Bio-psycho-soziales betriebliches Gesundheitsmanagement für Sozial- und Gesundheitsberufe. Ruth Haas
Читать онлайн книгу.Das subjektive Erleben des individuellen Gesundheitsprozesses ist nicht deckungsgleich mit objektiv messbaren Parametern oder diagnostizierten gesundheitlichen Störungen. So kann eine Person mit einer diagnostizierten chronischen Erkrankung ein erfülltes Leben führen und sich subjektiv gesund fühlen.
„Maxime 8: Fremd- und Selbsteinschätzung von Gesundheits- und Krankheitsstadien können sich auf allen drei Dimensionen – der körperlichen, der psychischen und der sozialen – voneinander unterscheiden“ (Hurrelmann / Richter 2013, 33.)
Eine Person kann sich in der körperlichen Dimension als sehr krank erleben, auch wenn diese Einschätzung von Gesundheitsexperten nur zum Teil unterstützt wird. Es ist denkbar, dass ein Mensch sich subjektiv sozial beeinträchtigt fühlt, auch wenn dieser alle Aufgaben und Rollen im Leben gut erfüllt und aus der Sicht der im Gesundheitswesen tätigen Personen als gut integriert eingeschätzt wird.
Hurrelmann / Richter (2013) definieren Gesundheit aus interdisziplinärer Perspektive sehr umfassend und integrieren darin die zentralen bio-psycho-sozialen Gesundheitsmodelle wie folgt:
„Gesundheit bezeichnet den Zustand des Wohlbefindens einer Person, der gegeben ist, wenn diese Person sich psychisch und sozial in Einklang mit den Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äußeren Lebensbedingungen befindet. Gesundheit ist nach diesem Verständnis ein angenehmes und durchaus nicht selbstverständliches Gleichgewichtsstadium von Risiko- und Schutzfaktoren, das zu jedem lebensgeschichtlichen Zeitpunkt immer erneut in Frage gestellt ist. Gelingt das Gleichgewicht, dann kann dem Leben Freude und Sinn abgewonnen werden, es ist eine produktive Entfaltung der eigenen Kompetenzen und Leistungspotentiale möglich und es steigt die Bereitschaft, sich gesellschaftlich zu integrieren und zu engagieren“ (Hurrelmann / Richter 2013, 147).
Beim Transfer der Definition auf ein Beispiel der Arbeitswelt, könnte demnach ein / e ArbeitnehmerIn als gesund bezeichnet werden, wenn diese sich grundlegend wohl fühlt. Dieses positive Wohlbefinden basiert einerseits auf einer Deckung der beruflichen und privaten Ziele und Möglichkeiten im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten. Ein beruflich kompetenter und zielstrebiger Mensch ist an einem Arbeitsplatz tätig, der Entwicklungsmöglichkeiten und den Einsatz der Kompetenz eröffnet. In der Lebensgestaltung existiert ein Gleichgewicht zwischen Stressoren und Schutzfaktoren. Übertragen auf die Arbeitswelt könnte dies bedeuten, dass auf der einen Seite eine durchaus fordernde berufliche Tätigkeit mit hohem Zeit- und Präzisionsdruck (Stressor), einer hohen Lärmbelastung und einer hohen Anzahl an Überstunden, auf der anderen Seite der Integration in ein gut funktionierendes Team getragen von Wertschätzung und kooperativer Haltung und einem hohen Maß an Selbstbestimmung gegenübersteht. Auf diese Weise ist eine produktive Entfaltung der eigenen Kompetenzen und Leistungspotentiale möglich. Die Person entwickelt eine Bereitschaft und ein hohes Maß an Engagement für den Betrieb.
