Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Ihr ein Christenmensch seid,« sprach er ernst, »so betet für ihn! Er wird noch heute nacht sterben!«
Im nächsten Augenblick bereute er diese Worte, die ihm, dem Kriegsmann, so gewohnt und geläufig waren, da er das schreckensvolle Staunen auf Ruths schönem Antlitz sah.
»Sterben!« wiederholte sie tonlos und trat dicht an ihn heran. »Sterben – sagt Ihr, Herr!«
Er nickte.
Da fühlte er, wie sich zwei zitternde Hände auf seine Schultern legten und hilfeflehend da festklammerten. Er hörte ihr schweres Atmen an seiner Brust und sah, wie ihr schlanker Körper vor Schluchzen zitterte. Und halb von Tränen erstickt klang ihre warme Stimme zu ihm auf: »Herr – helft ihm – erbarmt Euch meiner. Ohne den Oheim bin ich ja ganz allein auf der Welt!«
Herr Albin wagte sich kaum zu rühren. Ihm war seltsam wohl zumut. Ein wunderliches Gefühl der Zärtlichkeit erwachte in ihm, der Fürsorge für das schwache, schöne Wesen, das sich da zitternd an ihn schmiegte. Schon streckte er die Hand aus, um ihr Haupt aufzurichten und ihr Mut zuzusprechen, da plötzlich kam wie ein Schrecken der Gedanke an sein Gelübde über ihn –!
»Du hast geschworen, kein Weib zu berühren!« Das ging Herrn Albinus jählings durchs Gemüt; er erkannte, wie nahe er am Rande des Verderbens stand, und entzog sich, mit rauhem Auflachen zurücktretend, den zitternden Händen, die auf seinen Schultern ruhten.
Sie blieb stehen und sah ihn verschüchtert an.
Da drang aus dem Nebenzimmer ein schwacher Ruf.
3.
Als sie vor das Bett traten, warf Ruth einen Blick voll bangen Entsetzens auf ihren Begleiter. Auch sie merkte jetzt, daß es mit Herrn Melchior übel stand. Sein Gesicht war verändert, seine Augen erloschen. Er atmete schwer.
»Laß uns allein,« sprach er mühsam zu Ruth und faßte nach der Hand des Obristen.
»Nun hört meine Bitte! Man pflegt gemeiniglich einem Christen den letzten Wunsch nicht zu versagen. Darum ist diese Bitte das letzte, was ich auf Erden sprech': – Herr, wenn ich sterbe, muß sie drinnen, mein Mündel und meine Nichte, hier verkommen und verderben. Darum hab' ich mit dem Tod gerungen – einen langen, endlos langen Tag – und ihn von mir abgehalten, bis daß ein christlicher Ritter sich ihrer erbarme und ich in Frieden verscheiden kann. Um Eures Seelenheils willen, wie um des meinen: Gebt mir den Eid, daß Ihr Ruth in Ehren mit Euch nehmen und ohne Schaden für Leib und Seele in ein Kloster schaffen wollt, wo es Euch gut bedünkt.«
Herr Melchior richtete sich mit letzter Anstrengung auf und sah dem Obristen ins Gesicht.
Der hatte sich den Handel überlegt und sprach: »Vernehmt, Herr – sich eines hilflosen Menschen erbarmen, ist Christenpflicht. So schwör' ich Euch einen leiblichen Eid, daß ich gedachtes Mädchen, so weit bei mir steht, ungefährdet gen Augsburg bringen, dort aber, wo mich die Feldpflicht ruft, alsbald der Frau Gräfin Holtzapfel, meines Generalissimi Gemahlin, übergeben werde, die dann nach bestem Wissen weiter für sie sorgen mag –«
Er fühlte einen matten Händedruck. Herr Melchior sank in sein Lager zurück. »Ich danke Euch –,« hauchte er und winkte Ruth, die auf der Schwelle erschien, zu sich heran.
Der Obrist trat neben sie. »Knie das Fräulein nieder und bete –,« sprach er rauh, »es ist an dem daß Euer Ohm hinübergeht!« Ruth sank schluchzend zu Boden, und ebenso ließ sich hart vor dem Lager der von Habstein auf ein Knie nieder.
Der Sterbende wollte beten, doch er konnte nicht mehr und sah mit gefalteten Händen Herrn Albinus bittend an.
Da erhob der Obrist seine Stimme, und durch das schweigende Gemach klang sein rauhes Feldgebet:
»O Du König aller Könige, der Du Himmel und Erde erfüllst – Du Brunnquell ewigen Lebens, in dem keine Furcht des Todes ist zu finden, Du, Herr, bist's, der uns rechtfertig den Tod schickst und auch unser barmherziger Seligmacher erfunden wirst –
»Laß von Deiner unendlichen Gnade beide empfangen: ihn und seine Feinde, und besprenge ihre bußfertigen Seelen mit Deines Sohnes Blut!
