, als freue er sich gar nicht der endlichen Erlösung von dem Uebel.
Er selbst wunderte sich darüber. Eben noch hatte er ja gewünscht, seiner Schutzbefohlenen ledig zu sein, und nun merkte er, daß die Menschen von nichts so wenig wissen, als von dem, was in ihrer eigenen Brust vorgeht.
»Möchte sie doch wiederkommen!« dachte er bei sich, »ich bin nun einmal in dem Abenteuer und will es rühmlich enden. Das ist kein ehrlich Spiel, wenn der Widerpart mitten darinnen aufsteht und hinweggeht!«
Aber nichts regte sich.
Sollte er ohne sie das Schloß verlassen? Nein – das war Feigheit, und sein Eid verbot es ihm.
Oder war dieser Eid, über ein Weib zu wachen und mit ihr die kostbare Zeit zu vergeuden, indes man sich vielleicht bei Augsburg schon mit den Ketzern schlug – war dieser Eid vielleicht nur eine Tücke des bösen Feindes?
Der Kriegsmann furchte in schwerem Zweifel die gebräunte Stirne. Und dann entschloß er sich, zu bleiben!
Den Degen über die Knie gelegt, saß er still und zornig da und wartete, ob der Teufel wiederkäme!
Da begannen plötzlich die Büsche, die in üppigem Grün vor einem völlig zerfallenen Hofgebäude wucherten, in schwankende Bewegung zu geraten. Es war, als bahne sich da etwas den Weg durch das dichtverschlungene Astwerk.
Jetzt rauschten schon die vordersten Hecken, Ein Gaul wieherte und trat ins Freie hinaus. Ihm folgte Ruth, Sattel und Zaumzeug und ein Faustrohr über dem Arm.
»Wir haben sie da versteckt,« sagte sie und versuchte, ihre blassen Züge zu einem Lächeln zu bringen. »Es ist freilich nur eine arme Bauernstute, aber doch stark genug. Sattelt das Pferd. In kurzem bin ich bei Euch.«
Sie huschte hinauf, und als Herr Albin der Stute Zaum und Sattel aufgelegt, stand sie schon reisefertig neben ihm.
»Steigt auf!« sagte er mürrisch, »ich gehe nebenher.«
Sie sah ihn erstaunt an.
»Ich verstehe den Herrn nicht. Wenn wir im Schritte reiten, brauchen wir drei Tage bis Augsburg!«
»Ich kann's nicht ändern!«
Sie schüttelte das Haupt. »Die Stute trägt uns beide!«
Herr Albin biß sich grimmig auf die Lippen. Mit einem Weibe hinter sich im Sattel über Land zu reiten – er, der geschworen – –!
Doch dann sah er wieder das Feldlager vor sich und die Genossen bei Lärm und Becherklang ihn mit dem Ruf empfangen: ›Der Herr kommt zu spät! Er kann keinen Particul mehr an der glorreichen Viktorie nehmen, die wir gestern über die Konfederierten erfochten –‹
Der von Habstein schwang sich in den Sattel.
»Steigt hinter mir auf,« gebot er, »doch merkt Euch, Fräulein – ob es Euch erstaunt' oder nicht – ich kann Euch nicht berühren. So es not tut, haltet Ihr Euch an mir fest.«
Sie nickte, legte die Hand auf seine Schulter, setzte den Fuß auf seinen im Bügel und hob sich also hinauf. Das Roß wieherte und machte einen mächtigen Satz, daß Ruth im Sattel schwankte. Sie erschrak. »Erlaubt es,« bat sie, »daß ich den Arm um Euch lege.«
Er nickte grimmig und trieb das Pferd an, während sie vertrauensvoll die schlanken Hände über seiner Brust kreuzte.
So ritten sie ins Tal hinab. In wolkenloser Pracht erstrahlte jetzt über ihnen der blaue Frühlingshimmel, tausendfach funkelte und glitzerte die Maiensonne im Taugeriesel des lichtgrünen Laubwerkes, und die ganze linde Morgenluft schien durchzittert von jubelndem Vogelgesang.
Der von Habstein seufzte schwer und sandte ein stummes Stoßgebet zum Himmel.
»Wenn der Teufel umginge, wie ein brüllender Löwe,« dachte er, »und zeuchte wider mich – wie unverzagt wollt' ich ihn bestehen! Aber der Böse kommt mir von rücklings bei! Er setzt sich hinter mich in den Sattel und umfängt mich mit weichen Armen, und sein seidenes Lockenhaar weht im Maienwind um mein Gesicht. Und er gebärdet sich nicht greulich, sondern lind und lieblich. Er schmiegt sich zitternd, wie ein furchtsam Vöglein, mir an, daß man sich seiner fast erbarmen möcht', und macht mir armen Sünder sauere Arbeit!«
Da hörte er hinter sich ihre sanfte Stimme.
»Herr, bin ich Euch sehr zu Last?«
Der von Habstein sah sich nicht um. »Laßt es gut sein!« sprach er kurz und zog mit ihr im Galopp hinaus in die Frühlingspracht.
4.
Nun stand die Sonne hoch über ihren Häuptern am wolkenlosen Himmel.
Ohne Rast waren sie die langen Stunden dahingeritten durch das verwüstete und verödete Land. In weitem Bogen umkreisten sie die Dörfer, sie vermieden die Waldstücke und Hohlwege und hielten sich auf jenen offenen Flächen, auf denen früher in goldenen Wellen das Korn gewogt hatte und jetzt zumeist nur noch ärmliches Unkraut und junger Wald aufschoß.
Nur einmal gerieten sie auf solch einem Acker, unfern eines weitgestreckten Dickichts, an Menschen heran, eine Schar Bauernvolks, das da auf einem Brachfeld pflügte. Was sie an Roß und Rind besaßen, hatten den verwilderten und verkümmerten Menschen längst die streifenden Reiter weggetrieben. So zogen die Weiber den Pflug, die Männer hielten die Pflugschar und spähten, die Feuerbüchsen über die Schultern gehängt, mißtrauisch nach allen Seiten und zu einem einzelnen Baum hinaus, von dem ein scharfäugiger, junger Bursche nach etwa nahenden Feinden ausschaute.
Außer Schußweite ritt Herr Albin an ihnen vorbei und sah gleichgültig zu, wie die Bauern mit wilden Blicken ihre Musketen bereit machten. »Die Schelme werden immer dreister!«