Becker, P. (2006) : Gesundheit durch Bedürfnisbefriedigung. Hogrefe, Göttingen
Franke, A. (2012) : Modelle von Gesundheit und Krankheit. 3. Aufl. Huber, Bern
Hurrelmann, K., Richter, M. (2013) : Gesundheits- und Medizinsoziologie. Eine Einführung in sozialwissenschaftliche Gesundheitsforschung. 8. Aufl. Beltz Juventa, Weinheim
Hurrelmann, K., Richter, M. (2013) : Gesundheits- und Medizinsoziologie. Eine Einführung in sozialwissenschaftliche Gesundheitsforschung. 8. Aufl. Beltz Juventa, Weinheim
2 Begriffe, Entwicklung und Gesetze zu Prävention, BGM und BGF
BGM und BGF werden im allgemeinen Sprachgebrauch undifferenziert und teilweise synonym verwendet. Ein Betrieb bietet unter dem Label Gesundheitsmanagement Fitnesskurse, Rückenschule oder ergonomische Arbeitsplatzanalysen für die MitarbeiterInnen an. Diese Bezeichnung ist nicht korrekt, da es sich einerseits um Maßnahmen zur Gesundheitsförderung handelt, andererseits werden ergonomische Analysen dem Aufgabengebiet des Arbeitsschutzes zugeordnet. Beim Themenfeld der Gesundheit der MitarbeiterInnen in Betrieben überschneiden sich die Aufgaben von BGM, BGF, Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit (ASS) und des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM). Betriebliches Gesundheitsmanagement bezieht sich auf die Prozesse, Strukturen und die Führung des Unternehmens sowie auf Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung. Einige Aufgaben von Arbeitsschutz und –sicherheit und dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement überschneiden sich mit BGM und BGF.
In einem Unternehmen mit seinen vielschichtigen Arbeitsbereichen und Aufgaben, wie bspw. dem Personalwesen, Controlling oder Qualitätsmanagement und BGM existieren zahlreiche Schnittmengen.
Diese Maßnahmen zum Schutz, Erhalt oder der Wiederherstellung der Gesundheit von ArbeitnehmerInnen basieren auf unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen, unterliegen der Verantwortlichkeit sich unterscheidender Kostenträger (Kap. 2.4).
Zur Orientierung werden im folgenden Teilkapitel zentrale Begrifflichkeiten zu BGM und BGF definiert und voneinander abgegrenzt.
2.1 Prävention vs. Gesundheitsförderung
Der Begriff der Prävention, ursprünglich Krankheitsprävention, entwickelte sich in der Sozialmedizin im 19. Jahrhundert im Themenfeld der Hygiene und Volksgesundheit.
Prävention
Sie zielt darauf ab, der Entstehung von Krankheit zuvorzukommen, also zu vermeiden. Auf diese Weise werden das Auftreten und die Ausbreitung von Erkrankungen vermindert (Hurrelmann et al. 2009). Der Erfolg der Prävention wird daran gemessen, inwieweit der Ausbruch und die Verbreitung von Krankheiten verringert werden kann. Prävention basiert auf einer pathogenetischen Denkweise. Durch gezielte Interventionen wird in den Prozess der Entstehung von Krankheit eingegriffen. Prävention nimmt ihren Ausgangspunkt bei spezifischen gesundheitlichen Störungen, um Risikofaktoren zu verringern oder zu eliminieren (Altgeld / Kolip 2009). Prävention beruht demnach auf der Annahme von Wahrscheinlichkeiten. Es kann nicht mit Sicherheit behauptet werden, dass durch Präventionsmaßnahmen beim Einzelnen das Krankheitsrisiko reduziert wird.
Verhalten und Verhältnisse
Präventive Maßnahmen können einerseits am individuellen Verhalten ansetzen, sog. Verhaltensprävention. Es wird das Risikoverhalten des Individuums wie z. B. Nikotinkonsum oder Bewegungsmangel in den Blick genommen. Verhältnisprävention konzentriert sich auch auf die Veränderung von ökologischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Umweltbedingungen (Leppin 2009). Das Rauchverbot an öffentlichen Plätzen kann als gesetzlich verankerte verhältnispräventive Maßnahme bezeichnet werden.
Im betrieblichen Kontext sind hier zum Beispiel ergonomische Maßnahmen, das Einführen von Kernarbeitszeiten, transparente Kommunikationsstrukturen oder auch das Einrichten einer Salatbar in der Cafeteria zu nennen.
Der zeitliche Aspekt des Einsatzes von Präventionsmaßnahmen im Gesundheits-Krankheits-Kontinuum wird durch das triadische Präventionsmodell mit den Teilbereichen Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention beschrieben (Leppin 2009, Naidoo / Wills 2010, Franzkowiak 2018b).
Das triadische Präventionsmodell
Primärpräventive Maßnahmen setzen vor dem Eintreten einer Erkrankung oder fassbaren biologischen Schädigungen ein. Aus gesundheitspolitischer Perspektive soll Primärprävention die Inzidenzrate einer Krankheit verringern. Das Erstauftreten von Krankheiten soll abgewendet werden. Primärprävention richtet sich demnach an gesunde, symptomfreie Menschen mit dem Ziel auslösende oder vorhandene Teilursachen von definierten Erkrankungen zu eliminieren (Naidoo / Wills 2010).
Das triadische Präventionsmodell
Sekundärprävention