Seewölfe Paket 20. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 20 - Roy Palmer


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hatte Angst vor den Haien – und sie war nicht in der Lage, sich länger als ein paar Atemzüge über Wasser zu halten, geschweige denn, sich fortzubewegen.

      Aber das brauchten Moreno, Orvieto und die anderen Kerle nicht zu wissen. Wichtig war, daß sie einen Anreiz dazu hatten, das Unternehmen zu wagen. Marcela wußte genau, welcher Art der Köder sein mußte, den sie bereitwillig schlucken würden. Man mußte ihnen etwas bieten. Und das tat sie.

      Sie dachte nicht daran, selbst zuviel aufs Spiel zu setzen. Dazu war ihr ihr eigenes Leben zu wertvoll. Sie hatte von Anfang an gewußt: Wenn sie die Kerle geschickt für ihre Zwecke auszunutzen verstand, konnte sie alles erreichen.

      Denn es war ihr Prinzip, von anderen für sich die heißen Kartoffeln aus dem Feuer holen zu lassen. Für solche Dienste konnte sie Liebe versprechen, und dieses Lockmittel spielte sie auch voll aus. Mit ihren Reizen geizte sie nicht. Nicht nur Moreno, auch Orvieto war schon ganz wild auf sie. Der Wein regte sie ungemein an.

      Marcela öffnete das Schott und schlüpfte durch den Spalt auf die Galionsplattform. Im Handumdrehen hatte sie sich ihres Kleides entledigt und tat so, als wollte sie ins Wasser springen.

      Orvieto und Moreno erreichten das Schott, und die drei anderen Kerle, die ebenfalls schwimmen konnten, folgten ihnen dichtauf. Orvieto und Moreno prallten am Schott mit den Schultern zusammen und fluchten. Fast hatte es den Anschein, als wolle sich Moreno auf Orvieto stürzen, doch der duckte sich und schob sich vor ihm ins Freie.

      Der Anblick der nackten Frau ließ sein Herz schneller schlagen. Klar waren ihre Konturen im knappen Mondlicht zu erkennen – und als sie sich zu ihm umdrehte, wackelten ihre üppigen Brüste. Ihr ganzes Gebaren war eine einzige Herausforderung.

      „Spring nicht“, sagte Orvieto heiser. „Du darfst es nicht tun. Ich erledige das.“

      „Wir!“ zischte Moreno hinter seinem Rücken. „Aber ich will dafür die Belohnung, die du mir versprochen hast.“

      „Du kriegst sie“, sagte Marcela mit breitem Lächeln. Sie tat einen Schritt auf sie zu und bewegte dabei aufreizend ihre Hüften.

      „Ich schwimme allein“, sagte Orvieto und griff nach ihr. „Ich nehme die Sache in die Hand und berate drüben mit den anderen über ein gemeinsames Vorgehen. Gut?“

      „Sehr gut“, erwiderte sie und ließ sich von ihm berühren. „Ich weiß jetzt, daß du ein ganzer Kerl bist, Orvieto.“

      Die drei anderen, die nun auch eingetroffen waren, atmeten insgeheim auf. Lieber verzichteten sie auf Marcelas Liebesdienste, als sich von den Haien zerreißen zu lassen. Aber sie freuten sich zu früh.

      „Wir schwimmen mit!“ stieß Moreno hervor. Er keuchte vor Erregung. „Wir müssen uns gegenseitig abschirmen. Anders geht es nicht. Das mußt du einsehen, Orvieto.“ Am liebsten hätte er sich auf den Rivalen gestürzt, aber wieder bezwang er sich.

      „Moreno hat recht“, sagte Marcela. „Es ist besser, wenn ihr alle fünf zusammen an Bord der ‚San Sebastian‘ geht.“ Sie dachte immer noch an die Haie. Wenn die grauen Mörder angriffen, war ein einzelner Mann ihnen ausgeliefert. Fünf jedoch hatten Chancen, sich einigermaßen wirksam zu verteidigen und bis zu dem Schiff zu gelangen. Anders ausgedrückt: Es war besser, einer der Kerle erreichte das Ziel als gar keiner. Marcela rechnete kalt, aber sie behielt natürlich für sich, was sie dachte.

      „Also los“, sagte Orvieto und begann, sich zu entkleiden. „Vorwärts! Es ist genug geredet worden.“

      Moreno und die drei anderen folgten seinem Beispiel. Keiner wollte hinter dem anderen zurückstehen. Marcela zog sich wieder an und betrachtete die Gestalten, wie sie, nur mit Messern bewaffnet, an Tauen hinunter ins Wasser glitten. Orvieto war eindeutig der am besten gebaute Mann, groß, schlank und sehnig. Hoffentlich schafft er’s, dachte sie.

      Es war nach Mitternacht – also bereits der 30. April 1594.

