Seewölfe Paket 20. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.Situation, die nach einem Aufstand zu schreien schien.
Hinzu kam jetzt der Sturm, der der Mannschaft das Letzte an Kraft abverlangte. Sie schufteten und fluchten, waren bis auf die Haut durchnäßt und riskierten, bei jeder überkommenden See außenbords gerissen zu werden.
Fierro spielte mit dem Gedanken, den Bootsmann über Bord zu stoßen. Aber der Mann hielt sich auf Distanz – wohlweislich. Die Fronten waren abgesteckt, etwas würde sich zwischen ihnen ereignen, das wußten sie beide. Nur wann es passieren würde, war die Frage.
Nicht selten geschah es an Bord eines Segelschiffes, daß ein Mann unerwartet über Bord flog und nie mehr gesehen wurde. In den meisten Fällen handelte es sich jedoch um Racheakte Menschenschindern gegenüber, die der Mannschaft das Leben zur Hölle machten. Das war sowohl auf der „San Sebastian“ als auch auf der „Almeria“ anders: Gomez Rascón und Juan Alentejo behandelten ihre Leute den Umständen entsprechend gut. Nur wurden sie von Kerlen wie Fierro gründlich verkannt.
Fierro war fest davon überzeugt, daß er mißhandelt und ausgebeutet wurde. Er wollte frei sein. In der Karibik, so hatte er vernommen, konnte man als Küstenhai und Freibeuter ein herrliches Leben führen. Es gab Inseln in Hülle und Fülle, auf denen man sich verkriechen konnte, eingeborene Frauen, Nahrung reichlich und viele vorbeisegelnde Schiffe, vor allem Spanier und Portugiesen, die man überfallen konnte.
Auch er wollte diese Art von Dasein wählen und Pirat sein. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, sich von der „Knechtschaft“ auf der „San Sebastian“ zu befreien, und nichts konnte ihn von diesem Plan abbringen. Nur der Tod – und der war in dieser Nacht vom 27. auf den 28. April sehr, sehr nah.
Wie durch ein Wunder blieben die „San Sebastian“ und die „Almeria“ vom größten Wüten des Wetters nahezu verschont. Kleinere Lecks und Schäden, die durch die Wucht der Brecher hervorgerufen wurden, konnten in recht kurzer Zeit wieder behoben werden. Jetzt, da die Schiffe standhielten, wußte Kapitän Gomez Rascón genau, was er wollte: Er versuchte, das Cabo Cruz zu erreichen, das im Süden von Kuba nach Südwesten hervorstach. Nur dort konnten sie Deckung finden.
Denn der Sturm dauerte auch den ganzen 28. April über mit kaum verminderter Härte an. Wieder brach eine Nacht der Schrecken über die Besatzungen beider Galeonen herein. Weder an Deck noch in den Laderäumen tat auch nur ein Mensch ein Auge zu. Die Frauen und Kinder weinten jetzt ununterbrochen. Sie waren total zermürbt, die Angst quälte sie wie eine Geißel.
Dann aber, am Vormittag des 29. April, ließ der Sturm unverhofft ein wenig nach. Rascón zögerte keinen Augenblick, er befand sich auf der richtigen Position, wie er anhand der Karten und einiger groben Berechnungen feststellte.
Auf seinen Befehl hin drehten die „San Sebastian“ und die „Almeria“ nach Norden hoch. Jetzt durften sie es wagen, ohne ein Zerschellen auf den Klippen zu riskieren. Schon nach kurzer Zeit tauchte ein grauer Streifen Land aus der Sturmsee auf. Und immer, wenn die Galeonen über den Kamm eines Wellenberges taumelten, war Kuba in aller Deutlichkeit zu erkennen. Dann wieder, im Hinabtauchen in die dunklen Schluchten, verschwand die Insel all ihrer Hoffnungen, als sei sie nur ein Trugbild gewesen.
Rascón ließ sich nicht beirren, er konnte nach wie vor klar genug denken. Das Kap de Cruz bot in seiner Situation eine hervorragende Abschirmung und Schutz gegen den Sturm aus Osten. Rascón dirigierte sein Schiff unter Einhaltung aller Vorsichtsmaßnahmen um die Landspitze herum in jenen Bereich der See, der in den Golf von Guacanayabo überging – und dann, endlich, war es geschafft.
Die „Almeria“ folgte ihrem Führungsschiff und gelangte ebenfalls an den geschützten Platz, ohne auf eine Korallenbank oder auf Klippen zu laufen, die hier wie fast überall um Kuba herum als tückische Schiffsfallen versteckt lagen.
Die Schiffe verholten ein paar Meilen nördlich der Kapspitze. Hier ließen Rascón und Alentejo die Anker werfen.
