WIE SIE IHR ERSTES BUCH SCHREIBEN. Martin Selle
Читать онлайн книгу.eine Information mit, charakterisiert aber weder Harry, noch erfahren wir etwas über Maria. Weiters ist ›seit Stunden‹ eine schwache, klischeehafte Übertreibung, wie das auch ›eine Ewigkeit‹ sein würde. Besser wäre da schon:
»Sieh einer an, da ist ja mein Herzb latt. Ist es diesmal der zweite oder der dritte Frühling, der ins Land zieht, seit ich hier auf dich warte?«
Hier spürt der Leser, dass Harry über das Zuspätkommen von Maria nicht gerade erfreut ist. Ein gewisses Knistern liegt in der Luft. Harry wird als Mensch dargestellt, der auf Pünktlichkeit setzt, Maria wird charakterisiert als jemand, der gerne zu spät kommt, und das nur durch das kleine Wort ›diesmal‹.
Erlernen Sie die Technik des Vergleichens. Verwenden Sie dabei kreative Vergleichsbilder, die den Leser zum Vorstellen der Bilder anregen. Sie erwerben sich damit eine äußerst praktikable Methode der Figurencharakterisierung. Aber es gibt noch weitere faszinierende Tricks.
Königsweg 4: Außergewöhnlich sein
Es gibt ein paar Bereiche, die eine außergewöhnliche Figur ausmachen. Diese Bereiche überschneiden sich. Daher ist es für Sie als Autor dienlich, sich diese Bereiche bewusst zu machen. Auf diese Weise werden Ihnen Charakterisierungen leichter gelingen.
1: Persönlichkeit
Die Persönlichkeit bestimmt die Besonderheit eines Menschen. Dazu gehören Verhaltensweisen, die eine bestimmte Person kennzeichnen: Charme, Liebenswürdigkeit, Stärken, Schwächen, Charisma. Wir unterscheiden folgende Persönlichkeitstypen:
Melancholiker: Er ist nachdenklich, gefühlsbetont, kaum unternehmungslustig, empfindsam, grüblerisch, schwermütig.
Sanguiniker: Er ist fröhlich, sinnlich, optimistisch, hoffnungsvoll.
Choleriker: Er ist aufbrausend, zornig, rachsüchtig, ungeduldig, unbesonnen, heißspornig.
Phlegmatiker: Er ist zurückhaltend, gelassen, ruhig, gesetzt, gefestigt.
Der Extrovertierte: Er ist auf die äußere Welt fokussiert, er fühlt sich in der Menge wohl, geht auf Partys, teilt sich gerne mit. Extrovertierte Figuren sorgen für Konflikt und bringen deshalb die Handlung besonders gut voran.
Der Introvertierte: Er konzentriert sich auf die innere Realität, ist der Einzelgänger, eher sensibel, liest, meditiert.
Der Empfindsame: Er erfährt das Leben durch seine Sinne, konzentriert sich auf die körperliche Wahrnehmung seiner Umwelt - Farben, Formen, Geräusche, Gerüche, Geschmack. Er lebt im Jetzt, ist körper- und sinnorientiert (Koch, Maler, Designer ...).
Der Denkende: Er analysiert knallhart, erkennt ein Problem und sucht systematisch nach der besten Lösung. Er entscheidet nicht nach Gefühlen oder aus dem Bauch heraus, sondern logisch, objektiv, methodisch und prinzipiell.
Der Fühlende: Er ist warmherzig, fühlt mit dem Schicksal anderer mit und zeigt seine Gefühle offen (Kindergärtnerin, Krankenschwester, Sozialberufler ...).
Der Intuitive: Er lebt in der Zukunft, träumt vor sich hin, entwickelt Visionen, hat Ideen und schmiedet Pläne. Er hat Ahnungen und Vorgefühle, wartet, was da kommen mag (Künstler, Erfinder ...).
Die meisten Menschen und Figuren sind eine Mischung aus zwei oder drei verschiedenen Typen. Wir alle nehmen die Welt um uns herum mit den Sinnen (Erfahrungen) und zugleich intuitiv wahr. Diese Informationen verarbeiten wir dann mit Gehirn und Seele, also rational und emotional.
Sie sollten den Typus Ihrer Figuren kennen, das hilft Ihnen dabei, Figuren zu entwerfen, die sich deutlich unterschiedlich verhalten und aussehen. Besorgen Sie sich ein Buch, das Charaktertypen beschreibt – das wird Ihnen sehr weiterhelfen.
