Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.den Hut.
»Großartig, Herr Baron!« erwiderte die schwarze Franziska. »Das heißt ... bis auf Fräulein Eltens Toilette ... über die werden Sie sich wundern!«
»Wirklich?«
»Ja, das ist doch wohl das Powerste, was noch dagewesen ist!«
»Was willst du?« rief Käthe und warf den schönen, von aschblonden Flechten gekrönten Kopf in den Nacken. »Ein armes, braves Kind wie die Elten ...«
Seybling sah sie aus dem Sattel forschend an und merkte den Spott, der um ihre Mundwinkel zuckte.
»Oh ... wirklich ...?« sagte er befriedigt und legte die Schenkel an, um weiterzureiten. »Also auf morgen, meine Damen!«
»Nun ist nur noch die eine Rolle hier zu besetzen ...«
Der Direktor Hochmann blätterte, wie er es seit einer Stunde schon tat, nachdenklich in einem umfangreichen Manuskript.
»... die Astild ... die einzige, die ich in dem ganzen merkwürdigen Stück für total verzeichnet halte ...«
»Ja ... undankbar ist sie jedenfalls sehr ... trotz ihres Umfangs ...«, pflichtete Reichau, der Sekretär, bei, »und umarbeiten kann sie der Autor nicht mehr ...«
»Nein ... da er tot ist ...« Hochmann überlegte. »Wirklich ein Pech, mit dreißig Jahren als völlig unbekannter Mensch zu sterben, nachdem man eben solch ein Ding geschrieben hat. Es ist ein wahres Wunder, daß ich durch Zufall in meiner letzten schlaflosen Nacht gerade dies Buch aus dem Stoß von Manuskripten herausgegriffen habe ... Nun, wir werden ja sehen ... ich bringe es jedenfalls als nächste Neuheit ...«
»Und die Astild?«
Hochmann sann nach.
»Eine böse Sache, wer die Rolle kriegt, ist geliefert. Abgetan vielleicht auf immer. Denn unser Publikum und auch ein Teil der Kritik kann gerade solch eine Rolle nicht von der Darstellung trennen. Und es ist nichts damit zu machen. Man muß darin umwerfen!«
»Und dabei muß die Darstellerin schön sein,« meinte Reichau, »um diese edelmütige Kokotte wenigstens einigermaßen glaubhaft zu machen. Außerdem sehr schick ... und dann sind noch zwei glänzende Toiletten erforderlich.«
»Toiletten ...« Hochmann sann wieder nach, und seine Züge erhellten sich. »Toiletten ... haben Sie die Elten heute auf der Probe gesehen?«
»Ja. Die Robe war pompös!«
»Schön! Also schreiben Sie: Astild – Fräulein Elten.«
XIV.
Auf dem Lehrter Bahnhof stieg ein kleiner, fetter Herr aus einem Coupé erster Klasse, putzte sich die Brille und wartete mißvergnügt, bis sein mitfahrender Diener erschienen war und einen Wagen besorgt hatte.
Während er zu dem Major von Rönne rollte, musterte er ärgerlich die neuen, im Bau begriffenen Stadtviertel, die sich auf der Moabiter Seite jenseits der Spree zeigten.
Dies Berlin wuchs noch immer! ... Ein wahrer Wasserkopf der preußischen Monarchie! Der rheinische Abgeordnete, der diesen vielbelachten Ausspruch getan, hatte ganz recht.
Und dieser neue Reichstag!
Brauchte man wirklich eine so prunkvolle Schwatzbude, während ringsum die Landwirtschaft daniederlag? ...
Freilich ... was wußte man hier in Berlin von der Neumark und ihren Leiden? Wer kümmerte sich um den Bauer? Wenn nur die Papierchen gut standen und der Freisinn triumphierte ... alles andere war ja gleich!
Und grollend kroch er aus dem Klapperkasten, wie er die Droschke nannte, ließ den Diener mit dem Gepäck nach dem Hotel vorausfahren und stieg zu dem Major hinauf.
Der saß am Schreibtisch über seinen Karten, als der Besuch, ohne viel auf die Anmeldungsversuche des Burschen zu geben, bei ihm eintrat.
