Nur ein Tropfen Leben. Christina M. Kerpen

Читать онлайн книгу.

Nur ein Tropfen Leben - Christina M. Kerpen


Скачать книгу
abgenommen hat. Die Waffe, die durch die eingravierten Initialen den Besitzer preisgibt.

      Das Girl atmet noch immer aufgeregt. Sie zittert am ganzen Körper. Langsam schüttelt sie den Kopf und knirscht dabei mit den Zähnen, dann kommt nur noch tonlos drohend: „Geh weg! David Widefield, geh endlich weg!“

      Dicke Tränen schimmern in den wunderschönen grünen Augen. „Hau ab, hau doch endlich ab, verdammt noch mal! Ich will Dich nie, nie wieder sehen. Lass mich gefälligst in Ruhe. Was fällt Dir eigentlich ein, Dich unentwegt in mein Leben einzumischen.“ Ihre Stimme kippt vor Erregung über und wird schrill.

      Sie schluckt nervös und hebt den Revolver noch ein Stückchen höher, bis er genau auf sein Herz zielt.

      „Warum musstest Du herkommen und mir alles kaputt machen? Ist nicht schon genug passiert, nur weil die Lust mit uns durchgegangen ist? Ich hatte mich endlich wieder gefangen und jetzt trampelst Du alles, was ich mühsam zum Keimen gebracht habe, einfach so nieder.“ Carol wischt sich mit dem Handrücken der linken Hand die Tränen aus dem Gesicht, ohne die rechte Hand mit dem Revolver auch nur einen Millimeter zu senken. „Wahrscheinlich hattest Du nichts Eiligeres zu tun, als mich bloßzustellen und allen hier zu erzählen, was für eine ich in Wirklichkeit bin. Als Lehrerin bin ich doch geliefert. Wer wird mir denn nun noch seine Kinder anvertrauen, einem dahergelaufenen Flittchen, das schon mit sechzehn schwanger geworden ist. Hier in diesem wundervollen Ort hat man mir eine echte Chance gegeben, endlich hätte ich etwas aus meinem Leben machen können. Hier war ich wer. Ich wurde anerkannt und geachtet. Das war meine Chance, verstehst Du, meine einzige Chance, die Du mir hier kaltlächelnd zerstört hast. Und jetzt ist alles futsch, mein Glück, meine Zukunft. Kannst Du mir sagen, was ich nun anfangen soll? Woanders wieder versuchen Fuß zu fassen? Ich hasse Dich!“

      Böse blitzen ihre Augen den Mann an, nach dem sie sich noch bis heute Morgen vor Sehnsucht verzehrt hat, während unaufhörlich die Tränen über ihr Gesicht kullern. Auf ihrem Hals haben sich hektische rote Flecke ausgebreitet, die sich mit den Abdrücken auf ihren Wangen mischen, als hätte sie Fieber.

      Mit langsamen, schweren Schritten kommt der Vormann auf das Mädchen zu.

      „Bleib stehen!“ Diese Warnung schreit sie laut und gequält, dann leckt sie sich nervös über die trockenen Lippen. „Ich warne Dich, mach ja keinen weiteren Schritt in meine Richtung. Ich drücke ab!“

      Der Indianer hört nicht auf die erregten Worte und nähert sich dem Wesen mit der noch immer drohend auf ihn gerichteten Waffe weiter. Carol schließt gottergeben die Augen und drückt tatsächlich ab. Glücklicherweise zittert sie aber dabei so sehr, dass sie den Revolver nicht richtig festhalten kann und der Schuss weit am Körper des Indian, der einen schnellen Satz zur Seite gemacht hat, vorbeigeht und die Tür durchschlägt.

      Der Knall holt das Girl in die Wirklichkeit zurück und voller Panik reißt sie die Augen auf. Die Waffe entgleitet ihren Händen und poltert laut krachend zu Boden. Von einem Weinkrampf geschüttelt, bricht das zarte Geschöpf zusammen. Sie hat keine Kraft mehr, sich auf den Beinen zu halten und sinkt langsam auf die Knie, presst die Hände vor ihr Gesicht, beugt sich vor und dann wird ihr kleiner Körper von einem herzzerreißenden Schluchzen geschüttelt.

      David starrt auf die Geliebte. Er sieht, wie sich ganz langsam ein dunkler Fleck auf ihrem Rock ausbreitet, ohne zu registrieren, woher dieser stammt.

      Blacky, der gerade die Hand erhoben hat, um bei Carol anzuklopfen, prallt entsetzt einige Schritte zurück, als das Holz der Tür zu ihrem Zimmer splittert und die Kugel dicht an seinem Kopf vorbeizischt und sich knirschend in die gegenüberliegende Wand bohrt.

      John blickt erst fassungslos auf das Loch in der Tür, dann zur Wand, da hört er es auch schon im Zimmer laut poltern. Ohne noch an ein Anklopfen zu denken, reißt er die Tür auf und stürzt in den Raum. Er ist auf das Schlimmste gefasst, doch der Anblick, der sich ihm jetzt hier bietet, lässt sein Herz schmelzen. Er sieht seine kleine Schwester, die weinend am Boden hockt und den Freund, der neben ihr kniet und sie liebevoll beschützend in die Arme genommen hat.

