Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.hier im Hofe zur Trauben abgetreten!«
Herr Albin dankte kurz und ritt weiter durch das wilde Getümmel der krummen, schon halb finsteren Gassen.
Hunderte von geflüchteten Bauern erfüllten lärmend und zeternd die Augsburger Altstadt. Ihre Leiterwagen, auf denen über eilig zusammengerafftem Hausrat jammernde Weiber und Kinder saßen, waren an den Straßenecken in unentwirrbare Klumpen zusammengefahren, aus den Höfen zu beiden Seiten tönten das Brüllen geretteter Viehherden, das durchdringende Kläffen der Dorfköter und die Flüche der Ordnung schaffenden Stadtknechte. Dazwischen trieb, als Vorläufer des retirierenden kaiserlichen Heeres, allerhand Gesindel in dem Wirrwarr sein Wesen, stahl, was es konnte, von den Wagen und bemühte sich, die Pferde von den Strängen zu schneiden und zur Seite zu ziehen. Wo aber ein Raum frei war, da standen mit bleichen Gesichtern die Bürger und besprachen in angstvollem Grimme die Kriegsgefahr, die von neuem der Reichsstadt drohte.
Der von Habstein achtete des wüsten Wesens um ihn her kaum. In seine Gedanken versunken ritt er dahin.
Und seine Gedanken waren trauriger Art.
Konnt' er auch nicht begreifen, wie es möglich sei, im Laufe weniger Frühlingsstunden einen Menschen so lieb zu gewinnen, daß man sich nicht mehr von ihm trennen mochte, so mußte er sich doch mit Zerknirschung zugestehen, daß solch Wunder in ihm vorgegangen, daß er nicht an seine Reiter dachte und nicht an den Stand des Krieges und wie Augsburg gegen Wrangel und Turenne zu defendieren sei, sondern einzig und allein an ein blasses, schönes Gesicht, das unter braunem Lockenhaar hilfeflehend sich ihm zuwandte
So hatte er sie gestern zum erstenmal geschaut und sich vor ihr als dem Teufel bekreuzigt.
»Und wenn es auch nicht der Teufel ist,« fuhr es ihm jetzt durch den Kopf, »so ist es sein Werkzeug! Hüte dich, Albinus – du steckst in einem bösen Handel und könntest leicht mit deinen Gelübden auch dein Seelenheil auf ewig preisgeben! Kehre um, Albinus, ehe es denn zu spät ist.«
Und mahnend stieg unter solchen Betrachtungen vor ihm in himmelaufstrebender, sonnenvergoldeter Pracht, alles umher gebieterisch überragend, der heilige Dom zu Augsburg empor. Feierliches Glockenläuten klang wie aus dem Abendrot herniedersteigend von seinen schwindelnden Höhen, und aus dem Innern mahnte dumpf und langgezogen der Orgelton zu Buße und Gebet.
Da war des Habsteiners Entschluß gefaßt.
»Halte das Roß,« befahl er dem Nickel.
»Ihr wartet hier, bis daß ich wieder aus der Kirche komme. Er aber, Paradeiser, nehme zwei Reiter und bringe das Fräulein in die Trauben zur Holtzapfelschen Gräfin und vermelde: Der Obrist von Habstein empfiehlt sich der Frau Gräfin zu Gnaden und bittet sie um Jesu willen, sich dieses Fräuleins vom Adel, die er verlassen angefunden, zu erbarmen. Das weitere mag das Fräulein selbst berichten. Ich aber, der Obrist, kann nicht selbsten kommen, weil es die Kriegsnot nicht zuläßt. Gehabt Euch wohl, Fräulein!« Damit war er aus dem Sattel gestiegen und, ehe Ruth etwas erwidern konnte, im Dom verschwunden
Ein feierliches Halbdunkel empfing ihn da, eine geheimnisvolle, glühende Dämmerung, in die die buntleuchtenden Glasmalereien der Fenster das farblose, von außen eindringende Tageslicht verwandelten. Gedämpfter Orgelklang zog durch den Riesenraum, zwischen dessen mächtigen Pfeilern in dunklen Gruppen die Christenheit auf den Steinfliesen betend kniete. Zumeist waren es Frauen. Die Männer, schien es, hatten großenteils schon im Laufe der Jahrzehnte daran gezweifelt, durch ihr Flehen die Plagen des Himmels von sich und der Stadt abzuwenden.
Herr Albin blieb enttäuscht stehen. Die Beichtstühle waren schon geschlossen. So kniete er denn abseits nieder – unbekümmert um die Menschen, die das seltsame Schauspiel eines bußfertigen Soldaten bestaunten – und bekannte sich selbst seine Sünden und bereute in Zerknirschung den Tribut, den er dem Bösen gezollt.
