Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.ich zum wenigsten mit einer Streifpartie auszugehen, ob ich nicht Ihre Gnaden tot oder lebend fände –«
Weiter konnte der dicke Quartiermeister nicht sprechen. Denn jetzt erst, da sich der zwischen den Rossen aufgewirbelte Staub verzog, erkannte er die ungeheuerliche Tatsache, daß das Wesen, das hinter dem Obristen im Sattel saß, und über dessen Art die Knechte heftig im Losreiten miteinander gestritten, ein Mädchen sei!
Bei diesem Anblick erschraken der Quartiermeister wie die Knechte. Denn sie dachten nicht anders, als Herr Albinus sei durch eine unselige Schickung der Vernunft verlustig gegangen.
»Was soll's?« fragte der mit gerunzelter Stirn.
»Die Reiter erstaunen sich,« wagte der Wachtmeister zu bemerken, »da männiglich bekannt, daß Ihre Gnaden, der Ihnen beiwohnenden hohen Vernunft gemäß, sonsten das Frauenzimmer nicht regardieren.«
Der von Habstein ließ sich ärgerlich aus dem Sattel gleiten.
»Es ist ein Fräulein vom Adel,« sprach er schroff, »sorge Er für sie, Paradeiser, und wache Er darüber, daß sich keiner der Knechte oder sonst wer bei ihr zutäppisch macht, bis wir gen Augsburg kommen!«
Der schwarze Nickel, ein junger, bleich und blöde aussehender Geselle, führte ihm seinen Hengst zu, und es dünkte dem von Habstein kein geringes Glück, wieder allein, wie es einem Kriegsmann geziemt, auf dem stolzen Tiere zu thronen, statt auf dem Bauernklepper, dessen Zügel jetzt der schwarze Nickel Ruth aus den Händen nahm, um ihn zu leiten. Trotzdem war Herr Albin nicht zufrieden. Um ihn klirrten die Waffen, unter ihm bäumte sich sein unermüdliches Streitroß, und er hätte, indes er dem Quartiermeister seine Abenteuer erzählte, wohl freier aufatmen können, da nicht mehr, wie bisher den ganzen langen Tag, zwei zarte Arme seine Brust umspannt hielten. Aber dem war nicht so. Zum erstenmal war es Herrn Albin einsam zu Mut auf seinem Hengste, und er schaute zuweilen, wie um Wind und Wetter für den morgenden Tag zu prüfen, nach rückwärts in das Gesicht Ruths, die schweigend und beklommen in der Mitte des rauhen Kriegsvolks hinter ihm ritt.
»Und wie steht's im Felde?« fragte er rauh.
Herr Paradeiser zu Villach räusperte sich.
»Die Partien gehen wohl stark auf einander los und manche Sättel sind in diesen Tagen leer geworden. Aber das große Treffen, dessen sich die Armada gewärtig hält, lassen die Generalissimi anstehen –«
Des Obristen Gesicht verfinsterte sich. »Und warum beliebt es den Herren so?«
»Ihre Gnaden haben unsere Völker seit zwei Monaten nicht vor Augen gehabt. Indes hat sich der Hunger bei uns zu Gaste geladen. Das ganze Land ist öde, und man möchte meinen, daß sich bald im heiligen Reiche kein Territorium mehr fände, wo eine Armada sich ernähren kann. Es ist alles von Kräften gekommen, die Gäule sind vom Fleisch gefallen, den Reitern steht das Maul offen, und so wagt es des Herrn Grafen Holtzapfel Exzellenz nicht, mit den erschlafften Kerlen den Konfederierten unter Augen zu gehen. Er hat zwar gestern den Truppen ein Ziemliches an Kraut und Lot spendieret, auch die Stadt Augsburg mit Mehl und anderer Notdurft wohl versehen, aber trotzdem, denk' ich, setzt er seinen Intent ins Werk, mit den Völkern über den Lech zu retirieren. Die kurbayerische Armada und das grobe Geschütz geht auf sein Geheiß eben jetzt gegen Augsburg zurück. Er selbst aber, um diesen Marche zu decken, bleibt die Nacht über bei Zusmarshausen stehen – ist ein Marktflecken, zwei Stunden von hier –«
Des Habsteiners Miene war grimmig und besorgt geworden.
»Und wann die Konfederierten ihm unversehens auf den Hals rücken?«
»Solche Besorgnis herrscht wohl im Lager,«
Herr Paradeiser wies in die Ferne, wo an dem blaßblauen Abendhimmel drei mächtige schwarze Rauchwolken reglos standen: »Da melden die Schweden schon ihre Ankunft. Wo sie hinkommen, machen sie jetzt den Vulcanum zum Quartiermeister, um sich an dem Herrn Kurfürsten für seinen Heimfall an die kaiserliche Sache zu rächen. Man sagt, sie ständen schon bei Lauingen –«
Der Obrist schwieg. Aber sein Gesicht drückte ernste Besorgnis aus.
