Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.die Schuppen solcher Ungeheuer blinkten und glitzerten im Abendlicht tausendfach die Helme und Kürasse und Schwerter, und unter tausendfachem Hufschlag zitterte und grollte der zertrampelte Boden.
In erschütterndem Klange stieg dumpfer Paukenschlag aus dem Strudel des träge dahinflutenden Fußvolks, über dem in regellosem Gewirr die Musketen schwankten, und ihm antwortete schmetternd und gellend aus der Mitte der hastig trabenden Fähnlein der Ruf der Drommete. Rossegewieher mischte sich in das Summen und Brausen der gewaltigen Menschenmassen, die in immer neuen Strömen aus der Ferne hervorquollen, und ein wirres Getöse von Stimmen, Flüchen und Befehlen durchzitterte die Luft.
Am stärksten drang es aus den vorderen Kolonnen, wo unter Poltern und Donnern das grobe Geschütz, die Kartaunen, dann die Fallonets, Falkonen und Smeriglien, die Columbinen, Halb- und Viertelschlangen dahinkarrten. Zwanzig, dreißig Pferde lagen keuchend vor manchem der kunstvoll gearbeiteten, langen Ungetüme, die in buntem Troß der Oberkonstabel mit seinem Büchsenmeister, die Kondukteurs, Zeugdiener und Binder, die Batterie- und Rüstmeister, Petardiere, Harniceure und Feuerwerker umgaben. Die Karbatschen der Treiber fielen auf die Rosse hernieder, die Troßknechte griffen fluchend und brüllend in die Speichen der Räder und schoben mit, und langsam schwankten und knarrten, einen Trupp Edelleute vom Geschütz und Kommissäre an der Spitze, die Feldstücke ihres Weges, den schützenden Mauern zu.
Dahinter die Generalität. Trotzige, selbstbewußte Gestalten in prunkvoller Tracht. Weiße Seidenmäntel bauschten sich aus dem Küraß heraus, spitze Federn starrten von dem Hute, und die weiten, kurzen Beinkleider, die kaum bis zu den in umgeschlagener Krämpe zurückfallenden Feldstiefeln reichten, flammten in feurigem Rot. Mitten unter ihnen Graf Gronsfeldt, der bayerische General, den Feldherrnstab in der Hand, dahinter in Schwärmen die Pagen und Knechte, die Trompeter, die ledigen Handpferde und leeren Kutschen.
Und überall zu beiden Seiten wogten und wanderten die Völker, wimmelnd und unzählbar, als stiegen sie immer neu aus der Erde empor. Hinter ihnen hatte sich an fünf, sechs Stellen mehr der Abendhimmel blutrot gefärbt und schien die Sonne rauchig durch den Qualm der brennenden Dörfer, der in der Ferne immer dicker aufstieg. Doch niemand wandte sich nach dem altgewohnten Schauspiel um. Nach Augsburg strebte alles, der geängstigten Stadt, von deren sämtlichen Türmen ein banges Glockenläuten zum Himmel aufklang.
Wie eine zweite, wandernde Stadt zog vor dem Heere der endlose Troß. Eine unübersehbare Wagenburg, die langsam, stockend und unter Flüchen und Drohungen der Weibel sich wieder entwirrend, über Aecker und Saaten dahinkroch, alles hinter sich verwüstet und verdorben zurücklassend, wie ein Heuschreckenschwarm. In viele tausend Stimmen mischte sich das gelle Gezeter der Soldatenweiber, das Gejohle der Troßbuben mit Peitschenknall und dem Geschrei der Treiber und klang das Stöhnen der Verwundeten, die auf den rüttelnden Wagen, in Stroh gebettet, lagen. Dazwischen trabten, in Rudel gekoppelt, die Beutepferde, und wanderten mißmutig die Gefangenen, abgerissene, finstere Kerle, mit Ketten aneinander geschlossen und von Reitern mit schußbereitem Feuerrohr bewacht. Andere Reiter umgaben die mit Mehl und Pulver beladenen Fahrzeuge, die den Feldbedarf des Heeres bargen, die schwerfällig dahintrottenden Rinder- und Schafherden, die rollenden Kriegskanzleien, die Kutschen und Sänften, mit denen das Gefolge der großen Herren, Diener, Hofnarren, Mohren und vielerlei Gelichter im Trosse zog. Wie im Traum ritt Ruth, von Panzerreitern umgeben, durch das bunte, entsetzliche Treiben hindurch und sah zu ihrem grimmen Beschützer hinauf, der offenbar in dieser waffenklirrenden, blutdünstenden Welt sich frei und freudig fühlte.
Doch der von Habstein achtete nicht auf sie. »Dort hält eine Kutsche im Felde,« sagte er zu dem Paradeiser zu Villach, »mag sein, daß sie leer ist und der Jungfer etwas taugt!«
Im Galopp sprengte er darauf zu und riß das Pferd plötzlich auf der Hinterhand zurück. Die Kutsche war nicht leer. Ein Schwerverwundeter saß darin, von seinem Diener gestützt. Man hatte nur angehalten, um ihm etwas Rast zu gönnen.
