Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.die einen kahlen Hügel krönte, hielt der Obrist still.
»Steige das Fräulein ab,« sagte er. »Es ist Mittagszeit. Der Gaul hat Rast von nöten. Er trägt uns sonst heute nicht mehr bis Augsburg. Und auch Ihr werdet müde sein –«
Dem war so. Kaum war Ruth aus dem Sattel geglitten und hatte etwas von Speise und Trank genossen, als sie sich schon schlaftrunken auf dem Boden niederstreckte.
Der von Habstein hatte den Gaul umgesattelt und festgebunden. Nun saß er neben ihr und sah ihr mit finsterer Neugier in das schöne, im Schlafe leidvoll lächelnde Gesicht.
Das war ein böses Abenteuer. Nie in seinem vielbewegten Leben konnte er sich eines ähnlichen entsinnen. Der Abenteuer mit Männern die Menge – in Gutem und in Schlimmem – mit blitzender Waffe und spitzer Rede. Aber mit Frauen ... Wer ihm verkündet hätte, daß er, Albinus Habstein, der Kriegsobrist und Gebieter über neunhundert eisengepanzerte Reiter, hier fern vom Lager in einer Weißdornhecke sitzen und bei Amselruf und fernem Kuckucksschlag den Schlummer eines Mädchens bewachen würde, den hätte er wahrlich einen Narren gescholten.
Und nun war er in solch wunderlicher Lage und fand nichts Greuliches daran. Im Gegenteil – er hätte lange so sitzen und in das blasse, stille Antlitz neben sich schauen mögen.
Und als nun eine Hummel mit zudringlichem Gebrumm den braungelockten Kopf umkreiste, da ereignete sich das Unerhörte und Gewaltige, das gottlob keines Menschen Auge sah. Der von Habstein schnitt einen grünenden Zweig ab und wehrte mit eigener Hand die Fliegen vom Gesicht der Schlafenden.
Dabei empfand er freilich eine bittere Reue und schämte sich seines unmännlichen Tuns.
»Wahrlich,« dachte er, »wie oft habe ich selbst vor den Schleppsäcken gewarnt und dem Teufel, der in langen Zöpfen umgeht. Nun gab ich ihm den kleinen Finger und siehe – er hält mich mit Haut und Haar –«
Und Herr Albin beschloß, wenn möglich, schon am selben Abend im Dom zu Augsburg zu beichten und sich seiner Sündenlast zu entledigen, von der er vorgestern um diese Zeit noch nichts geahnt.
Da war er wohlgemut als ein kriegerischer Herr dahingeritten, auf seinem prachtvollen Hengst, um den das ganze Lager ihn neidete, von dem Schwarme trotziger Knechte gefolgt.
Nun war das alles zuschanden. Und was hatte er dafür eingetauscht? Eine armselig zitternde Jungfer, ein unnützes, beschwerliches Ding, in das er sich gar nicht zu schicken wußte.
Und dennoch war er mit dem Tausch zufrieden. Herr Albin begriff das nicht –
Das war ein böser, wunderlicher Handel, und der von Habstein wußte nicht, wie ihm geschah. Ratlos sah er vor sich hin in die Ferne, aber immer wieder wanderten seine Augen zu dem sanften Antlitz, um das das sprossende Frühlingsgras am Boden nickte, und blieben daran hängen, bis er plötzlich auffuhr und nach der Sonne sah.
Es war hohe Zeit, aufzubrechen!
Der Obrist nahm den nun völlig abgekühlten Gaul am Zügel und führte ihn den Abhang hinunter zu einem Wiesenquell, um ihn dort zu tränken.
Als er das getan und die Stute wieder umwendete, sah er, wie ein großer, hagerer Wolf oben am Rande des Dickichts herumschlich und langsam darin verschwand!
Und wiederum empfand der Feldobrist ein Gefühl, das ihm bisher in seinem ganzen Leben fremd geblieben war. Eine entsetzliche Angst rang sich jählings in ihm empor und trieb ihm kalte Schweißperlen auf die narbenüberflammte Stirne.
Den Gaul im Trab hinter sich herziehend, rannte er mit gezücktem Schwerte nach oben, an die Stelle, wo er Ruth verlassen.
Sie lag friedlich schlummernd da. Etwas abseits krachte es in den Büschen, und langsam verlor sich ein heiseres Knurren.
