Seewölfe Paket 20. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.Bootsmann prallte rücklings gegen die Nagelbank des Großmastes. Sein Kopf und sein Nacken gerieten mitten zwischen die Köpfe der Koffeynägel, ein häßliches Geräusch war zu vernehmen. Dann sank er schlaff zu Boden und rührte sich nicht mehr.
„Der steht so schnell nicht wieder auf!“ brüllte Fierro. „Recht so! Geht nicht an die Pumpen, Amigos! Laßt den Kapitän die Lausearbeit verrichten! Der tut den ganzen Tag über sowieso nichts!“
Gomez Rascón befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in seiner Kapitänskammer, war aber ebenfalls durch den auf der Kuhl entstehenden Lärm alarmiert. Soeben blickte er von seinen Kurskarten auf, ließ sie auf dem Pult liegen und schritt zur Tür, die halb offenstand. Er tastete instinktiv zur Pistole und zum Degen und vergewisserte sich, daß er sie wie üblich bei sich trug.
Solares, der Erste Offizier, hatte seine Radschloßpistole bereits in der Hand. Er spannte den Hahn. Das metallische Geräusch war bis zu Fierro und den anderen Kerlen zu vernehmen. Sie standen mitten auf der Kuhl. Fierro hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte herausfordernd zum Achterdeck hoch.
Solares verließ das Achterdeck auf dem Weg über den Backbordniedergang.
„Vorsicht“, sagte Steuermann Elcevira hinter seinem Rücken. „Mit den Kerlen ist nicht zu spaßen.“
„Mit mir auch nicht“, sagte Solares wütend. Er näherte sich der Nagelbank, blieb stehen, bückte sich nach dem immer noch bewegungslos daliegenden Bootsmann und untersuchte ihn flüchtig, ließ die Kerle dabei aber kaum aus den Augen.
„Mein Gott“, murmelte er dann und richtete sich langsam wieder auf. Seine Stimme hatte sich verändert, sie klang etwas brüchig. „Er steht nie wieder auf“, sagte er. „Er ist tot. Es hat ihm das Genick gebrochen.“
„Gut“, sagte Fierro kalt. „Das Schwein hat’s verdient.“
Solares hob die Pistole und zielte genau auf Fierros Stirn. Hinter dessen Rücken traten die Aufrührer näher heran, als wollten sie ihn schützen. Fierro stand in unveränderter Haltung da. Er schien nicht die geringste Angst zu haben.
„Dafür bezahlst du“, sagte Solares grimmig.
„Señor“, sagte Fierro. „Überleg dir genau, was du tust. Du bist nicht der Kapitän und nicht das Bordgericht. Du weißt, daß du mich nicht abknallen kannst wie irgendeinen Hund.“
„Doch“, sagte Solares kaum verständlich. „Wie einen Hund.“
Kapitän Gomez Rascón trat in diesem Moment aus dem Schott, das den Mittelgang des Achterkastells abschloß.
„Solares!“ rief er. „Um Himmels willen, was tun Sie da?“
Solares antwortete nicht, aber Elcevira, der über Rascón an der Schmuckbalustrade stand, entgegnete: „Die Kerle haben unseren Bootsmann umgebracht, Señor.“
Solares schien durch das Auftauchen des Kapitäns irritiert zu sein. Fierro nutzte die Chance. Er war mit einem Satz bei dem Ersten und versuchte, sich auf ihn zu stürzen und ihm die Pistole zu entreißen. Doch Solares handelte gedankenschnell. Er wich zurück und drückte ab. Krachend brach der Schuß, eine Wolke Pulverqualm puffte in den Morgenhimmel hoch. Fierro ließ sich blitzschnell fallen und rollte zur Nagelbank hin ab. Die Kugel traf einen anderen Kerl, der sich ebenfalls auf den Ersten werfen wollte. Röchelnd brach er zusammen.
Jetzt gab es für die anderen keinen Halt mehr. Brüllend stürmten sie vor und bewaffneten sich mit Koffeynägeln, die Fierro aus der Nagelbank riß und ihnen zuwarf.
Ein Belegnagel flog haarscharf an Solares’ Kopf vorbei. Er wollte den Säbel zücken und sich den Angreifern entgegenwerfen, doch hinter ihm schrie der Kapitän: „Solares! Zurück!“
„Auf sie!“ brüllte Fierro und griff nach einer herumliegenden Zimmermannsaxt, die er gerade entdeckt hatte. „Schlagt sie nieder! Stürmt das Achterdeck! Der Kahn ist unser!“
„Aufruhr“, stöhnte Gomez Rascón. „Die Kerle haben Morgenluft gewittert.“ Er riß die Pistole aus dem Gurt und feuerte einen Warnschuß in die Luft ab. „Zurück!“ schrie er.