»Erkennt mich der Herr Bruder nicht?« murmelte er, und als er ihm die Hand herausreichte, sah der Habsteiner, daß es der Obrist Sommeda war, ein tapferer, kaiserlicher Reiterführer. »Mich traf's gestern beim Scharmützel, und ich meine fast, ich muß, wie einst unser glorreicher Pappenheim, hier im Wagen, in währender Fahrt, verscheiden.«
»Da sei Gott vor!« erwiderte der Obrist. »Wenn ich dem Herrn Bruder irgendwie dienlich sein kann –«
Der Verwundete wehrte ab. »Tummelt Euch und reitet ins Lager, Habstein! Ehe dort die Sonne zum andernmal sinkt, habt Ihr dem Schweden das Weiße im Auge gesehen!«
Herr Albin richtete sich kampfesmutig im Sattel auf. »Dünkt das dem Herrn Bruder also?«
Sommeda winkte ihm mit der Hand, sich zu seinem Ohr herabzubeugen. »Wisset,« raunte er, »sie waren schon diesen Morgen da! Viele hundert Pferde stark waren sie ausgegangen, uns auf der Retraite zu suchen, in der Meinung, wir hätten uns aus Hunger, um eher zu bestehen, in kleine Partien zerstreut, – und sahen uns im Lager –«
»Und griffen nicht an?«
»Sie wandten eilfertig ihre Pferde und trabten davon, Mann für Mann, in langen Reihen, gegen Lauingen zurück. Wir ritten nach, kamen aber nur mit den letzten ins Handgemenge. Da löste ein schwedischer Junker seine Pistolen in unseren Haufen hinein. Habe ihn freilich beim Aufzucken des Krauts durch Hieb gefällt, war aber doch zu spät.«
Der Verwundete preßte die Hand auf die Seite und lehnte sich in den Wagen zurück.
Der von Habstein neigte sich noch näher zu ihm. »Und was, meint der Herr Bruder, intendiert nun der Feind?«
»Er zieht von Lauingen herbei, was er an Völkern finden kann, um seinen Vorteil nicht außer acht zu lassen und uns morgen ohne die Bayern und das schwere Geschütz zu überrumpeln. Und kommt sein Fußvolk nicht mit, so attaquieret er uns mit den Reitern allein.«
»Das ist eine schlimme Zeitung!« sprach der Obrist nachdenklich.
Sommeda richtete sich wieder auf.
»Der General Holtzapfel hat die Zeit her seiner kurz geführten Charge des Generalats wenig Stern gehabt. Er hat zwar den Konfederierten einigen Schaden zugefügt, doch nichts Fruchtbarliches ausgerichtet und dem Gegenpart seinen Vorteil nicht benommen. Wie aber kommt's, daß ihm nichts gelingt? Weil er ein Calvinist ist, und doch an der Spitze der katholischen Armaden. Man möchte freilich einwenden: Auch der Turenne ist des wahren Glaubens und streitet doch wider Kaiser und Papst und reitet neben Wrangel und den Evangelischen ins Feld. Aber man darf darüber nicht nachsinnen! Sonst muß man verzagen und kann nicht mehr erkennen, warum Krieg in der Christenheit ist!«
Bei diesen Worten bewegten finstere Zweifel auch Herrn Albins Brust.
»Gehabe sich der Herr Bruder wohl!« sprach er zu dem Verwundeten, schüttelte ihm die Hand und sprengte zu seinem Häuflein zurück.
Es war beinahe völlig finster geworden. Hinter ihnen verhallten in der Nacht der Paukenschlag und Trompetenklang, das Pferdegeschrei und Wagengepolter und all das wirre Getöse der Armada.
Vor ihnen aber hatte sich der Himmel in der Ferne mit einem seltsamen rötlichen Dunst umzogen. Wie der Widerschein einer fernen Feuersbrunst leuchtete es zu ihnen herüber.
»Wir können nicht mehr fehlen,« rief der Obrist den Seinen zu. »Die Wachtfeuer der Kaiserlichen weisen uns den Weg. Halt' er sich bei dem Fräulein, Paradeiser, daß sie nicht von uns abkommt. Die Zeiten sind nicht geheuer. Es ist Blut in der Luft.«
»Das ist landkundig, Ihre Gnaden!« erwiderte, sein Roß an Ruths Seite lenkend, der Wachtmeister in geheimnisvollem Ton. »Gingen doch gestern zur Nachtzeit die Tore von Augsburg ohne Lärm von selber auf und ward niemand gesehen, also daß sich die Wachen entsetzten. Und wenn Ihre Gnaden die Reiter ausforschen, die auf Feldwacht ausliegen: jede Nacht kommen die verstorbenen Knechte ans Feuer heran – man erkennt wohl den und jenen – und heben die Hände und winken. Habe doch selbst unlängst im lichten Mondschein das ganze Feld voll Kriegsleute gesehen, die in hungarischem Habit mit fliegenden Kopien aufgezogen sind.«
Bei diesen Worten schauderte Ruth zusammen und blickte angstvoll auf den dunklen Boden nieder, der hohl unter den Pferdehufen klang.