Seewölfe Paket 20. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.sie kapitulierten, so stand jetzt für ihn fest: Sie mußten sterben. Sobald sich auch nur die geringste Möglichkeit dazu bot, mußte das Achterdeck das Vordeck angreifen und zurückgewinnen. Wer von den Aufrührern dann nicht im Kampf starb, würde an der Großrah aufgehängt werden.
Alentejo hatte jetzt doch das Bewußtsein verloren. Der Feldscher entfernte mit großem Geschick die Musketenkugel aus seiner Schulter, dann gab er seinem Gehilfen die Anweisung, die Blessur sorgfältig zu waschen, zu desinfizieren und zu verbinden.
Der Feldscher eilte zu Ramón Vega Venteja. Der alte Seemann – er hatte sich von Morenos Hieb wieder erholt –, Sabina, Pablito und ein weiterer Helfer hatten Ramón aus dem Frachtraum in eine der Achterdeckskammern getragen und auf die Koje gebettet. Sie hockten mit Leichenbittermienen da, keiner wußte, wie er sich verhalten sollte. Sabinas Tränen waren versiegt, nur Pablito schluchzte haltlos.
Der Feldscher unterzog Ramón einer kurzen, aber gründlichen Untersuchung.
„Er ist nicht tot“, sagte er und drehte sich zu den Kindern um. „Er hat viel Blut verloren. Aber ich glaube, wir können ihn retten.“
„Wirklich? Ist das – wahr?“ stammelte Sabina. Dann griff sie nach der Hand des Feldschers. „Bitte, Señor, helfen Sie unserem Vater. Er ist doch alles, was wir auf der Welt haben. Wir – dürfen ihn nicht verlieren.“
Der Feldscher, ein rauher Mann, der alle Härten des Lebens zur See am eigenen Leib erfahren hatte, fühlte sich tief in seinem Herzen berührt. Er strich über ihren Arm, es war eine beruhigende Geste.
„Hör zu“, sagte er mit etwas heiser gewordener Stimme. „Ich brauche dich als Assistentin. Und auch dein Bruder kann etwas tun. Kocht Wasser und besorgt saubere Tücher.“
„Wir helfen auch mit“, sagte eine der Frauen, die eben die Kammer betreten hatte. „Hoffentlich können wir den tapferen Mann am Leben erhalten.“
„Er hat einen Durchschuß“, erklärte der Feldscher. „Aber – soweit ich bis jetzt erkennen konnte – es scheint nur eine Rippe angebrochen zu sein. Die inneren Organe wie Herz und Lunge sind meiner Meinung nach unversehrt.“
„Dann hat er wirklich alle Chancen, zu überleben“, sagte die Frau und fuhr zu den anderen herum, die sich im Gang zusammengedrängt hatten. „Steht nicht herum! Kocht Wasser ab! Bringt Leinentücher! Bewegt euch!“
Die nächsten zwei Stunden verstrichen für die Achterdecks-Bewohner wie im Flug. Alle nahmen Anteil an der Operation, die der Feldscher an Ramón Vega Venteja durchführte. Auch Kapitän Alentejo, der inzwischen wieder bei Bewußtsein war, verlangte ständig über den Fortgang des Eingriffs informiert zu werden. Sein Erster Offizier hatte ihm berichtet, daß Ramón unter Einsatz seines Lebens die Meuterei zu verhindern versucht hatte.
Auch mit dem alten Seemann sprach Juan Alentejo, und als er alles vernommen hatte, sagte er mit leiser, aber fester Stimme: „Das werde ich euch nicht vergessen. Ihr habt euch vorbildlich verhalten. Das rechne ich euch hoch an – sehr hoch.“
„Danke, Señor“, sagte der alte Seebär verlegen. Er kehrte zu den anderen zurück, die im Gang vor der Kammer von Ramón Vega Venteja standen.
Der Feldscher nähte Ramóns klaffende Brustwunde. Es gelang ihm, den Blutfluß zu stoppen. Lange Zeit verwendete er darauf, alles sorgfältig zu verbinden.
Dann trat er aus der Kammer und sagte: „Er muß jetzt lange schlafen. Der Blutverlust hat ihn geschwächt. Aber ich glaube, daß er wieder gesund wird.“
Alle atmeten auf. Pablito umarmte den Feldscher und stammelte: „Danke, Señor, du bist – ein feiner Kerl.“
Sie schöpften wieder Hoffnung. Doch noch hatte keiner eine Vorstellung davon, wie man gegen die Meuterer vorgehen sollte. Auch Kapitän Alentejo grübelte darüber herum. Wenn seine Männer die Back stürmten, mußte das Risiko so gering wie möglich gehalten werden. Es galt, eine kluge, wirksame Strategie zu entwickeln.
