Bio-psycho-soziales betriebliches Gesundheitsmanagement für Sozial- und Gesundheitsberufe. Ruth Haas

Читать онлайн книгу.

Bio-psycho-soziales betriebliches Gesundheitsmanagement für Sozial- und Gesundheitsberufe - Ruth Haas


Скачать книгу
möglichst frühzeitig zu erkennen, bevor Beschwerden oder Krankheitssymptome auftreten (Leppin 2009, Franzkowiak 2018b, Naidoo / Wills 2010). Dazu gehören Früherkennungsuntersuchungen (wie z. B. flächendeckende Mammografie-Screenings als Krebsvorsorgeuntersuchungen. Programme zur Suchtprävention bei Jugendlichen, die bereits Alkohol oder andere Suchtmittel zu sich genommen haben, zur Verhinderung einer Suchtkarriere können auch als sekundärpräventiv bezeichnet werden. Nach Manifestation bzw. Akutbehandlung einer Erkrankung werden tertiärpräventive Maßnahmen zur Verhinderung von Folgeschäden, der Krankheitsverschlimmerung oder Rückfällen bei Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Menschen in der Rehabilitation eingesetzt (Leppin 2009). Dabei sollen bleibende Funktionsverluste und eingeschränkte Aktivitäten bzw. verminderte Partizipation verhindert werden (Franzkowiak 2018b, Naidoo / Wills 2010). Hier wird ersichtlich, dass eine begriffliche Überschneidung mit medizinisch-therapeutischer Behandlung besteht. Tertiäre Prävention und Rehabilitation weisen Schnittfelder auf. Die Maßnahmen der tertiären Prävention können als krankheitsorientiert im engeren Sinn beschrieben werden können. Rehabilitation hat einen deutlich erweiterten Fokus. Die Wechselbeziehungen von Mensch und Umwelt werden berücksichtigt. Medizinisch-therapeutische, psycho-soziale und schulisch-berufliche Aktivitäten werden verknüpft, um zu einem aktiven, weitgehend selbstbestimmten Leben trotz krankheitsbedingter oder chronischer Funktionseinbußen zu verhelfen (Franzkowiak 2018b).

      Selbstlernaufgabe: Übertragen Sie die Begriffe der Primär- Sekundär- und Tertiärprävention und ihre Maßnahmen auf den betrieblichen Kontext.

       Gesundheitsförderung

      Der Begriff Gesundheitsförderung beruht auf einem salutogenetischen Denken. Sie entwickelte sich ausgelöst durch gesundheitspolitische Diskurse der WHO. Diese definiert Gesundheitsförderung wie folgt:

      „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. verändern können. In diesem Sinne ist die Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. Gesundheit steht für ein positives Konzept, das in gleicher Weise die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit betont wie die körperlichen Fähigkeiten“ (World Health Organization Europa WHO 1986, 1).

      Die WHO (1986) hebt hervor, dass die Verantwortung für Gesundheitsförderung bei allen Bereichen der Politik liegt und nicht nur an den Gesundheitssektor delegiert werden kann. Dabei geht es neben gesunden Lebensweisen um die Förderung von umfassendem Wohlbefinden. Durch eine Verbesserung der Lebensbedingungen sollen „gesundheitliche Entfaltungsmöglichkeiten“ (Hurrelmann et al. 2009) sowie gesundheitliche Schutzfaktoren und Ressourcen gestärkt werden (Altgeld / Kolip 2009, Antonovsky / Franke 1997, Becker 2006).

       Individuum und Setting

      Auch gesundheitsförderliche Maßnahmen können das Individuum oder das soziale Umfeld und die gesellschaftlichen oder rechtlichen Rahmenbedingungen in das Zentrum des Interesses setzen. Dabei werden individuelle oder am Setting orientierte Maßnahmen unterschieden. Der Settingansatz bzw. Lebensweltansatz in der Gesundheitsförderung betrachtet Lebensbereiche, in denen Menschen sich einen großen Teil ihrer Zeit aufhalten. Betriebe, Schulen und Kindertagesstätten, aber auch Städte, Gemeinden oder Statteile werden als relevante Settings angesehen. Diese Settings mit ihrer spezifischen sozialen Zusammensetzung und ihren Organisationsstrukturen und Kultur wirken sich auf die Gesundheit des Menschen aus (GKV 2014, Altgeld / Kolip 2009). Angebote der Gesundheitsförderung können sich auch am Individuellen Ansatz orientieren. Einzelne Menschen sollen dazu befähigt werden, gesunde Lebensstile und gesundheitliche Schutzfaktoren zu stärken und ausbauen (GKV 2014, 2018).