Der von Habstein atmete tief auf. Und fast zugleich fiel es ihm ein, daß er erst einmal in seinem Leben nur annähernd ein solches Gefühl der Beruhigung und Befriedigung empfunden: das war am Abend nach der mörderischen Lützener Schlacht, als durch die Reihen der gelichteten, von der unerhörten Gräßlichkeit des Kampfes verstörten Kaiserlichen unter jubelndem »Viktoria!« die Kunde von dem Tode Gustav Adolfs ging –
Damals ein Streit um Länder und Kronen, ein Streit, von dem man schaudernd an den fernsten Enden Europas erzählte – und jetzt –
Jetzt atmete er auf, wie nach der ruhmreichsten Kriegstat, weil er einen Wolf vom Heidelager einer Jungfer verscheucht hatte! Er seufzte. Denn er merkte wohl, wie er immer mehr sich in den Schlingen des Bösen verstrickte.
Dann rief er Ruth an. Ein-, zweimal und nochmals mit immer lauterer Stimme.
Sie hörte ihn nicht. Die seelische Erschütterung am Sterbebett, die schlaflose Nacht mit der ungewohnten Arbeit des Schaufelns, der lange anstrengende Ritt hatten sie in traumlosen, ohnmachtähnlichen Schlaf versenkt.
Was war da zu tun?
Herr Albin geriet in bittere Zweifel.
Sie würde wohl erwachen, wenn er sein Feuerrohr neben ihr löste. Aber das mochte sie erschrecken und vielleicht auch Feinde herbeilocken.
So blieb nur ein Mittel. Man mußte sie anfassen und wach rütteln.
Der von Habstein streckte die Hand aus und zog sie jählings wieder zurück. Aber dann raunte der Versucher ihm wieder zu: »Du fassest dein Gelübde zu streng! Und ist's doch eine Sünde, so gehst du ja heute abend zur Beichte und wirst ihrer mit den anderen zugleich ledig –«
Da legte er seine schwere Hand auf Ruths schmale Schulter, und es war ihm eigen dabei zu Sinne. Sie fuhr auf und sah verstört aus großen Kinderaugen um sich. Dann kam ihr die Erinnerung, und sie stand langsam auf.
»Habe ich zu lange geschlafen, Herr,« fragte sie, »weil Ihr mich so unfreundlich anschaut?«
Herr Albin erwiderte nichts, sondern schwang sich aufs Roß. Dann beugte er sich zu ihrem Erstaunen herab, legte die Arme um sie und hob sie selbst zu sich herauf. Auf eine Sünde mehr oder weniger kam es jetzt nicht mehr an –
Im Abendrot flimmernd hoben sich ferne am Horizont schlanke Kirchtürme in die Luft. Hochragende Mauern mit mächtigen Ecktürmen und dahinter ein Meer spitzgiebeliger Dächer stiegen langsam empor, je mehr die beiden sich der Stadt näherten.
Der Obrist fühlte sich leise am Arm berührt. »Herr, sind wir gerettet?« fragte es hinter ihm.
Er nickte.
»Das ist des heiligen Reiches Stadt Augsburg,« sprach er und wies auf die mächtigen, im Schein der sinkenden Sonne rot flimmernden Häusermassen, »dort werdet Ihr Unterkunft finden.«
Sie fuhr in einem plötzlichen Schrecken hinter ihm zurück, daß er sich im Sattel umwandte. »Reiter – Herr –,« stammelte sie, »ihrer zwölf und mehr – Herrgott, sei uns gnädig!«
Der von Habsbein legte die Hand schirmend über die Augen. »Entsetze sich das Fräulein nicht,« sprach er, »so nahe an einem Platz, wie Augsburg, wagt sich keine feindliche Partei. Es sind die Unseren! Kurbayerische oder Kaiserliche – ja, sie sind sogar von meinem Regiment,« setzte er in freudiger Ueberraschung hinzu, als sich der Reitertrupp in gestrecktem Galopp näherte, »ich erkenne sie wohl: Der dicke Graubart, der an der Spitze reitet, das ist der Quartiermeister meines eigenen Fähnleins, Paradeiser zu Villach genannt – und der Bursch neben ihm, den heißet man den schwarzen Nickel. Ich hab' ihn einmal mit großer Not gerettet, als ihn die Bauern schon in den Händen hatten. Und da – aber was ist das – da führen sie meinen Hengst ledig mit sich, den ich vorgestern den Merodebrüdern lassen mußt'!«
Die Reiter kamen heran.
»Ihre Gnaden leben!« schrie schon von weitem der Wachtmeister den Reitern zu: »Preis sei dem Herrn!«
Herr von Habstein bog sich im Sattel vor: »Wie kam der Hengst zu Euch?«
»Die Dragoner von Boccamaggior, Ihre Gnaden, haben in heutiger Nacht einen Haufen Freireiter in ihrem Verstecke aufgehoben und henkten selbe Kerle. Wie sie aber mit der Beute ins Lager kamen, geriet unser Regiment in Entsetzen! Denn