Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Ernst-Christoph Meier
Читать онлайн книгу.Der Schutz der Zivilbevölkerung im Verteidigungsfall ist gemäß Artikel 73 GG Bundessache; hingegen ist Katastrophenschutz im Frieden gemäß Artikel 70 GG den Ländern zugeordnet. Aus personellen, technischen und finanziellen Gründen besteht eine enge Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Art, dass der friedensmäßige Katastrophenschutz auch im Verteidigungsfall Aufgaben zum Schutz der Bevölkerung wahrnimmt; umgekehrt steht das durch den Bund finanzierte Ergänzungspotenzial für den Zivilschutz den Ländern auch für die Gefahrenabwehr im Frieden zur Verfügung. Im Katastrophenschutz mitwirkende private und öffentliche Einheiten und Einrichtungen sind im Wesentlichen: Feuerwehren; Arbeiter-Samariter-Bund (ASB); Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG); Deutsches Rotes Kreuz (DRK); Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH); Malteser Hilfsdienst (MHD); Technisches Hilfswerk (THW).
•Kritische Infrastrukturen: Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Auf diese Definition haben sich 2003 die Ressorts auf Bundesebene geeinigt und gleichzeitig eine Einteilung dieser zentralen Versorgungssysteme in acht Sektoren und 30 Branchen vorgenommen. 2009 wurde eine nationale Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen beschlossen und in den Folgejahren regelmäßig angepasst.
•Kulturgutschutz: Wesentliche Aufgaben sind: die Sicherungsverfilmung (Mikroverfilmung) von national wertvollem Archiv- und Bibliotheksgut; die fotogrammetrische Erfassung des nach der Haager Konvention gekennzeichneten unbeweglichen Kulturguts; die Erarbeitung von Richtlinien und Konzepten zum Bau von Bergungsräumen für bewegliches Kulturgut und für weitere Maßnahmen zum Schutz von Kulturgut in Abstimmung mit den obersten Fachressorts und über das Auswärtige Amt der internationalen Vertretung bei der UNESCO.
•Internationale Kooperation: Deutschland wirkt beim Bevölkerungsschutz an der Grundlagenarbeit und Projekten von EU, NATO und UN mit. Zudem berät das BBK das Bundesministerium des Innern, andere Ressorts wie auch die Länder in der bi- und multilateralen Kooperation und arbeitet konzeptionell-planerisch sowie in Projekten auf vielen Fachgebieten eng mit (inter-)nationalen Partnern zusammen.
Gemeinsames Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern (GMLZ)
Ein wesentlicher Bestandteil der am 6. Juni 2002 verabschiedeten Strategie zum Schutz der Bevölkerung ist die Einrichtung eines gemeinsamen Melde- und Lagezentrums (GMLZ) sowie die Inbetriebnahme des deutschen Notfallvorsorge-Informationssystems (deNIS). Das GMLZ stellt das länder- und organisationsübergreifende Informations- und Ressourcenmanagement bei großflächigen Schadenlagen oder sonstigen Lagen von nationaler Bedeutung sicher. Es bedient sich sowohl des deutschen Notfallvorsorge-Informationssystems (deNIS) als auch eines ständig wachsenden Netzwerks von Experten aus den verschiedensten Einrichtungen und Behörden des Bevölkerungsschutzes. Als Fachlagezentrum ist es die zentrale nationale Kontaktstelle im Bevölkerungsschutz und wird im Rahmen zahlreicher internationaler und nationaler Melde- und Informationsverfahren tätig.
Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ)
Die AKNZ des BBK (zugleich dessen Abteilung 4) ist die zentrale Aus- und Fortbildungseinrichtung des Bundes im Bevölkerungsschutz. Sie richtet sich mit ihrem Bildungsangebot primär an die mit Fragen der zivilen Sicherheitsvorsorge befassten Entscheidungsträger und Multiplikatoren aller Verwaltungsebenen.