Und allmählich wurde es freier in ihm. Er fühlte, wie sich die Macht des Teufels brach und die Kraft seiner schwer bedrohten Gelübde wuchs. Er sah, wie Ruths Bild vor seinem gereinigten Blicke entschwand und das sündige Unkraut der Liebe in seiner Brust zu verwelken und zu verdorren begann, daß er sich getraute, es mit Stumpf und Stiel auszureißen und von sich zu werfen.
Als er solches im Geiste getan, atmete er erleichtert auf. Ihm war zumute wie nach einer heißen, aber siegreichen Schlacht. Er wußte, er würde Ruth nie wieder sehen. Die Versuchung lag überwunden hinter ihm.
Wohlgemut schritt Herr Albin ins Freie hinaus. Dort stand seiner harrend Ruth und schaute ihn erwartungsvoll an.
Der Feldobrist prallte zurück, und mit Entsetzen erkannte er, daß er mit seiner bußfertigen Umkehr nur sich selbst eine Gaukelei vorgespiegelt. Denn nicht, wie es sich gebührte, füllten bei des bösen Feindes Anblick Empörung und Abscheu seine Seele, sondern ein köstlicher Schrecken, desgleichen er noch nie in seinem Leben verspürt.
»Das Fräulein muß weiter mit uns reuten,« berichtete Herr Paradeiser, »denn die Holtzapfelsche Frau Gräfin ist unterm heutigen Tage in das Feldlager abgereist, um ihrem Herrn Gemahl in der vorhabenden Kriegsaktion nicht von der Seite zu weichen.«
Da merkte der Habsteiner, daß er so leichten Kaufes nicht davonkommen sollte! Und ein Gefühl der Anerkennung für den bösen Geist, der ihn so standhaft versuchte, kam über ihn! »Der Teufel ist wie ein rechter Kriegsmann,« dachte er, sich in den Sattel schwingend, »wird der zum erstenmal geschlagen, so fällt er zum andernmal auf den Feind und zum drittenmal und setzet ihm unverdrossen zu, bis daß der Vorteil sein ist!«
Und mit lauter Stimme rief er: »Wir reiten zum Lager. Laßt die Gäule laufen und seht, ob sich irgendwo ein leeres Wäglein für die Jungfer findet.«
Und wieder klapperten die Rosseshufe aus dem Pflaster, die Waffen klirrten und mit rauhen Kehlen sangen die Reiter ihr Lied. Herr Albin horchte einen Augenblick, Ruth zum erstenmal wieder flüchtig anschauend, hin. Aber die Kürassiere achteten auf die Gegenwart des Fräuleins und brüllten das ehrbare Kriegslied, das, einst zu Ehren des tollkühnen Pappenheim gedichtet, im Lager fortlebte.
»Also willstu mit dem Degen
Deinen Feinden überlegen
Und ein Held zu Felde sein!
Recht so! Laß den Harnisch bringen,
Laß Drommeten um dich klingen.
Dringe frisch zum Feind hinein.
Wo es Kugeln stäubt und schneyet,
Wo Bellona Feuer speyet.
Da ist rechte Heldenlust.
Alles lenkt sich schon zum Siege,
Wenn du, tapfrer Held, zum Kriege
Raten und dich schicken mußt!
Denn die Schlacht ist halb gewonnen.
Wo, wer an der Spitze steht.
Seinem Feinde unter Augen
Und recht ins Gesichte geht!«
Und wie ein Echo stimmten die hintersten Kürassiere, auf den Habsteiner blickend, ihr anderes Lied an:
»Da eylst und schnaubst du hin!
Du lässest dich in Schlachten
Recht mit Verwunderung
AIs ein Held betrachten!
Das weiß auch Mavors wohl!
Der freut sich innerlich,
Macht schon ein Feldgeschrey
Und weiß sich viel um dich...«
Sie brachen ab und hielten, aus dem Tor gegen Westen herausreitend, unwillkürlich die Pferde an. Ruth aber richtete sich im Sattel auf und sah mit großen, glänzenden Augen vor sich in die Weite. Zum ersten Male schaute sie, die bislang nur die Greuel der Verwüstung kennen gelernt, die berauschende Pracht, die fürchterliche Größe des Krieges.
Im Abendscheine wälzten sich zurückgehende Bayerische und ein Teil der kaiserlichen Armee der Reichsstadt zu.
Alle Wege, alle Stege schienen lebendig geworden zu sein. In wimmelnden, endlosen Strömen