WIE SIE IHR ERSTES BUCH SCHREIBEN. Martin Selle
Читать онлайн книгу.springen, der zu Beginn bequeme Junge entwickelt sich zum Arbeitstier. Die Veränderung darf überraschend sein, sollte aber nicht im unmittelbaren Gegensatz stehen zu dem, was wir über den Helden wissen. Helden überwinden sich, aber sie legen einen grundlegenden Charakterzug kaum vollends ab.
Bei einem ›gelungenen‹ Bösewicht ist seine Bosheit ein Teil seines Wesens. Das Böse steckt unauslöschlich in ihm, er ist mit dem Bösen verbunden und tut nicht nur böse Dinge wegen seiner Rolle als Gegenspieler. Lenken Sie die Gefühle des Lesers in eine bestimmte Richtung, indem Sie dafür sorgen, dass der Leser dem Bösewicht ›Bestrafung‹ wünscht. Etwa wenn ein Abteilungsleiter einen Mitarbeiter mobbt und am Ende selbst aus der Firma fliegt. Das gefällt dem Leser. Wir empfinden es als befriedigend, wenn ein Bösewicht bekommt, was er verdient.
Insider-Tipp: Geben Sie Ihrem Bösewicht ein Merkmal, das er ununterbrochen wiederholt. Solche Angewohnheiten machen den Leser nervös, irritieren ihn - ständig die Nase aufziehen, Spucken, mit der Zunge schnalzen, an den Nägeln kauen. Ihr Bösewicht sollte einen von Grund auf schlechten Charakter besitzen, das ist effektiver als nur ab und zu eine böse Tat.
Nebenfiguren charakterisieren Sie am besten, indem Sie ein einziges Merkmal nehmen, das die Figur von allen anderen Menschen deutlich unterscheidet, und dieses klar und anschaulich hervorheben. Auf diese Weise erwecken Sie eine Figur besonders schnell zum Leben.
Nebenfiguren charakterisieren Sie ebenfalls schnell und deutlich, indem Sie diese aus der Sicht Ihres Helden schildern:
»… der Riese von Postbote, der mit dem Verteilen der Post immer bei uns im neunten Stockwerk seinen Arbeitstag beginnt, steigt jeden Tag um exakt sechs Uhr und vier Minuten aus dem Lift . Eine Minute später klingelt es an unserer Wohnungstür, und wenn ich öffne, sehe ich als Erstes seine dottergelben Augen. Ich hasse diese Kontaktlinsen an ihm.«
Wie fangen Sie an, eine Figur zu entwerfen?
Eine Möglichkeit wäre diese: Sehen Sie die Figur körperlich vor sich. Wie sieht sie aus? Wie bewegt sie sich? Wie spricht sie? Wie agiert und reagiert sie in einer Krisensituation? Eine Figur entsteht nicht auf einen Wurf, sie entsteht Stück für Stück, Schritt für Schritt. Und zwar, indem Sie durch Beobachtung kleiner Details einen ersten Eindruck gewinnen; dann fügen Sie durch Ihre innere Stimme Erfahrungen hinzu. Eine Figur kommt aus Ihrem Inneren, fragen Sie sich immer: Was würde ich in dieser Situation tun? So kommen Sie auf den Wesenskern der Figur. Anschließend verleihen Sie dem Helden Kontraste und Widersprüchlichkeiten, das macht ihn menschlich vielschichtig. Dann fügen Sie Wertvorstellungen, Überzeugungen, Standpunkte hinzu, das macht die Figur runder. Schließlich überlegen Sie sich ein paar Einzigartigkeiten, welche Ihre Figur unverwechselbar und schnell erkennbar machen.
1: Zeigen Sie die Einstellung Ihrer Figur zum Leben. Das vertieft Ihren Helden.
2: Überzeugungen, Meinungen und Standpunkte einer Figur teilen mit, in welche Richtung der Held in bestimmten Situationen tendiert. Ein überzeugter Kommunist denkt anders als ein freiheitlich orientierter Mensch.
3:Wertvorstellungen von Figuren sind für Sie als Autor eine gute Möglichkeit, zum Ausdruck zu bringen, woran Sie selbst glauben.
4: Legen Sie Augenmerk auf Details. Viele Figuren sind wegen ihrer Details unvergesslich: Taten, Kleidung, Sprache, Mimik, Gestik, Angewohnheiten etc. Wenn Sie nach Details suchen, halten Sie Ausschau nach Unvollkommenheiten der Menschen. Details entspringen der persönlichen Unvollkommenheit. Perfektion ist für den Leser langweilig.
5: Stellen Sie sich als Schriftsteller ununterbrochen Fragen über die Vergangenheit einer Figur, dann verstehen Sie deren Gegenwart besser.
6: Menschen handeln nicht grundlos. Ihre Figur muss für alles, was sie tut, ein Motiv haben.
