WIE SIE IHR ERSTES BUCH SCHREIBEN. Martin Selle

Читать онлайн книгу.

WIE SIE IHR ERSTES BUCH SCHREIBEN - Martin Selle


Скачать книгу
oder ununterbrochen sich die Haare hinter das linke Ohr streifen.

      Die Kunst heißt: Beobachten.

      Analysieren Sie andere Menschen, deren Bewegungen und Gesichtsausdrücke. Lernen Sie daraus, merken Sie sich Besonderheiten in der Gestik und verwenden Sie diese Charakteristika. Sie können diese sogar übertreiben, um sie deutlicher zum Ausdruck zu bringen. Wie geht eine Person? Dreht sich ein Mann ständig nach Frauen um? Kaut jemand die ganze Zeit auf einem Kaugummi herum? Eine Person, die morgens aufsteht und als Erstes mit akribischer Sorgfalt und weißen Handschuhen den Tresor öffnet, um nachzusehen, ob noch alle Goldbarren vorhanden sind, ist sofort charakterisiert. Ebenso eine Figur, die ununterbrochen auf die Uhr blickt und dann ihre Arbeit an der Wall Street beginnt. Beobachten Sie einen Solisten, der das Trompetenkonzert von Haydn spielt, einen Sprinter, wie er sich auf die 100 Meter vorbereitet, einen Redner, wie er seine Worte mit Gesten und Mimik untermauert. Beobachten Sie, lesen Sie die Körpersprache von Menschen.

       Insider-Tipp: Kaufen Sie sich fundierte Bücher über die Körpersprache, das ist eine wirklich gute Hilfe für Schriftsteller, um ein Gefühl für Bewegungen und deren Inhalte zu bekommen. Bringen Sie in Erfahrung, welche Gefühle hinter den einzelnen Reaktionen stehen. Der Körper kann nicht lügen, Worte schon! Wie äußert es sich, wenn jemand angestrengt nachdenkt, sich ärgert, kurz vor dem Explodieren steht oder überrascht ist?

      Wir Menschen verwenden nicht nur Sprache, sondern sprechen auch mit dem Körper. Passen Worte und Haltung einer Person zusammen? Stehen einer Figur Schweißperlen auf der Stirn, wenn sie spricht? Fühlt sie sich unwohl? Wird sie gezwungen, Worte zu sagen, die nicht ihre wahren sind? Hat jemand, während er etwas sagt, einen roten Kopf? Jemand der zornig schreit, wird nicht mit schlapp herabhängenden Armen dastehen. Die Augen verraten eine Menge über eine Person. Wirken sie gehetzt, starr, ängstlich um sich blickend? Bestimmte Zeichen und Körperhaltungen können Signale oder vereinbarte Mitteilungen sein. Wie gibt Ihnen jemand die Hand? Ein kräftiger Händedruck sagt etwas anderes über eine Person aus als ein weicher, schlaffer Druck. Überlegen Sie, ob Sie Ihren Figuren einzigartige Bewegungen geben möchten, um sie unterscheidbarer zu machen. Eine einzige mimische Eigenheit genügt hier, und schon haben Sie einen eigenständigen Charakter ein gutes Stück herausgearbeitet. Ihre Figur ist wieder um eine Facette reicher und individueller geworden.

      Eines der berühmtesten Beispiele der Filmgeschichte:

       »Faszinierend‹« sagte Mr Spock und zog seine rechte Augenbraue hoch.

      Meister-Technik 8: PANEV

      Persönliche Angewohnheiten, Neigungen, Eigenheiten und Vorlieben

      Darunter verstehen wir nicht die Art, sich zu kleiden, zu sprechen oder individuelle Bewegungen. Unter die ›PANEV‹ fallen Eigenheiten wie:

      Ein Bombenspezialist raucht nur die schwarzen John Player Special.

      Der Held bevorzugt asiatische Frauen.

      Reist der Held per Flugzeug, kommt nur ein Platz gleich neben dem Notausstieg infrage.

      Ihre Hauptfigur züchtet Orchideen.

      Der Held kommt immer exakt um fünf Minuten zu spät.

      Ihr Held trinkt nur Martini – geschüttelt, nicht gerührt.

      Ohne die tägliche Fitnessstunde am Morgen, exakt von sieben bis acht Uhr, verlässt der Held das Haus nicht.

      Ihr Held liebt es, Spinnen die Beine einzeln auszureißen.

      Die Hauptfigur züchtet im Keller Giftschlangen.

      Um seinem Frust Luft zu machen, streift der Held jeden Tag vor dem Zubettgehen durch die Straßen und schlitzt bei mindestens vier Autos die Reifen auf. Nur dann kann er beruhigt einschlafen.

      Die Kategorie ›PANEV‹ bietet Ihnen endlose Möglichkeiten, eine Figur zu charakterisieren. Brechen Sie jedes Tabu! Haben Sie keine Hemmung davor, sich Abscheulichkeiten, die abstrusesten Abnormitäten und die kreativsten Eigenheiten auszudenken. Es gibt Dinge unter der Sonne, von denen Sie nicht einmal zu träumen wagen! Mal sehen, ob ich Sie schocken, Ihnen ein ›Igitt!‹ entlocken kann: Denken Sie nur an die Mörder, die ihre Opfer umbringen und dann die Eingeweide komplett verspeisen. Natürlich das Gehirn in feine Scheiben geschnitten und geröstet. Geht Ihnen Anthony Hopkins da unter die Haut?

