Allgemeine Staatslehre. Alexander Thiele
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A. Bogner, Die Epistemisierung des Politischen, S. 100.
Auch innerhalb der deutschen (bzw. kontinentalen) Rechtswissenschaft stellt sich zunehmend die Frage, inwieweit sich die strikte Trennung zwischen dem Öffentlichen Recht und dem Privatrecht noch als sinnvoll erweist – gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Europäisierung des Rechts. Zumindest scheint die bisweilen eher zufällige und allein historisch zu begründende Aufteilung der Rechtsmaterien auf die beiden Teilgebiete nicht immer zu völlig befriedigenden Ergebnissen zu führen. Eine Kooperation von WissenschaftlerInnen der beiden Gebiete (etwa durch gemeinsame Forschungsprojekte) wäre zweifellos gewinnbringend. Siehe dazu zuletzt U. J. Schröder, Das Verhältnis von öffentlichem Recht und Privatrecht, DVBl. 2019, 1097 ff.; M. Seckelmann, Kategoriale Unterscheidung von Öffentlichem und Privatem Recht?, DVBl. 2019, 1107 ff.; F. Becker, Öffentliches und Privates Recht, NVwZ 2019, 1385 ff. sowie A. Jakab/L. Kirchmair, Die Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht als genetischer Fehler in der DNA kontinentaler Rechtsordnungen, Der Staat 58 (2019), 345 ff.
Siehe auch S. Breuer, Der Staat, 1998, S. 11 f.
R. Hirschl/J. Mertens, Interdisziplinarität als Bereicherung. An den Grenzen von Verfassungsrecht und vergleichender Politikwissenschaft, in: J. Münch/A. Thiele (Hrsg.), Verfassungsrecht im Widerstreit, S. 105 (106). Für eine stärkere interdisziplinäre Verknüpfung der Rechts- und der Sozialwissenschaft zuvor schon R. Hirschl, Verfassungsrecht und vergleichende Politikwissenschaft – an den Grenzen der Disziplinen, in: M. Hein/F. Petersen/S. v. Steinsdorff (Hrsg.), Die Grenzen der Verfassung, S. 15 ff.
R. Hirschl/J. Mertens, Interdisziplinarität als Bereicherung. An den Grenzen von Verfassungsrecht und vergleichender Politikwissenschaft, in: J. Münch/A. Thiele (Hrsg.), Verfassungsrecht im Widerstreit, S. 105 (123).
C. Möllers, Der vermisste Leviathan, S. 113: „Diese Einsicht schließt nicht aus, dass es nach wie vor interessant sein mag, von sozialwissenschaftlicher wie von rechtswissenschaftlicher Seite zu suchen und zu sichten. Gerade die methodischen Einwände gegen eine engere Zusammenführung recht- und sozialwissenschaftlicher Forschung könnten sich jedenfalls aus Sicht der Rechtswissenschaften auf Dauer entschärfen.“
C. Möllers, Der vermisste Leviathan, S. 114.
Dazu zuletzt B. Oppermann/J. Stender-Vorwachs (Hrsg.), Autonomes Fahren, 2. Auflage 2019.
A. Doering-Manteuffel/B. Greiner/O. Lepsius (Hrsg.), Der Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, 2015.
Vgl. auch A. Bogner, Die Epistemisierung des Politischen, S. 98 ff.
R. Hirschl/J. Mertens, Interdisziplinarität als Bereicherung. An den Grenzen von Verfassungsrecht und vergleichender Politikwissenschaft, in: J. Münch/A. Thiele (Hrsg.), Verfassungsrecht im Widerstreit, S. 105 (116).
Siehe beispielhaft J. Lüdemann, Netzwerke, Öffentliches Recht und Rezeptionstheorie, in: S. Boysen u.a., Netzwerke, S. 266 (275 ff.). Speziell für das Verwaltungsrecht I. Augsberg (Hrsg.), Extrajuridisches Wissen im Verwaltungsrecht, 2013.
Vgl. auch C. Möllers, Der vermisste Leviathan, S. 113.
Speziell zum unsicheren Umgang der Jurisprudenz mit Fragen der Wirklichkeit A. Voßkuhle, Methode und Pragmatik, in: H. Bauer u.a., Umwelt, Wirtschaft und Recht, S. 171 (185).
Knapper Überblick zum Weimarer Methodenstreit bei A. Thiele, Der konstituierte Staat, S. 322 ff.
Siehe dazu A. Thiele, Die Europäische Zentralbank, S. 73 ff.
Es handelt sich insoweit vor allem um eine deutsche Debatte. Die Rechtswissenschaften in anderen Ländern (nicht zuletzt im angelsächsischen Raum einschließlich Südafrika) greifen zumeist ganz selbstverständlich auf wirklichkeitswissenschaftliche Erkenntnisse zurück.
III. Mangelt es der Allgemeinen Staatslehre an
der notwendigen Problemnähe?
Dem dritten Einwand lässt sich leichter begegnen. Danach fehlt es der Allgemeinen Staatslehre an Problemnähe. Prominent vorgetragen wurde dieser Vorwurf unter anderem von Peter Häberle. Die Allgemeine Staatslehre führe lediglich zu „leeren Abstrahierungen“.[242] Spezifische verfassungsrechtliche Fragen ließen sich mit dieser nicht beantworten, maßgeblich seien allein die konkreten Verfassungen. Dieser Vorwurf trifft gewiss zu. Welche Anforderungen das Demokratieprinzip im Einzelnen stellt, ob ein Gesetz mit Grundrechten vereinbar ist, eine Anti-Coronamaßnahme den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit achtet oder ob das aufwieglerische Verhalten eines US-Präsidenten ein Amtsenthebungsverfahren rechtfertigt, lässt sich unter Rückgriff auf die Ergebnisse einer Allgemeinen Staatslehre nicht abschließend klären.[243] Hier kann nur das Staatsrecht respektive das Verfassungsrecht weiterhelfen.[244] Dieser Vorwurf träfe die Allgemeine Staatslehre freilich |40|nur, wenn sie den Anspruch erhöbe, solche konkreten Fragen zu beantworten. Das ist aber nicht der Fall. Mit anderen Worten: Die Probleme, die die Allgemeine Staatslehre aus Sicht ihrer Kritiker wie Häberle nicht zu lösen vermag, will diese gar nicht lösen. Es geht ihr um etwas anderes; sie erhebt nicht den Anspruch an die Stelle des konkreten Staats- oder Verfassungsrechts im Sinne eines „universellen Ersatzes“ zu treten. Ziel ist vielmehr durch den kritischen, distanzierten und interdisziplinären Vergleich demokratischer Verfassungsstaaten neue Erkenntnisse und Perspektiven zu gewinnen, die es ermöglichen, losgelöst von konkreten Fragestellungen, sozusagen aus der Metaebene, Impulse für die Entwicklung des konkreten Staats- und Verfassungsrechts zu geben. Eine Allgemeine Staatslehre kann damit keine konkreten staats- und verfassungsrechtlichen Probleme lösen, aber argumentatives Rüstzeug für das Sichtbarmachen bedenklicher Entwicklungen und die Bewertung real gefundener Lösungen liefern. „Worum es geht, ist in erster Linie die Konstruktion von Typen; sodann, in zweiter Linie, ihre Verwendung als Skalen, mit deren Hilfe gerade auch die Abweichung, die Distanz erkennbar gemacht werden kann, so dass es weder ein Mangel noch eine Widerlegung ist, wenn eine individuelle historische Erscheinung nur sehr partielle