7: Was Menschen antreibt, kommt zum Großteil aus dem Unbewussten, aus unseren Gefühlen, Erinnerungen und Erfahrungen. Das Unbewusste hat auch eine Schattenseite: Neid, Wut, Völlerei, Zorn, Depression, Habsucht, Begierde, Stolz, Bequemlichkeit. Werden diese Kräfte verdrängt, können sie uns dazu verleiten, Dinge zu tun, die gegen unseren Willen sind, dann bringen sie uns in Schwierigkeiten.
8: Besorgen Sie sich ein Buch über Persönlichkeitstypen. Das hilft Ihnen ungemein, Figuren unterschiedlich zu zeichnen.
Tipps zum Fehler vermeiden
Anfänger tappen leicht in ein paar Fallen, die vermieden werden können. Wenn Sie diese Ratschläge im Auge behalten, dann sind Sie ein gutes Stück weitergekommen auf Ihrem Weg, unsterbliche Bestsellerfiguren mit Profi-Standard zu erschaffen:
1: Ihr Held kennt sein eigenes Ziel nicht wirklich. Definieren Sie das Hauptziel glasklar, sonst wirkt der Held leicht als Schwächling und das stößt den Leser ab.
2: Ihr Gegenspieler (der Bösewicht) ist nichts weiter als ein oberflächlicher Flegel, ein motivloser Rüpel, der nur existiert, um den Helden zu ärgern. Auch für ihn muss vom Erreichen seines Zieles viel abhängen. Geben Sie auch dem Gegenspieler eine starke Motivation und ein klares daraus resultierendes Ziel - das im Gegensatz zum Ziel des Helden stehen sollte.
3: Eine Figur sollte niemals ausschließlich gut oder böse sein. Menschen sind keine Engel, solche Helden wirken unwirklich. Geben Sie Ihren Figuren Stärken, aber auch Schwächen, Fehler. Das macht sie lebensecht.
4: Überladen Sie Ihre Figuren beim Beschreiben nicht durch eine Fülle von Details. Wenn Sie zu viel mitteilen, verwirren Sie den Leser eher und die Figur wirkt eher unecht. Suchen Sie stattdessen nach der treffenden Szene und die treffende Handlung, die Ihre Figur am typischsten charakterisiert. Konzentrieren Sie sich beim Beschreiben auf die „passenden“ Merkmale. Schildern Sie zum Beispiel eine Person aus der Ferne, macht es keinen Sinn, dem Leser Details der Augen zu zeigen, denn er sieht diese aus der Distanz nicht. Die Körpergröße und Statur jedoch kann er selbst aus der Ferne wahrnehmen und einschätzen. Schildern Sie eine Figur aus nächster Nähe, ist hingegen die Mimik ein wichtiges Element der Charakterisierung.
5: Beschränken Sie sich bei der Charakterisierung von Figuren nicht nur auf die äußeren, die sichtbaren Merkmale wie Beine, Gang, Körperbau, das sind meist Klischees. Schildern Sie besser jene Körperlichkeiten, die in engem Bezug zur Geschichte stehen: Erzählen Sie die Geschichte eines Spitzensportlers, wird seine körperliche Fitness von Bedeutung sein – beschreiben Sie diese anhand einer geeigneten Szene, die seine körperliche Stärke ausdrückt.
Nützliche Fragen, Merkhilfen
Leser interessieren sich dafür, was die Gewohnheiten des Alltags, das Übliche, das Bekannte und Normale sprengt. Stellen Sie sich daher ständig Fragen, die sich auf das Handeln von Ihren Figuren beziehen. Auf diese Weise erfahren Sie Ihre Figuren genau und lernen diese kennen. Die Meisterschaft, Figuren zu charakterisieren, besteht darin, die Eigenschaften dieser Figuren durch Handlung dem Leser zu vermitteln.
Wenn Sie also darangehen, eine Figur zu erfinden, können Ihnen Fragen wie die folgenden hilfreich sein. Finden Sie Antworten darauf.
Wie verhält sich Ihre Figur anderen Menschen gegenüber? Gleich oder unterschiedlich? Die Antwort auf diese Fragen teilt Vielsagendes über den Helden mit. Spricht Ihr Held mit einem reichen Star anders als mit einem Schulfreund, der Hab und Gut verloren hat? Stellen Sie sich und beantworten Sie dazu folgende Fragen:
Was tut Ihr Held auf einer Party?
Was macht Ihre Figur im Urlaub?
Wie verhält sich Ihre Heldin im Büro?
Wie fährt der Held mit dem Auto?
Singt Ihr Held in der Straßenbahn?
Tausende Fragen sind möglich. Jede Antwort teilt Ihnen etwas über das Wesen der Figur mit. Fragen Sie.
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