      Religion, Sex, Tiere, Geld, Kinder, Rassen – die Beziehung einer Figur zu solchen Dingen prägen einen Charakter ebenfalls enorm; besonders, wenn die von Ihnen erdachten ›PANEV‹ unüblich sind.

      Meister-Technik 9: Kleidung

      Konzentrieren Sie sich bei der Charakterisierung einer Figur durch die Kleidung auf ein Merkmal, ein Detail, das sich im Gedächtnis des Lesers schnell und tief einprägt. Zum Beispiel könnte der Held immer einen weißen und einen schwarzen Schuh tragen; in meinen Jugendkrimis von ›Codename SAM‹ trägt Sandra Wolf in jedem Schuh zwei Bänder zwecks besseren Passens. Eine Frau könnte ständig goldene angeklebte Fingernägel tragen, der Held trägt ausschließlich schwarze Kleidungsstücke, die Anwältin nur Designerklamotten.

      Ein reiches Gebiet in Bezug auf die Kleidung ist die Modewelt. Beobachten Sie die Laufstege in Paris, Mailand, New York. Blättern Sie in Katalogen und suchen Sie nach brauchbaren Elementen der Kleidung. Aber seien Sie dabei ›offen‹. Ihr persönlicher Modegeschmack spielt keine Rolle! Entscheidendes Kriterium ist, was für Ihre Charakterisierung funktioniert und was nicht. Sie schauen mit den Augen eines Schriftstellers, nicht mit jenen des Alltags. Wo Ihre Freunde sagen ›Das würde ich nicht einmal im Fasching anziehen oder geschenkt‹, da werden Sie erst richtig neugierig und hellhörig. Sie interessiert der Typ, der giftgrüne Kontaktlinsen trägt, eine tätowierte Glatze hat und in hautengen Ledersachen herumläuft.

      Kleidung definiert einen Menschen sehr rasch. Beobachten Sie im Fernsehen, was Menschen aus den verschiedenen sozialen Schichten tragen. Wie kleiden sich Banker, Adelige, Sportler, Junkies, Gossenjugendliche, Sektenangehörige, Prostituierte, Soldaten, Wissenschaftler? Denken Sie auch darüber nach, welchen Zweck die Kleidung eines Menschen erfüllen kann. Kleider können verführerisch sein, typisch oder untypisch, geeignet oder fehl am Platz. Eine Figur, die ihr Hemd bis oben hin zugeknöpft trägt, signalisiert uns etwas anderes als eine Person, die lässig die drei obersten Knöpfe offen trägt unter dem Jackett.

      ›Kleider machen Leute‹, heißt es. Und das trifft zu. Bestimmte Typen von Menschen kleiden sich auf eine ganz bestimmte Art und Weise. Gehen Sie mit offenen Augen durch die Stadt und Sie werden schnell einen Blick für Typen und Kleidungsgewohnheiten entwickeln.

      Wie oft sagen Leute in Bezug auf ihre Kleidung: ›Das ist mein Stil.‹ Die Art, wie sich Personen kleiden, definiert nicht nur die äußere Erscheinung der Figur, sie gewährt auch Einsicht in die Haltung, die Seele, die Emotionen eines Individuums. Der Mann im Prada-Anzug mit der korrekt sitzenden Seidenkrawatte und dem Designerschuh, der dem bettelnden Straßenmusiker kein Almosen gibt, sondern den Hut weg kickt, ist ein anderer Typ als der Kerl im Trainingsanzug, der stehen bleibt und nach einem Dollar kramt. Nutzen Sie die Wirklichkeit, beobachten Sie die Menschen und ihre Kleidung. Sie werden Tausende Möglichkeiten entdecken, um ihre Figur unverwechselbar zu gestalten.

      Lesen wir hier ein gelungenes Beispiel:

       ... Das galt auch für den etwas über dreißigjährigen Mann, der neben dem Kiosk auf seinen Bentley wartete. Seine Erscheinung - grau melierter Haarschnitt, sonnengebräunte Haut, dunkles Seidenpolohemd und gebügelte Kakihose zu den weißen Golfschuhen – ließ auf einen dicken Geldbeutel schließen.

      Meister-Technik 10: treffende Namen

      Nomen est omen, heißt es. Richtig. Namen sind für Sie als Schriftsteller wesentlich mehr als eben nur ›Namen‹. Namen sind Bedeutungsträger, sie müssen zu einer Figur ›passen‹, inhaltlich wie auch in Bezug auf Klang und Rederhythmus. Oder lesen Sie vielleicht gerne Romane, in denen es vor Zungenbrechernamen nur so wimmelt?

      Namen charakterisieren eine Figur. Nehmen wir nur das adelige ›von‹. Wenn jemand ›Adele von Wittelsbach‹ heißt, denkt der Leser


Скачать книгу