5.
So herrschte denn auf der „Almeria“ nach dem Aufflammen der Meuterei eine fast gleiche Situation wie auf der „San Sebastian“. Auch hier war die Kuhl nun „Niemandsland“. Das Achterdeck verfügte über die Waffen, die Anführer waren jedoch im Besitz des Proviants samt Trinkwasservorräten und Wein.
Natürlich konnten die Kapitäns-Parteien auf beiden Schiffen zum Sturm aufs Vordeck ansetzen. Auch Rascón stellte unablässig Überlegungen in dieser Richtung an, die er aber alle wieder verwarf. Rascón wie Alentejo schreckten vor diesem letzten Schritt zurück, und zwar aus der schlichten Einsicht heraus, daß das Risiko zu groß war. Sollte es wegen dieses Packs, dieses Gesindels von Galgenstricken und Huren weitere Todesopfer geben?
Eine eher defensive und abwartende Haltung erschien beiden Kapitänen als das kleinere Übel. Da sie beide keine Schinder waren, wurden sie von Skrupeln geplagt und wollten Verluste auf der eigenen Seite vermeiden. Sie hatten keine Gelegenheit, sich untereinander durch Zeichen von Schiff zu Schiff zu verständigen. Doch das war auch nicht erforderlich. Lange Zeit befuhren sie nun schon gemeinsam die Weltmeere. Ihre Handlungen waren vollendet aufeinander abgestimmt. Rascón wußte, daß Alentejo keinen Fehler begehen würde, und auch umgekehrt war dies der Fall:
Das Paradoxe an der Situation war nur, daß auf beiden Schiffen gleichzeitig gemeutert worden war. So etwas hatten auch Rascón und Alentejo noch nicht erlebt. Aber sie mußten unter den gegebenen Umständen versuchen, die Situation irgendwie zu meistern. Das hieß: Sie mußten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln das Leben ihrer Leute schützen.
Gomez Rascóns Schiffszimmermann hatte aus diesem Grund im Achterdeck eine Barrikade errichtet, hinter der ständig mehrere Seeleute mit Blunderbüchsen lauerten – für den Fall, daß Fierro und dessen Meute einen Ausfall unternahmen. Oben, hinter den Schotten und der Balustrade des Achterdecks, lagen ebenfalls Musketen- und Tromblonschützen.
Ähnlich ging es an Bord der „Almeria“ zu. Alentejo hatte den Befehl gegeben, die Schotten zum Vordeck zusätzlich abzuriegeln und zu verbarrikadieren. Wachtposten, die bis an die Zähne bewaffnet waren, standen an den kritischen Stellen des Achterdecks und meldeten jede Bewegung des Gegners.
Vorläufig geschah nichts. Aber auch die Meuterer waren nicht untätig gewesen. Marcela Buarcos und ihre Kumpane stellten Brandtöpfe und Brandpfeile her. Sie zeigte ihnen, wie das funktionierte, ganz Flintenweib und Soldatenhure, die jeden Handgriff kannte.
„Großartig, wie du das kannst“, sagte Moreno bewundernd. „Ich bin schon ganz scharf darauf, die Dinger auszuprobieren.“ Er schnitzte an einem Bogen, mit dem man die Pfeile auf das Achterdeck abschießen konnte.
„Bist du ein guter Schütze?“ fragte sie ihn grinsend.
„Bestimmt ein so guter wie du.“
„Das kannst du mir später beweisen.“
„Ich würde den Kapitän auch mit einem Pfeil erwischen“, sagte er, aber das war natürlich übertrieben, zumal er inzwischen reichlich viel Wein getrunken hatte.
„Der Kapitän steckt seine Nase nicht mehr raus“, sagte sie. „Er ist am Verrecken. Aber den Ersten könntest du treffen. Oder einen dieser Idioten, die auf dem Achterdeck Wache halten.“
„Ja.“
Sie rückte näher an ihn heran, ihre Brüste berührten seinen linken Arm. „Wenn du das hinkriegst und das verdammte Achterdeck in Flammen aufgeht, belohne ich dich reichlich.“
„Aber nur mich – ohne die anderen“, murmelte er. Seine Hand glitt über ihr Knie.
„Einverstanden“, sagte sie, schob ihn aber wieder von sich weg. „Wir sind uns einig. Aber erst kommt die Arbeit, dann das Vergnügen.“
Sie lachten, füllten wieder die Becher und tranken mit ihren Kumpanen zusammen.
Auch Fierro arbeitete an einem Plan, der allerdings etwas anders ausfiel. Er wollte das Achterdeck