      Leise spricht der sonst so beherrschte, selbstsichere Mann auf das weinende Bündel Mensch ein. So sanft und zärtlich hat John den Freund in all den vielen Jahren ihrer Freundschaft noch nicht erlebt, ja er hätte ihm eine derartige Fürsorglichkeit im Traum nicht zugetraut.

      Sicher, der Mann ist die Zuverlässigkeit in Person, er respektiert jeden Menschen so wie er ist und würde sicherlich niemals seine Frau verprügeln, doch dass er so sanft sein kann, dass hätte John sich im Leben nicht ausmalen können.

      Plötzlich merkt er mit tödlicher Sicherheit: ‚David liebt Carol ganz unbeschreiblich. Er liebt den Menschen, nicht ein naives, reizvoll unschuldiges Kind oder ein Bild seiner eigenen vergangenen Jugend, er liebt Carol mit ihren ganzen Ecken, Kanten und Fehlern, von denen sie mehr als genug in sich trägt. David ist so verliebt in meine kleine Schwester, wie es nur ganz selten ein Mann in eine Frau ist, das ist kein kurzes Strohfeuer der Leidenschaft, das ist eine tiefe, ehrliche Liebe. Ich kann ihm das Kind ohne Bedenken zur Frau geben und werde es sicher niemals bereuen.’

      John holt tief Luft und auf einmal ist jeder Rest seines noch immer vorhandenen heimlichen Grolls gegen seinen besten Freund verflogen, ja er nimmt es ihm plötzlich nicht einmal mehr übel, dass er das kleine Mädchen zur Frau gemacht hat, obwohl sie noch nicht verheiratet waren. Miteinander zu schlafen ist doch eigentlich ein ganz natürlicher Vorgang bei einem verliebten Paar und letzten Endes: Hat er seiner Schwester nicht immer wieder Davids Vorzüge gepredigt und sie ihm förmlich in die Arme gedrängt? Er selber wollte den Freund doch gerne als Schwager sehen und nun kann er das, denn wenn Carol erst mal wieder in Ebony Town ist, wird sie auf die Nähe des Geliebten sicher nicht lange verzichten wollen und das bedeutet, dass die beiden ganz schnell heiraten müssen.

      John schmunzelt in sich hinein und stellt sich das Gerede unter den Leuten vor, wenn sie weiterhin so täten, als wäre da nichts zwischen ihnen.

      Er räuspert sich vernehmlich.

      Nun schaut Carol auf. Als sie ihren Bruder erkennt, kippt sie in sprichwörtlicher Weise um. Tonlos flüstert sie: „Nein, nicht Du auch noch, das ist einfach zu viel!“

      John strahlt sie an und wedelt dem Freund ein: ‚Lass mich mal, jetzt bin ich dran!’ zu. David überlässt dem zukünftigen Schwager sofort das Feld und erhebt sich.

      Der blonde junge Mann beugt sich zu seiner kleinen Schwester hinunter und gibt ihr einen Kuss auf den Scheitel. Er legt seinen Arm um ihre Schulter und spürt ihren kraftlosen, schmalen Körper. Da ist nichts mehr von der selbstbewussten Frau, die sie auf der Bühne erlebt haben, da ist wieder das kleine, schutzbedürftige Mädchen, das noch so viel Liebe und Geborgenheit braucht, wie jedes andere Kind auch.

      Das Girl legt seine Arme um Johns Hals und schmiegt ihren Kopf an seine Schulter. Sie ist nicht in der Lage, etwas zu sagen, zu verwirrt sind ihre Gefühle. Der Mann hebt sie auf und legt sie auf ihr Bett.

      Widefield dagegen starrt wie hypnotisiert auf den Fußboden und murmelt: „Oh, mein Gott, hier ist überall Blut!“

      Carol blickt an sich herab, nickt, die Augen in ihrem bleichen Gesicht sind groß aufgerissen, dann flüstert sie: „Das scheint aber nichts Besonderes zu sein. Der Doktor hat gesagt, das ist normal in den ersten Tagen. Deswegen soll man nach einer Geburt ja auch mindestens eine Woche im Bett bleiben. Macht Euch bloß keine unnötigen Sorgen.“ Schnell zieht sie die Decke über ihre verschmutzte Kleidung und lächelt ein wenig hilflos.

      Die Männer haben noch nie so viel Blut bei einem äußerlich unverletzten Menschen gesehen und machen sich daher sehr wohl große Sorgen. David brummt heiser: „Ich glaube, ich sage besser Mrs. Wolters Bescheid.“

      John, der seinen Blick nicht von dem Blutfleck auf dem Boden abwenden kann, schluckt und knurrt: „Tu das, aber lass Dich nicht vernaschen!“

      Während David das Zimmer verlässt, lässt sich Blacky auf die Bettkante sinken und beugt sich zu Carol hinab. „Mensch Kleines, was bist Du nur für ein Schäfchen, was hast Du uns und Dir selber nur angetan?“

      Tonlos antwortet das Girl:


Скачать книгу