Solares, der Erste Offizier der „San Sebastian“, wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Señor“, sagte er auf dem Achterdeck zu seinem Kapitän. „Das wurde aber auch höchste Zeit. Ein paar Luken sind in den letzten Stunden nämlich doch undicht geworden.“
„Hat es weitere Beschädigungen gegeben?“ fragte Rascón.
„Das Leckwasser steht bereits in den unteren Laderäumen.“
„Lassen Sie sofort die Pumpen einsetzen.“
Solares gab die Anweisung an den Bootsmann weiter, dessen Aufgabe es nun war, die unteren Schiffsräume leerzulenzen.
Vor der unmittelbaren Wucht des Sturmes war man jetzt sicher, aber neues Unheil bahnte sich an, und zwar fast gleichzeitig an Bord beider Galeonen. Die Spreu hatte sich vom Weizen gesondert, zwei Parteien hatten sich gebildet. Besonders traten jene hervor, die vom Stadtgefängnis in Cadiz an Bord der Schiffe „abgestellt“ worden waren. Sie lungerten auf den Decks herum, obwohl es noch alle Hände voll zu tun gab.
Natürlich hatte auch Kapitän Juan Alentejo an Bord der „Almeria“ den Befehl gegeben, unverzüglich das eingedrungene Wasser aus den Laderäumen zu pumpen – eine völlig selbstverständliche Maßnahme, an der sich jeder Mann reihum zu beteiligen hatte. Doch Ärger drohte von Marcela Buarcos. Sie stand – wie alle anderen Passagiere – bis zu den Knöcheln im Leckwasser und stieß die unflätigsten und gemeinsten Verwünschungen aus. Als das erste Lenzkommando mit einer Pumpe auftauchte, baute sie sich breitbeinig vor den Kerlen auf und begann höhnisch zu lachen.
Zum offenen Bruch zwischen der Schiffsführung und dem Schiffsvolk kam es jedoch zuerst an Bord der „San Sebastian“.
Der Bootsmann trat auf die am Schanzkleid herumlungernden Kerle zu und sagte: „Vorwärts, an die Pumpen, Männer. Wir dürfen jetzt nicht schlappmachen. Es gibt noch genug zu tun, das wißt ihr.“
Der willige Teil der Mannschaft – das registrierte er in diesem Augenblick – hatte bereits mit dem Ausmessen der Sturmschäden unter der Aufsicht des Schiffszimmermanns begonnen. Vorbildlich verhielten sich diese Männer, obwohl auch sie am Ende ihrer Kräfte waren. In ihnen überwog der echte Geist der Kameradschaft und die Sorge um das Wohl der ganzen Besatzung.
Hier aber, den Galgenstricken gegenüber, sah die Lage anders aus. Der Bootsmann zuckte unwillkürlich zusammen, als sie sich untereinander anstießen und verächtlich zu grinsen begannen.
Fierro hatte seine große Stunde. Er trat einen Schritt vor, stemmte die Fäuste in die Seiten und blickte den Bootsmann frech an. „Wir, hast du gesagt? Gut, dann geh du doch an die verdammte Pumpe. Ich habe die Schnauze voll, und zwar gestrichen. Einen Dreck werde ich tun. Du kannst mich mal! Jetzt ist Schluß.“
Der Bootsmann zuckte noch einmal zusammen, kaum merklich diesmal. Er wußte genug über Fierro – daß er im Gefängnis von Cadiz gesessen hatte, weil er ein notorischer Raufbold und Streithammel war, daß er längst am Galgen gehangen hätte, wenn auch seine Mordtaten bekannt geworden wären. Doch war das ein Grund, vor diesem Kerl zurückzuschrecken?
Der Bootsmann fühlte sich in seiner Autorität angegriffen. Er mußte handeln – sofort. Es war seine Pflicht, ein Exempel zu statuieren, sonst hatte er für alle Zeiten vor der Mannschaft verspielt. Das konnte er sich nicht leisten.
Schon sprang er vor – direkt auf Fierro zu. Er packte ihn und riß die Faust hoch, sie war auf Fierros Kinn gezielt. Mit einem einzigen Hieb gedachte er, den Kerl zu fällen. Dann wollte er ihn vor der versammelten Mannschaft mit der Neunschwänzigen züchtigen. Der Angriff, so meinte er, erfolge viel zu überraschend für Fierro.
Aber er hatte sich in Fierro getäuscht. Der hatte auf den wütenden Ausfall nur gewartet. Absichtlich hatte er den Bootsmann provoziert, denn anders war die Meuterei nicht herbeizuführen. Jetzt war der Funke ins Pulverfaß geflogen, und das Verhängnis nahm seinen Lauf.
Fierro reagierte geistesgegenwärtig. Sein Kopf ruckte nur ein wenig zur Seite – und der Fausthieb des Bootsmannes ging fehl. Fierro versetzte ihm einen Stoß gegen die Brust, daß er ins Taumeln geriet, folgte seiner Rückwärtsbewegung und schlug selbst mit voller Wucht zu.
Er