Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Einakter, der am Sonnabend herauskommt. Aber am Sonntag vormittag ... da ...«
»Also am Sonntag ...«
XIII.
Ein sprühender, kalter Herbstregen fegte durch die Straßen, auf denen die grau-nüchterne Morgenstimmung Berlins lag.
Es klopfte draußen an Valeskas Tür. Lange und energisch.
»Fräulein Elten ... Sie müssen aufstehen ...«, klang die Stimme der Frau von Haidenschild vom Flur.
Ein längeres Schweigen. Dann folgte als Antwort ein müdes »Ja ... ja ... gleich ...« von innen, und die Bettstelle ächzte.
Damit gab sich die Haidenschild aber nicht zufrieden.
»Ja ... ja ... gleich! ...«, rief sie durch die Tür, »... und dann schlafen Sie sofort wieder ein. Das kenne ich nun schon!«
Und wirklich ... drinnen war es schon wieder still geworden.
»Fräulein Elten ...«, die Haidenschild hämmerte ausdauernd gegen das Holz, »es ist Sonnabend ... es ist Kostümprobe heute ...«
»Oh ... ja ... Kostümprobe ...«, klang es matt von innen.
»Und es ist neun Uhr ... neun Uhr, Fräulein ... um halb zehn müssen Sie drüben sein!«
Das wirkte!
Frau von Haidenschild hörte, wie drinnen etwas mit gleichen Füßen aus dem Bett sprang. Gleich darauf knarrte die Diele in der Nähe der Tür, und sie vernahm Valeskas noch ganz schlaftrunkene Stimme:
»Danke schön ... und, bitte, recht rasch den Kaffee!«
Valeska kam gerade noch zurecht.
Auf halb elf war die Kostümprobe – oder »Generalprobe«, wie das Publikum sie beharrlich nennt – zu dem Einakter »Der Hausfreund« angesetzt. Und eine Stunde mußte man schon zu dem Frisieren, Schminken und Toilettemachen rechnen.
Es herrschte ein ungewohntes Leben auf dem langen, halbdunklen Korridor, der auf der einen Seite durch die Zugänge zur Bühne, auf der anderen durch die Türen der einzelnen Garderobezimmer begrenzt war. An jeder Tür standen auf Papptäfelchen die Namen der beiden Inhaberinnen. Nur die Dobschütz hatte einen Raum für sich allein, und am anderen Ende des Ganges war eine große, heute leere Garderobe für die gesamte Komparserie eingerichtet.
Alle Augenblicke wurden Türen aufgemacht und zugeschlagen. Man rief nach der Friseuse. Ein halbes Dutzend Garderobieren eilte geschäftig hin und her. Von der Bühne her tönte dumpf das Pochen und Hämmern der Arbeiter, aus den Garderobezimmern Geschwätz und Gelächter und ein langgezogenes de–re–mi–fa–sol in Käthe Hannemanns klangvoller Altstimme.
Zum erstenmal seit Eröffnung der Saison waren fast sämtliche Damen auf der Bühne beschäftigt. Die Dobschütz in der Hauptrolle, die Hannemann und Elly Krause in kleineren Partien, endlich Valeska, Thilda, Mizi Stadinger und die Ilgen in den bewußten vier Worten. Pepi Hochleitner und Elisabeth Neumann, die nicht in dem Einakter, aber abends in der darauffolgenden »Kleinen Herzogin« zu tun hatten, trieben sich ebenfalls auf dem Korridor herum, um nachher sich vom Parkett aus mit kritischen Blicken den Einakter oder vielmehr – was sie eigentlich allein interessierte – die Toiletten der Kolleginnen anzusehen.
»Was hast du denn nur heute?« fragte in der Garderobe Valeska zu Thilda Thorbeck hinüber, während sie, in tiefstem Negligé vor dem Spiegel sitzend, sich zum Schminken bereitmachte.
Thilda zuckte die Achseln.
»Ich habe Kopfweh!« sagte sie kurz.
»Komisch!« dachte die Elten und sah sich in dem Toilettenraum um, den im bläulichen Schein des elektrischen Lichts ein wirres Durcheinander von Kleidern, Wäschestücken, Schminkrequisiten und vielen anderen Dingen erfüllte. »Es wird wohl der Ärger wegen ihres Kostüms sein ... natürlich ... sie kann es nicht wie die andern ...«
Und in der Tat ... Thildas Robe, die im Hintergrund über einem Stuhl lag, machte einen entschieden dürftigen Eindruck. Sie war nicht neu und offenbar nachträglich für Thildas hagere Figur umgearbeitet.