»Unlängst,« fuhr der gesprächige Paradeiser zu Villach fort, »im vorigen Monat, als wir bei Dünkelsbühl dem Schwed' und Franzos so nahe standen, daß wir einander in die Lager einsehen konnten, da hätten wir bald dem Feinde einen merklichen Vorteil abgewonnen. Ritt da Graf Wrangel, der schwedische Generalissimus, nur von einem Trompeter, dem Pagen und zwei Windspielen begleitet, von den Truppen ab ins Feld. Ein kaiserlicher Rittmeister aber hält mit seinen Leuten im Busch, um ihn abzufangen. Und erkennt den Trompeter. Sei von diesem sein Kamerad gewesen, spricht er zu seinen Leuten. Diese Rede hört, zweifelsohne aus Himmels Verhängnis, der Graf Wrangel, gibt dem Pferd die Sporen und eilt zu seinen Völkern und entkam dem Herrn Rittmeister, der ihn, sonsten er nur das Maul gehalten, leichtlich hätte totschießen können, wenn er ihn nicht lebendig hätte haben wollen.«
Herr Albin zuckte die Achseln und sprach kein Wort mehr, bis sie unter die Mauern von Augsburg gelangt waren. Auf den Hügeln daneben wurden Schanzen aufgeworfen. Hunderte von Bauern karrten die Erde herbei und arbeiteten unter der Aufsicht der Augsburger Ratsherren und kaiserlichen Offiziere an Gräben und Wällen.
»So ist das Bauernvolk doch zu etwas nutze,« wandte sich der Quartiermeister an Ruth. »War das die letzten Wochen durch ein Flehnen und Flüchten vom ganzen platten Lande gen Augsburg. Aus der ganzen Windrose sind sie gekommen, um sich vor den Schweden und Franzosen zu retten, die jedes Dorf, mag sich's zu wehren erkühnen oder nicht, in Asche setzten. Dem Feinde kommt das selbsten schlecht zu paß. Er findet nicht Mehl noch Gras in den Dörfern, die zum Steinhaufen geraten sind, und muß im Lande auf- und niederziehen und die Truppen unnütz fatiguieren, um nicht Hungers zu vergehen.«
Ruth verstand ihn nicht.
»Gibt's noch größere Städte als Ausburg, Herr?« fragte sie schüchtern und sah staunend auf die endlosen Ringmauern und Häusermassen.
Herr Paradeiser wiegte das Haupt.
»Es soll vor Zeiten,« sprach er, »kaum eine Stadt in der Christenheit gegeben haben, die Nürnberg und Augsburg gleichkam. Das ist schon lange her. Aber immerhin auch in unserem Säculo zählte man, da der liebe Fried' noch grünte, in der Stadt Augsburg achtzigtausend Menschen und mehr. Jetzt ist wohl kaum mehr ein Fünfteil da.«
»Und die anderen sind alle verblichen?« forschte Ruth schaudernd.
Der Quartiermeister nickte.
»So ist's ihnen ergangen. Zumal vor dreizehn Jahren. Da waren die evangelischen Geschlechter in der Stadt obenauf, und der schwedische Führer, Herr George von dem Winckel, verteidigte die Stadt so unerschrocken und vortrefflich, wie es nur einem unverzagten Kriegsmann ansteht, so daß selbst die Feinde seine Meriten lobten. Als aber die Belagerung lange währte, kam Hungersnot und Pestilenz, und es wußte sich keiner mehr Rats. Die Reichen zahlten zehn Gulden und mehr für eine rohe Roßhaut, sie zu verschlingen, die Armen aber sotten sich Leder gar und speiseten Ratzen und Mäuse. Dazu kam die Seuche, und die Christenheit in selber Stadt verging wie die Fliegen im Herbst. Seit jenem Jahre hat Augsburg keine Ruhe gehabt, sich zu erholen. Bald liegen die Kaiserlichen in ihr, bald der Widerpart, und der Rat weiß kaum mehr, wie er den Völkern Nahrung schaffen soll. Wenn er aber keine Brotzettel austeilt, so gebärdet sich die Soldateska mit Recht tyrannisch, und die Soldatenweiber und Troßbuben tumultuieren durch die Gassen und rotten sich vor dem Rathaus zusammen, bis daß die Herren wieder in den Säckel greifen und sehen mögen, wo in deutschen Landen noch Korn und Mehl zu finden sei.«
Schwer hallten jetzt die Rosseshufe unter einem finsteren Torbogen. Sie ritten in die Stadt Augsburg ein.
5.
Der Habsteiner hemmte sein Roß. »Ist die Holtzapfelsche Frau Gräfin in der Stadt?« fragte er barsch aus dem Sattel herab die Musketiere der Torwache.
Die Knechte wußten es nicht und wandten sich an ihren Offizier, einen kaiserlichen