Seewölfe Paket 20. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.an Bord der „Pommern“ in den Hafen von Havanna einzulaufen. Allerdings hatte er sich nicht offen an Deck gezeigt. Die Begegnung mit Arne hatte in der Kapitänskammer stattgefunden, und Arne hatte ihm alles erzählt, was sich zuletzt auf Kuba ereignet hatte.
Hasards Ziel war es, die Black Queen endgültig zu vernichten. Aber wieder einmal war sie ihm entwischt, zusammen mit Caligula und ihren vier letzten Getreuen. Ihr Schiff, den Zweidecker „Caribian Queen“, hatte er den Meuterern abgenommen, die damit auf Beutefahrt gegangen waren.
So gehörte die „Caribian Queen“ jetzt mit zum Verband der Schlangen-Insel-Schiffe – und boxte sich gemeinsam mit der „Pommern“ ostwärts laufend durch die See. Am 27. April hatten sie die Islas de Mangles verlassen und gerieten mitten in den Sturm. Sie waren gezwungen, dicht unter Land in jeweils kurzen Schlägen ostwärts zu kreuzen. Eine mühselige Schinderei, die dadurch erschwert wurde, daß beide Schiffe unterbemannt waren.
Hasard hatte zu dem Raid auf die Black Queen als Crew an Bord der „Pommern“ Renke Eggens, Dan O’Flynn, Ferris Tucker, Big Old Shane, Edwin Carberry, Smoky, Blacky, Al Conroy, Stenmark, Gary Andrews, den Kutscher, Pete Ballie, Matt Davies, Sam Roskill, Luke Morgen und die Zwillinge samt Plymmie, der Wolfshündin, mitgenommen, außerdem dreizehn Männer der „Wappen von Kolberg“. Somit war die „Pommern“ bislang mit zweiunddreißig Mann besetzt gewesen. Nach der Kaperung der „Caribian Queen“ jedoch war Dan O’Flynn als Kapitän mit fünfzehn Mann auf den Zweidecker übergewechselt.
Das war die Situation – und die Crews hatten es nicht leicht, ihre Schiffe im Sturm zu halten. Das Risiko, auf ein Riff zu laufen oder auf Legerwall gedrückt zu werden, war groß, doch andererseits war Hasard gleichsam dazu gezwungen, es auf sich zu nehmen. Die letzte Chance, die Black Queen und Caligula zu erwischen, durfte nicht verspielt werden. Deshalb galt es, keine Zeit zu verlieren.
Daß die Aussichten, die Queen und Caligula noch irgendwo zu stellen, dennoch gering waren, war Hasard klar. Er hatte in dieser Beziehung keinerlei Illusionen. So hatte sein Befehl denn auch gelautet: Rückkehr zur Schlangen-Insel. Sollten sie auf dem Weg dorthin auf die Queen stoßen, würden sie alles daransetzen, sie gefangenzunehmen. Wenn nicht, war es vorläufig auch nicht so schlimm. Denn die Queen war geschwächt, und Caligula hatte in Havanna eine Niederlage erlitten, die auch er nicht so schnell verwinden würde.
Folglich stellten die Queen und Caligula vorerst keine Gefahr dar, obwohl sie versucht hatten, die Spanier als den verlängerten Arm ihrer rächenden Hand zu benutzen und auf die genaue Position der Schlangen-Insel hinzuweisen. Doch das hatte nicht geklappt. So leicht ließen sich die Spanier nicht beeinflussen, und schon gar nicht waren sie bereit, hergelaufenen Schnapphähnen dafür etwas zu bezahlen. Die Queen und Caligula waren total gescheitert.
„Sie werden einige Zeit brauchen, um sich von diesem Schlag zu erholen“, sagte Hasard in dieser Nacht noch einmal zu Renke Eggens und Ferris Tucker. „Wir haben wieder Ruhe vor ihnen, vor allem weil die ‚Caribian Queen‘ nicht mehr in ihren Händen ist und künftig unter der Flagge des Bundes der Korsaren segeln wird.“
„Ja“, sagte der rothaarige Riese. „Und ich wünsche der Queen, daß sie an den Spätfolgen ihrer Verletzung stirbt. Ich habe keinerlei Mitleid mit ihr.“
„Ich auch nicht“, sagte Renke Eggens. „Aber ich glaube doch, daß sie zäher ist als jeder andere Pirat, dem wir bislang begegnet sind.“
„Das ist mit Sicherheit richtig“, sagte der Seewolf. „Sie ist noch nicht am Ende. Aber sie braucht viel Zeit, um wieder auf die Beine zu kommen, eine neue Crew zusammenzustellen und sich ein neues Schiff zu beschaffen.“
„Was meint ihr, ob Siri-Tong wohl die ‚Caribian Queen‘ übernimmt?“ fragte Renke Eggens.