      Die „San Sebastian“ lag etwas nach achteraus versetzt an Steuerbord der „Almeria“, schätzungsweise eine halbe Kabellänge bis hundert Yards von ihr entfernt. Eine Entfernung also, die auch für ungeübte Schwimmer leicht zu überbrücken war, zumal der Sturm weiter abgeflaut hatte und nur noch eine leichte Kabbelsee herrschte.

      Orvieto, Moreno und die drei anderen Kerle arbeiteten sich auf die „San Sebastian“ zu. Der Mond war hinter Wolken verschwunden. Das begünstigte ihr Unternehmen. Die Finsternis war ihr bester Verbündeter.

      Solares, der Erste Offizier der „San Sebastian“, kontrollierte zu diesem Zeitpunkt die Posten auf dem Achterdeck. Es waren vier Mann, zwei Seeleute und zwei Freiwillige aus der Gruppe der Siedler, darunter auch der Schmied.

      „Alles in Ordnung?“ fragte Solares gedämpft.

      „Zur Zeit ist alles ruhig, Señor“, erwiderte der Schmied. „Im Vordeck rührt sich nichts. Die Kerle scheinen eingeschlafen zu sein. Wäre das nicht eine günstige Gelegenheit, sie zu überrumpeln?“

      Solares blickte zum Vordeck. „Die Frage ist, ob sie wirklich schlafen, oder ob es nur ein Trick ist, um uns hereinzulegen. Versetzen Sie sich in deren Lage. Wenn sie das Achterdeck nicht mit Gewalt stürmen können, müssen sie es mit einer Hinterlist versuchen.“

      „Ja. Daran habe ich nicht gedacht.“

      „Wir bleiben also in Lauerstellung?“ fragte einer der Seeleute.

      „Ja“, entgegnete Solares. „Der Kapitän ändert seine Order nicht. Und ich muß ihm recht geben: Das Leben der Besatzung und unserer Passagiere ist wichtiger als alles andere.“ Er ließ seinen Blick wandern – vom Vordeck auf die Wasserfläche und hinüber zur „Almeria“. Auch dort schien Ruhe eingetreten zu sein. Oder war die Stille nur ein Vorzeichen für neue bevorstehende Kämpfe?

      Der Mond brach durch, weißliches Licht setzte den Wellen Silberkronen auf. Solares’ Augen verengten sich, plötzlich stand er stocksteif am Schanzkleid und spähte wie gebannt auf das Wasser.

      „Señor“, sagte der Schmied, der es als erster bemerkte, leise. „Was ist los?“

      „Da sind Schwimmer, die sich uns nähern“, raunte Solares ihm zu. „Fünf Mann. Ich kann ihre Köpfe deutlich erkennen.“

      Der Schmied trat zu ihm. „Ja, jetzt sehe ich sie auch.“

      „Sie halten auf unser Vorschiff zu.“

      „Sie wollen zu den Meuterern“, murmelte der Schmied. „Sie kommen natürlich von der ‚Almeria‘ und wollen sich mit Fierro verbünden.“

      Solares griff nach einer der Musketen, die geladen am Schanzkleid bereitstanden. Er hob sie an, legte auf die Schwimmer an und rief: „Wahrschau! Wer da?“

      Orvieto stieß einen Fluch aus.

      „Hölle, sie haben uns entdeckt!“ rief er. „Los, tauchen! Es ist nicht mehr weit, wir müssen es schaffen!“

      Drei seiner Begleiter tauchten mit ihm zusammen unter. Nur der fünfte Mann hatte Schwierigkeiten: Moreno. Er schluckte Wasser, hustete und spuckte plötzlich. Er war kein sehr guter Schwimmer, und das Tauchmanöver stellte für ihn ein echtes Problem dar. Er ging unter, schoß wieder hoch und schlug um sich.

      „Komm her!“ schrie Solares ihm zu. „Ergib dich!“

      „Fahrt zur Hölle!“ brüllte Moreno, dann versuchte er, doch das Vorschiff der „San Sebastian“ zu erreichen.

      Solares feuerte. Der Mündungsblitz der Muskete stach im Krachen grell durch die Nacht. Moreno stieß einen Schmerzenslaut aus. Er dachte noch: Zum Henker, er hat mich wirklich erwischt! Dann ging er unter – dieses Mal für immer. Er spürte nicht mehr, wie er tiefer sank, und er bemerkte auch nichts mehr von den düsteren Schatten, die sich ihm und den vier anderen Kerlen unter Wasser näherten.

      An Bord der „San Sebastian“ wurde es lebendig. Die Achterdecksposten stürzten an das Schanzkleid und richteten ihre Musketen auf die Schwimmer. Von unten trappelten Schritte herauf, und weitere Männer erschienen, um nach dem Rechten zu sehen.


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