Valeska sah sie, wie schon oft, kopfschüttelnd von der Seite an. Entsetzlich mager war doch das Mädel! ... Diese Schlüsselbeine ... und überhaupt ...
Die hübsche Elten blickte einen Augenblick befriedigt an sich hernieder. Dann fuhr sie rasch in den Cold- cream-Tiegel, beschmierte sich damit das ganze Gesicht und wischte es vorsichtig ab, so daß nur eine leicht glänzende Fettschicht auf der Haut zurückblieb.
»Du bist heute so merkwürdig verdrossen, Thilda,« sagte sie, während sie sich unterhalb der Augen einige Striche mit Karmin-Fett-Rouge anbrachte und dieses dann mit spitzen Fingern nach den Schläfen verrieb und über die Backen hin verschwinden ließ, »hat sich der böse Onkel Klaus wieder aus der Neumark hören lassen ...?«
»Nein!« erwiderte Thilda beinahe schroff.
»Nun ... wenn du mir's nicht sagen willst ...«
Valeska sah sich prüfend im Spiegel an und begann, sich vorbeugend, die Augenpartie zu bearbeiten.
Erst zog sie vorsichtig mit dem grauen Fett-Krayon einen Strich von dem inneren Augenwinkel im Bogen unterhalb des Auges zur Schläfe und verrieb ihn mit dem Finger. Dann machte sie es ebenso mit den Augenlidern, gab reichlich Rosafettpuder auf das Ganze und nahm es, vorsichtig zwinkernd, mit einem Samtbürstchen wieder weg.
Thilda schwieg noch immer. Sonst pflegte sie bei solchen Gelegenheiten ihrer Freundin unablässig von dem Assessor und was damit zusammenhing zu erzählen.
Das ärgerte Valeska. Nachdem sie sich vermittels einer Hasenpfote voll Trockenrouge die Augenpartien ebenmäßig geglättet hatte, wandte sie sich zu Thilda und fragte:
»Sag' mal ... hast du was gegen mich?«
»Was sollte ich haben?« erwiderte Thilda gelassen. »Ich wundere mich nur ...«
»Einen Augenblick ...« Valeska nahm das Mascarobürstchen und färbte sich sorgfältig mit der chinesischen Tusche die Augenbrauen und die Wimpern. »Über was wunderst du dich?«
Thilda, die schon fertig geschminkt und angezogen war, trat zu der Elten und legte ihr die Hand auf den bloßen Arm.
»So gib doch acht!« schrie diese ärgerlich. Sie hatte eben eine umgekehrte Stecknadel in der Hand, auf deren Kopf etwas Dunkelrot von dem Krayon klebte, und fuhr sich damit vorsichtig in die Augenhöhle. Erst machte sie sich einen starken roten Punkt in den inneren Augenwinkel, dann unterzog sie das Auge bis zur Hälfte mit einem roten Streifen und setzte endlich am äußeren Augenrand einen spitzen roten Strich auf das Schwarze. Dann färbte sie sich die Augenlider etwas rot und gab den Nasenlöchern durch Trockenrouge einen roten Glanz.
»Also worüber wunderst du dich?« fragte sie, gereizt sich umdrehend, Thilda, die immer noch neben ihr stand. Sie ahnte schon, worauf die Sache hinauslief.
»Über deine Toilette!« erwiderte Thilda und warf einen Blick auf Valeskas im Hintergrund ausgebreitete Robe. »Das ist ja ein wahrhaft verschwenderisches Kostüm ...«
Die Elten färbte sich eben die Lippen mit roter Pomade.
»Pah ... meine Toilette ...«, sagte sie, und ihre weißen Zähne blitzten. »Das Kleid hab' ich schon lange ...«
»Nein,« erwiderte Thilda Thorbeck, »es ist von neuester Mode ... und nicht ein einziges Mal getragen.«
Die kleine Elten wurde trotzig.
»Gut,« sagte sie und überstäubte das ganze Gesicht mit Veloutine, dem rosa Trockenpuder, »wie du willst ... also es ist von neuester Mode und nicht ein einziges Mal getragen. Und nun störe mich nicht. Ich habe so schon beinahe die Ohren vergessen.«
Und eilig begann sie sich die Ohrläppchen