Auch ist sie anerkannt als Wissensdrehscheibe für Fragen der staatlichen und nichtstaatlichen Sicherheitsvorsorge. Durch die Übungsreihe LÜKEX (länderübergreifende Krisen-Exercise) hat sie seit 2004 maßgeblich zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Risiko- und Krisenmanagement von Bund und Ländern auf der administrativ-politischen Entscheidungsebene beigetragen.
Neuorientierung nach Corona
Allerdings zeigte der Ausbruch von Covid-19 Anfang 2020, dass der Zivil- und Katastrophenschutz in Deutschland, der einst für den Krisen- und Spannungsfall aufgebaut worden war, in einer Pandemielage dieser Größenordnung trotz aller planerischen Vorbereitungen erhebliche Schwächen aufwies. Grund hierfür waren weniger fehlende Strukturen und Verfahren, sondern vor allem der Umstand, dass diese von den Verantwortlichen auf Bundes- und Länderebene zu wenig genutzt wurden. Gerade die grundgesetzlich festgelegte Trennung der Verantwortlichkeiten des Bundes (Schutz der Zivilbevölkerung im Verteidigungsfall) und der Länder (Katastrophenschutz) hat sich in dieser Gesundheitskrise als hinderlich erwiesen, da die Bundesländer unterschiedliche Strategien verfolgten, die zu einem uneinheitlichen Regelwerk führten. Eine Entscheidungshoheit des Bundes wurde lange abelehnt.
Auch griffen die Bundesländer nur selten auf die auf Bundesebene bestehenden Institutionen, wie das BBK zurück. Formal für Krisen im Zusammenhang mit dem Verteidigungsfall zuständig, kann es bei Katastrophen nur tätig werden, wenn der Katastrophenfall auch ausgerufen wird. Das war bei Corona aber nur in Bayern der Fall. Folglich wurde das BBK in der Presse auch als »das vergessene Amt« bezeichnet. Darüber hinaus hatten Bund und Länder schon vor vielen Jahren durchgeführte Übungen zu Pandemielagen ignoriert, in denen auf die bei Corona aufgetretenen Mängel (etwa fehlendes medizinisches Gerät) hingewiesen wurde.
Im Frühjahr 2021 zog Innenminister Horst Seehofer die Konsequenzen und kündigte eine Umstrukturierung des BBK an. Ähnlich wie das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern soll das BBK zu einem Gemeinsamen Kompetenzzentrum für Katastrophenschutz weiterentwickelt werden. Auch will das Amt den gesundheitlichen Bevölkerungsschutz stärken und die Bevorratung von medizinischem Gerät erhöhen.
Allerdings werden sich grundsätzliche Verbesserungen bei der Zusammenarbeit von Bund und Ländern nur erzielen lassen, wenn die im Grundgesetz festgeschriebene Trennung von Verteidigungs- und Katastrophenschutz geändert wird. Dies war bereits nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 geplant, danach aber wieder in Vergessenheit geraten. Möglicherweise führt die Aufarbeitung der Corona-Krise zu einem neuen Versuch der Grundgesetzänderung.
Die Flutkatastrophe 2021
Im Juli 2021 führte Starkregen bislang ungekannten Ausmaßes zu katastrophalen Zerstörungen in Rheinland-Pfalz und hier insbesondere in der Eifel und im Ahrtal. Wie schon bei der Corona-Pandemie zeigte sich erneut, dass es in Deutschland erhebliche Defizite im Bereich des Katastrophenschutzes gibt. Warnsysteme waren entweder nicht vorhanden oder wurden nicht aktiviert. Bei der Koordination von Einsatzkräften kollidierten wiederholt die Kompetenzen von Bund und Ländern. Dies führte zu einer weiteren Debatte darüber, ob die föderalen Strukturen in Deutschland noch zeitgemäß sind.
Vgl. auch Grundsatzartikel »Sicherheitspolitik Deutschlands«, Gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge
Balance of Power
Mächtegleichgewicht
Balfour-Deklaration
Grundsatzartikel »Nahost-Konflikt«
Balkanisierung
Populistisch Prozess der Aufspaltung oder des