Solares war neben ihm, er hielt den Säbel jetzt in der Hand.
„Señor, die bringen uns alle um!“ stieß er hervor. „Wir müssen schießen, wir haben keine andere Chance mehr!“
„Vorwärts!“ brüllte Fierro. Er war auf den Beinen und schwang drohend die Zimmermannsaxt. Schon hatte er den Kapitän fixiert und versuchte, ihn zu erreichen. Die Horde setzte nach, und wieder flogen ein paar Koffeynägel. Elcevira konnte gerade noch rechtzeitig genug den Kopf einziehen. Der Rudergänger wurde getroffen und sank stöhnend auf die Planken des Achterdecks.
Rascón und Solares sahen sich schon umzingelt und niedergemetzelt, da geschah etwas Unerwartetes. Bislang hatte die reguläre Besatzung der „San Sebastian“ ziemlich fassungslos und irritiert verfolgt, was sich abgespielt hatte. Doch jetzt ergriff der Zimmermann die Initiative und sprang von der Back auf die Kuhl.
„Mir nach!“ schrie er. „Das lassen wir nicht zu!“
Tatsächlich zögerten die Seeleute nicht. Sie schlossen sich ihm an, fielen den Meuterern in den Rücken und in die Seite und entfesselten ein erbittertes Handgemenge. Ein mörderischer Kampf entbrannte auf der Kuhl. Rascón und Solares griffen aktiv mit ein, und auch die anderen Achterdecksmannen waren mit Waffen zur Hand. Sie wollten über die Niedergänge ebenfalls auf das Hauptdeck stürmen, aber Rascón hielt sie durch einen Zuruf zurück.
„Bleibt oben!“ schrie er. „Wir müssen das Achterdeck halten!“
„Schlagt die Hunde zusammen!“ brüllte der Zimmermann. „Fesselt sie! Sperrt sie ein!“
„Vorwärts!“ brüllte Fierro. „Nieder mit dem Kapitän!“
„Ich warte auf dich!“ schrie Rascón ihm zu. Er fühlte sich innerlich bestätigt und angespornt durch die Tatsache, daß der alte Teil seiner Mannschaft loyal zu ihm stand. Jetzt zahlte sich aus, daß er sie immer ehrlich und anständig behandelt hatte.
Der Kampf tobte hin und her. Fierro und die Meuterer setzten sich wie Raubtiere zur Wehr und droschen mit allem um sich, was ihnen in die Hände geriet.
Unter Deck war der Lärm natürlich auch nicht ungehört geblieben. Die Passagiere der „San Sebastian“ kauerten an den Schotten und unter den Luken und wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten.
„Jetzt geht es uns an den Kragen“, sagte einer der Siedler mit entsetztem Gesicht.
„Nein“, begann eine Frau zu jammern. „Ich will nicht sterben. Lieber tue ich alles, was sie von mir verlangen.“
Die Kinder fingen wieder zu weinen an, und viele von ihnen zuckten unter jedem Schuß, der oben fiel, und jedem Fluch wie unter Peitschenhieben zusammen. Alle bangten um ihr Leben – nur die Abenteurer und die Huren unter ihnen nicht.
„Seid still“, sagte einer von ihnen, ein dunkelhaariger, gefährlich wirkender Mann namens Vitaliano. „Ihr wißt doch noch gar nicht, was wird. Vielleicht ist es unser aller Glück, daß die Männer da oben meutern. Ich kenne ihren Anführer. Er heißt Fierro. Der weiß, was er will.“
Die rothaarige Hure, die sich an seine Seite gedrückt hatte, lachte heiser. „Ja, er ist ein toller Kerl, nicht wahr? Einer, auf den man sich verlassen kann.“ Sie hieß Rosaria.
Vitaliano musterte sie von der Seite. Er konnte genau in ihren großzügigen, üppig gefüllten Ausschnitt blicken.
„Das ist jetzt eine Sache der Entscheidung, Muchacha“, brummte er. „Man muß wissen, auf welcher Seite man steht.“
„Ja“, sagte der Glücksritter, der hinter ihm stand. „Ich bin wie du für Fierro, und mit mir noch zwei oder drei andere. Was die anderen tun, ist mir scheißegal.“
„Warum gehen wir nicht rauf und unterstützen Fierro?“ fragte Vitaliano.
„Eine