»Und ist er mit Dir versöhnt durch das Blut des Erlösers, so lasse denn, Herr, Deinen Dienstknecht nach Deinem Wort mit Friede dahinfahren –«
Da tat Herr Melchior seinen letzten Atemzug.
Der Obrist verließ so leise, als seine schweren Reiterstiefel es erlaubten, das Zimmer und trat auf den Söller hinaus, in den jetzt durch die zertrümmerten Fenster das Mondlicht in breiten Strahlen flutete.
Gedankenvoll sah er hinab in das Tal zu seinen Füßen, in dem das öde Dörflein friedlich, wie schlummernd, dalag. Die Fledermäuse schwirrten und gaukelten vor ihm in der klaren Nachtluft, und aus dem zerfallenen Turme vor ihm schwebte eine Eule lautlos hernieder und fuhr über das Brennesselgewirr im Hofe dahin.
Klar war es Herrn Albinus nicht, was mit ihm vorgegangen. Er schaute sich um. »Wahrscheinlich,« dachte er bei sich, »bin ich der einzige Mensch von Fleisch und Blut hier in diesem zerfallenen Gemäuer. Und bin nicht der erste, der zur Nachtzeit unter Hexenvolk geriet, wie es an solchen Orten im Mondschein sein Wesen treibt und ehrliche Christen zu verführen sucht –« Aber freilich – sie hatten sein Gebet mit angehört, ohne sich zu entsetzen. Doch selbst gebetet hatten sie nicht.
»Am besten ist's, ich sehe nach, wo der Böse geblieben ist,« sann der von Habstein weiter, »und ich denke: wenn ich wieder in die Zimmer trete, werden sie kahl und leer sein. Verschwunden die Lichter, verschwunden Wein und Speisen – und mit ihnen der, der mich da drinnen bald als Leichnam, bald als schönes Mädchen äfft –«
Da fühlt er sich leise am Arm berührt.
Sie stand neben ihm und sah mit bangen Augen zu ihm auf.
»Herr – ich fürchte mich!« sprach sie, zitternd.
Da merkte Herr Albinus, daß die Zeit seiner Prüfung noch nicht vorbei war.
»Zum Fürchten ist jetzt keine Zeit,« sagte er streng. »Denn in aller Gottesfrühe muß ich weiter ziehen – und Euch mit mir nach Augsburg nehmen –«, und zögernd setzte er für sich hinzu: »wann Ihr nach Sonnenaufgang noch vorhanden sein –«
Ein schmerzliches Lächeln glitt über ihr schönes Gesicht, das jetzt im Mondschein blutlos und leichenblaß aussah.
»Und bis dahin«, fuhr er fort, »müssen wir den Verschiedenen in die Erde geben. Weist mir Hacke und Spaten. So wollen wir ihm ein Grab im Schloßhof schaufeln.«
Sie schluchzte auf. »Kommt,« sprach sie und ging zur Treppe.
Dort wollte sie ihm die Hand reichen, um ihn durch das Dunkel hinab zu geleiten. Er wehrte ihr unwillig ab und tappte sich mühselig über die krachende Stiege.
Als er in den Hof hinaustrat, verdunkelte sich der Mond. Eine Wolkenwand schob sich vor ihn, und in schwerem Rauschen ging wiederum der Frühlingsregen nieder.
Es dauerte einige Zeit, bis er sie fand. Sie stand hart an der Wallmauer, in einem Winkel, den die Trümmer eines vorspringenden Turmes bildeten. Dichte Holunderhecken sproßten darüber und erfüllten die Nachtluft mit ihrem süßen Atem. Herr Albin ergriff einen der beiden Spaten, die sie herbeigeschafft, und stieß ihn in das lockere Erdreich. Ruth nahm den anderen, trat einige Schritte abseits und wollte seinem Beispiel folgen, als der Obrist finster von der ungewohnten Arbeit aufsah. »Lasse das Fräulein das,« befahl er, »das ist keine Arbeit für adeliges Frauenzimmer.«
Aber sie schüttelte nur schweigend den Kopf, daß die Locken flogen, und schaufelte weiter.
So gruben sie gemeinsam Herrn Melchior von Ampringen in strömendem Frühlingsregen sein Grab.
Es war nahezu völlig finster geworden. Die lauwarm niederfließenden Regenschauer umhüllten sie wie mit einem duftigen Schleier.