„Überlassen wir die Entscheidung ihr“, entgegnete Hasard. „Vielleicht findet sie es richtig, das Schiff ihrer bisher härtesten Gegnerin zu übernehmen, vielleicht aber auch nicht. Wir werden sehen, was sich tut. Auf jeden Fall ist es wichtig, daß wir die Schlangen-Insel so schnell wie möglich wieder erreichen, um zu erfahren, was in der Zwischenzeit passiert ist.“
Ereignisreich genug war die letzte Zeit gewesen – und immer wieder konnten Nachrichten aus Havanna eintreffen, die einen neuen Raid gegen die Spanier einleiteten. Nicht zuletzt aus diesem Grund drängte es Hasard, die Schlangen-Insel und Coral Island so schnell wie möglich wieder anzulaufen.
Ihre Unterredung, in der Kapitänskammer der „Pommern“ geführt, fand ein jähes Ende. Das Tosen und Rauschen nahm zu, das Schiff begann stärker in der See zu rollen. Die Sturmgeräusche ließen keine Gespräche mehr zu, und jede Hand wurde an Deck gebraucht, wo längst die Manntaue gespannt, die Schotten und Luken verschalkt und die Sturmsegel gesetzt worden waren. Hasard, Ferris und Renke eilten zu ihren Männern und unterstützten sie bei der beschwerlichen, lebensgefährlichen Arbeit an den Brassen und Schoten. Hasard selbst übernahm das Ruder der „Pommern“ und steuerte sie durch das tobende Inferno.
Die „Caribian Queen“ konnten sie zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr sehen. Aber der Seewolf hoffte inständig, daß Dan O’Flynn nicht den Kontakt zu ihnen verlor, daß es ihm gelang, mitzuhalten und trotz der Unterbemannung wieder mal dem Teufel ein Ohr abzusegeln, wie sie es so oft getan hatten.
Doch der Ausgang des Höllentörns war ungewiß. Keine Situation war mit früheren Erfahrungen vergleichbar, jede neue Lage wies andere Bedingungen auf. Ob sie es schafften, dem Wetter zu trotzen oder doch noch einen Nothafen anlaufen mußten, würde sich erst in den nächsten Stunden zeigen, je nachdem, wie lange der Sturm dauerte.
2.
Fierro, ein stiernackiger, wuchtiger Mann, gehörte zu den Mannschaftsmitgliedern der „San Sebastian“, auf die der Bootsmann ein besonders waches Auge hatte. Fierro hatte stets das große Maul gehabt und immer an diesem oder jenem etwas auszusetzen gehabt. Nie war er mit dem Bordleben zufrieden, immer murrte er über die Arbeit – so sehr, daß er einmal ein paar Hiebe mit der Neunschwänzigen erhalten hatte.
Da die „San Sebastian“ wie die „Almeria“ über keinen Profos verfügte, war es der Bootsmann gewesen, der Fierro auf diese Weise zur Ordnung gerufen hatte. Der Bootsmann nahm auch die Aufgaben des Zuchtmeisters wahr. Er tat es nicht gern, andererseits wußte er jedoch auch, daß es manchmal kein anderes Mittel als die neunschwänzige Katze gab, um sich den erforderlichen Respekt zu verschaffen.
Das galt besonders bei Kerlen wie Fierro, der in Cadiz im Gefängnis gesessen hatte. Menschliche Gefühle waren ihm völlig fremd, er dachte bei allem nur an seinen persönlichen Vorteil. Er hatte bereits einem Kameraden das letzte Stück Brot weggenommen, Münzen gestohlen und sich mit den Fäusten einen der besten Schlafplätze im Logis gesichert. Keiner wagte, gegen ihn aufzubegehren.
Den Bootsmann haßte er wie die Pest. Er hatte sich fest vorgenommen, sich irgendwann für die Peitschenhiebe zu rächen. Die Gelegenheit dazu, das wußte Fierro genau, würde sich früher oder später bieten. Dann aber würde er nicht nur gegen den Bootsmann vorgehen, sondern noch mehr unternehmen.
Meuterei – allein daran dachte er. Was wurde aus ihm, wenn sie Santiago de Cuba erreichten? Der Kapitän würde alles versuchen, um ihn und seinesgleichen loszuwerden. Wahrscheinlich verhalf er ihnen zu einem Posten in den Minen, und sie durften wie die Sklaven schuften. Alles, so sagte sich Fierro immer wieder im stillen, alles, nur das nicht.
Mitten im dicksten Sturm stand er auf der Back und versah seinen Dienst am Fockmast. Die „San Sebastian“ lenzte, die Segel brauchten also nicht bedient zu werden, doch immer wieder mußten die sich lösenden Fallen dichtgeholt und neu belegt werden. Das tat Fierro, und er fluchte und brüllte kräftig dabei.
Niemand hörte es, das Tosen des Sturmes war lauter. Aber Fierro war sicher, daß es den anderen kaum anders als ihm erging. Sie waren völlig genervt, zumal auch die bisherige Überfahrt, die zwei Monate gedauert hatte, alles andere als ein Zuckerlecken gewesen war.
Eng war es an Bord, nicht nur in den Laderäumen, sondern auch im Logis. Man stolperte über die Beine der anderen, man rempelte sich