»Onkel Klaus ... bist du es denn wirklich?«
»Jawohl, mein Neffe!« Der alte Herr setzte sich behutsam nieder und stöhnte. »Diese verwünschten Treppen bei euch in Berlin! Und einen Stuhl stellen sie auf jeden Absatz, als ob man ein Spitalbruder wäre! ... Also ich bin hier, wie du siehst ...«
»Aber warum? Das Herrenhaus ist doch jetzt ...«
»Ich will sie sehen ...!« sagte Onkel Klaus gewichtig und mit einer Art von Würde. »Ich will dieses Fräulein Thorbeck sehen, das deinen werten Bruder verrückt gemacht hat. Ich habe darüber nachgedacht und mit dem Pastor gesprochen. Es ist meine Pflicht. Ein Christ darf niemand ungesehen verdammen. Also wo steckt sie?«
Er blickte umher, als könne sie der Major etwa in irgendeinem Schreibtisch verborgen halten.
»Sie spielt heute abend,« erwiderte der, »ich weiß es zufällig. Allerdings nur in einer kleinen Rolle ...«
»Das hat dir wohl dein Bruder verraten?« brummte der Alte. »Der Schlingel braucht vorderhand gar nicht zu wissen, daß ich da bin ... also wenn es dir recht ist, gehen wir heute abend zusammen in dieses Kunstinstitut hinein ...«
Der Major nickte stumm.
»Du siehst schlecht aus ...«, begann der Alte wieder, ihn prüfend ansehend. »Nun ... freilich ... wie steht es denn?« fügte er leise mit einem Seitenblick hinzu.
Rönne blickte zum Fenster hinaus ins Weite.
»Noch wenige Wochen ...«, sagt der Arzt.
»Und immer bewußtlos?«
»Seit vielen Monaten ...«
Es wurde still im Zimmer.
Dann stand der alte Klaus auf und legte seinem Neffen die Hand auf die Schulter.
»Albrecht ...«, sagte er, und durch die knarrende Stimme zitterte die Rührung seines wunderlichen, gütigen Herzens, »Albrecht ... trag' es als Mann ... Du brauchst wahrhaftig nicht zu verzweifeln. Das Schicksal hat dir dein Familienglück genommen ... nun ... du bist im besten Alter ... bist wohlhabend ... kannst jeden Augenblick unabhängig sein, wenn du den Dienst quittierst ...«
Der Major fuhr herum und sah ihn an.
»Was meinst du damit?«
»Ich meine ...«, Onkel Klaus hielt die Hand auf seiner Schulter, »du wirst dir ein neues Familienglück schaffen ... nun gerade ... dem Schicksal zum Trotz ...«
Rönne wandte sich wieder ab.
»Daran darf ich nicht denken,« sprach er halblaut, »vorläufig wenigstens noch nicht ...«
»Ach, Liebster!« Der Alte schüttelte wehmütig sein greises Haupt mit den spärlichen Haaren. »Wir sind allzumal Sünder, und die Gedanken kommen über uns ... wir mögen wollen oder nicht ...«
Zwei Stunden darauf betraten sie das Westend- Theater.
Sie hatten an der Kasse noch die Vorderplätze zu der zweiten Proszeniumsloge links bekommen. Der Andrang war nicht groß; denn »Die kleine Herzogin« war abgespielt, und der Einakter »Der Hausfreund« zog für sich allein nicht zu sehr.
Immerhin füllte sich allmählich das Haus, und auch die Kritiker erschienen, meistens sehr mißmutig, wegen der Viertelstunde Berufspflicht den weiten Weg machen zu müssen. Der Kassierer hatte seine ganze Kunst aufgeboten, um die Logen zu »garnieren«, das heißt die vorderste Reihe einer jeden zu besetzen und die zahlenden oder nichtzahlenden Parkettbesucher möglichst malerisch über das ganze Parterre zu verteilen, so daß das Ganze einen leidlich behaglichen Eindruck machte.
Noch ehe die Vorstellung begann, öffnete sich rasch die Tür zur Proszeniumsloge Nummer eins. Ein Trupp elegant gekleideter Herren trat mit der Sicherheit alter Hausfreunde ein und nahm geräuschvoll Platz.
Die beiden Herren nebenan, die nichts zu tun hatten, blickten