2: Einstellung
Die Einstellung schildert die Haltung einer Figur zu anderen Menschen, Orten und zeigt ihre Gefühlsregungen. Dazu gehören Denkart, Ideologien, Vorlieben, Fähigkeiten, Interessen, Sympathien, Abneigungen.
3: Temperament
Das Temperament offenbart dem Leser die Art und Weise, wie eine Figur handelt, anderen gegenüber auftritt, auf Ereignisse reagiert. Kurz: das Naturell.
4: Einzigartigkeit
Die Einzigartigkeit umfasst alle Merkmale, die eine Figur von anderen unterscheidet. Gemeint ist das Anderssein. Sie beschreiben und zeigen die konkreten Details einer Figur.
5: Verhaltensweise
Die Verhaltensweise beschreibt die Art, wie sich eine Figur verhält, kleidet, spricht und Ähnliches.
Insider-Tipp: Der Leser merkt sich am besten exzentrische, abartige Merkmale, also Eigenheiten, die von der allgemein üblichen Norm abweichen. Ihre Figur darf auf den Leser ruhig ein wenig verrückt, in einer Hinsicht durchgeknallt, komisch wirken. Es sind die launischen, unberechenbaren Figuren, die sich dem Leser tief einprägen. Achten Sie beim Entwerfen Ihrer Figuren darauf, dass diese ein exzentrisches Merkmal aufweisen. Gelingt Ihnen das nicht, kann die Figur auf den Leser schnell langweilig wirken. Unsterbliche Figuren sollten zu sehr launischem Verhalten in der Lage sein.
Stellen Sie sich dazu einen Mann vor, der, immer wenn er sein Bier ausgetrunken hat, das Glas aufisst. Sie glauben, ich habe das erfunden? Weit gefehlt! Ob Sie es glauben oder nicht: In meinem Dorf gab es diesen Mann tatsächlich. Auch Glühbirnen zählten zu seinen bevorzugten ›Mahlzeiten‹
Jemand spuckt in sein Getränk, nachdem es serviert wurde, damit niemand daraus trinkt.
›Da werden Sie geholfen.‹ Statt ›wird Ihnen‹; grammatikalisch falsche Sprache als Merkmal.
Königsweg 5: der Blick durch das Schlüsselloch
Bei dieser Technik beschreiben Sie den Charakter einer Figur aus den Augen einer dritten Person heraus. Jemand blickt sozusagen durch ein Schlüsselloch und versorgt uns mit Informationen über Eigenheiten einer Figur.
Zum Beispiel könnte Henry in einem Gespräch mit Paula wesentliche Merkmale von Chris nennen. Der Leser kennt Chris noch gar nicht, wird aber schon neugierig auf ihn gemacht.
Jemand könnte eine Figur in der Menge beschreiben. Kurz: Eine dritte Person erzählt etwas über eine Figur. Schriftsteller, die diese Technik verwenden, lassen Dritte die unglaublichsten Geschichten über eine Figur verbreiten, sie schildern eine Person als den ultimativen Bösewicht, den Besten unter den Seinen, den schnellsten unter allen Revolverhelden.
Ist eine Figur erst mal so definiert, dann kann der Leser den Auftritt dieses Helden kaum noch erwarten. Er klebt regelrecht an Ihrer Geschichte.
Sehen wir uns dazu ein Beispiel an:
»Eddi sieht vielleicht komisch aus, kann ich Ihnen sagen: mit seinen Ferkelaugen, d ie wie schwarze Punkte funkeln, daneben die abstehenden Ohren wie bei Fledermäusen und die speckige Glatze dazu. Könnte in einem Comic auftreten, der Typ.«
Königsweg 6: der Kontrast
Kontraste, Gegensätzlichkeiten, können eine Figur charakterisieren, und so eine Menge über eine Person aussagen. Menschen sind unberechenbar, unlogisch und handeln oft unvorhersehbar.
Leute tun überraschende und erschreckende Dinge. Diese Aspekte, die wir an Figuren nicht sofort sehen, wirken auf den Leser besonders anziehend. Bei dieser Technik suchen Sie nach Widersprüchlichkeiten zwischen dem, was eine Figur tut, und dem, was der Leser aufgrund der Erscheinung der Person als Verhalten erwarten würde. Sie sind also auf der Jagd nach Dingen, die überhaupt nicht zusammenpassen.
Wie wenden Sie die Technik ›Kontrast‹ praktisch an? Legen Sie zuerst ein bestimmtes Charakterelement fest. Dann suchen Sie nach einem zweiten Element, das im Gegensatz zum ersten Wesenszug steht, und zeigen beides.
Am besten lassen Sie Ihre Figur etwas tun, dass der Leser nicht von ihr erwarten würde. Vielleicht so: Der