       Gesundheitsrelevanter Lebensstil

      Gesundheitsrelevante Lebensstile werden durch soziale Faktoren wie Geschlechtszugehörigkeit, Alter und soziale Schicht beeinflusst. Maßnahmen der Gesundheitsförderung müssen demnach auch in den jeweiligen Lebenswelten der Menschen verortet sein. Eine Maßnahme zur Gesundheitsförderung, die gesundheitsrelevante Lebensstile stärken möchte, kann bestimmte Zielgruppen in spezifischen Settings in den Blick nehmen. Auf der Ebene der Intervention überschneiden sich Gesundheitsförderung und Prävention. Zum Beispiel wird ein Mangel an körperlicher Aktivität vielfach als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen oder Adipositas beschrieben. Die Intervention der Bewegungsförderung jedoch stärkt den Schutzfaktor Körperliche Aktivität. Im Leitfaden Prävention der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) werden die Begriffe Prävention und Gesundheitsförderung als sich ergänzend betrachtet und Aspekte des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) mit der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) verknüpft (GKV 2018).

      Selbstlernaufgabe: Recherchieren Sie Best Practice-Beispiele zur Gesundheitsförderung. Handelt es sich um Präventions- oder Gesundheitsförderungsmaßnahmen?

      Das Deutsche Institut für Normung (DIN) hat die Bedeutung des Themas Betriebliches Gesundheitsmanagement erkannt und eine entsprechende Spezifikation entwickelt, die im Juli 2012 als DIN SPEC 91020 veröffentlicht wurde (Deutsches Institut für Normung 2012). Die Spezifikation kann in jeder Organisation (Unternehmen, Behörden, Körperschaften des öffentlichen Rechts etc.) angewendet werden, die ihre betrieblichen Gesundheitsbelange über ein wirksames Managementsystem einführen will. In dieser Richtlinie wird Betriebliches Gesundheitsmanagement definiert als

      „Systematische sowie nachhaltige Schaffung von gesundheitsförderlichen Strukturen und Prozessen einschließlich der Befähigung der Organisationsmitglieder zu einem eigenverantwortlichen gesundheitsbewussten Verhalten“ (Deutsches Institut für Normung 2012, 7).

      BGF setzt an gesundheitlichen Einflussfaktoren an und intendiert diese zu verbessern. Das Europäische Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung (ENWHP) definierte BGF bereits 2008 wie folgt:

      „Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) umfasst alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden. Dies kann durch eine Verknüpfung folgender Ansätze erreicht werden: Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen, Förderung aktiver Mitarbeiterbeteiligung und Stärkung persönlicher Kompetenzen“ (Europäisches Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung (ENWHP) 2008, 2).

      BGF zielt darauf ab, die gesundheitsrelevanten Faktoren im Arbeitskontext zu beeinflussen. Es werden zum einen gesundheitsrelevante Unternehmensgrundsätze und -leitlinien, eine gesundheitsbewusste Unternehmenskultur und Personalpolitik mit entsprechenden Führungsgrundsätzen berücksichtigt (Kap. 6.1).

image

      Zum anderen werden die MitarbeiterInnenbeteiligung, gesundheitsrelevante Arbeitsorganisation, Einflussmöglichkeiten auf die eigene Arbeit sowie soziale Unterstützung und ein integrierter Arbeits- und Gesundheitsschutz gefordert. Dies ist nur mit Hilfe eines systematischen BGM zu leisten.

       BEM

      Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) kann neben Arbeitsschutz und -sicherheit als Teil eines systematischen BGM verstanden werden (Abb. 7) (Kap. 2.4): ArbeitnehmerInnen, die während eines Jahres eine Zeitspanne von sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit überschreiten oder zum wiederholten Mal die Arbeit aufgrund von Krankheit nicht antreten können, muss ein betriebliches Gesundheitsmanagement angeboten werden. Jeder Betrieb, unabhängig von seiner Größe, ist hierzu verpflichtet.


Скачать книгу