Nur ein Tropfen Leben. Christina M. Kerpen
Читать онлайн книгу.deutet auf Blacky, der bei der Nennung seines Namens ein Nicken andeutet, obwohl er kein einziges Wort verstanden hat, „und das ist David Widefield, nicht mein Mann, ja noch nicht mal richtig mein Verlobter, aber immerhin der Vater des Kindes und vielleicht mal irgendwann mein Mann, wenn er mich nach dieser Eskapade überhaupt noch will.“
„Oui, oui, je sais!“
In Carols Lächeln liegt ein etwas gequälter Ausdruck. „Charlotte?“, will sie wissen.
Madame nickt ernst, doch ihre Augen lassen erkennen, dass sie innerlich gar nicht so böse ist, wie sie versucht, den Anschein zu erwecken. „Oui, Charlotte! Du bist ein ganz schlimmes, böses Mädchen, uns alle hier so hinter das Licht zu führen.“
Carol ist ehrlich zerknirscht, als sie antwortet: „Oui, Madame, ich schäme mich auch entsetzlich. Zu meinem großen Bedauern muss ich gestehen, dass ich mich wirklich schlecht Ihnen allen gegenüber benommen habe. Und ich muss mich ganz besonders bei Ihnen entschuldigen, denn Sie waren immer sehr großzügig mir gegenüber.“
Die Witwe nickt hoheitsvoll. „Oui, je pardonne à toi, aber trotzdem, Du hast uns alle böse an der Nase herumgeführt und das möchte ich nicht noch einmal erleben.“
Das Girl hat wieder seinen reuevoll zerknirschten Gesichtsausdruck angenommen und murmelt: „Merci bien, Madame, ich werde mich bessern und nie wieder lügen.“
Nun allerdings weicht die betroffene Miene einem strahlenden Lächeln, als sie bittet: „Bitte, Madame, lassen Sie uns englisch sprechen. Meine Freunde sprechen leider kein Französisch und ich fürchte, sie fangen bald an, sich zu langweilen.“
„Bien, mein Kind, sprechen wir englisch, damit deine beiden Lieben uns verstehen.“ Wohlwollend wandert der Blick der alten Dame zwischen den beiden Männern hin und her, die wie zwei brave Schuljungen dem Gespräch mit offenem Mund gelauscht haben. Beide haben außer ihren Namen kein Wort verstanden, aber es klang sehr hübsch in ihren Ohren, dennoch sind sie froh, dass die weitere Unterhaltung nun auf Englisch geführt wird und sie wenigstens wissen um was es geht und ob noch ein gutes Haar an ihnen gelassen wird.
Carol lächelt ihr gewinnendstes, charmantestes Lächeln, dabei neigt sie den Kopf ein klein wenig und sieht einfach hinreißend aus. „Madame, ich wollte Sie etwas fragen“, in das entzückende Lächeln, mit dem das Girl seine Gönnerin ansieht, mischt sich ein etwas ängstlicher Ausdruck, der dieses Mal nicht gespielt ist.
„Sind Sie mir sehr böse? Meine Lügerei war, wie alles, was ich seit Beginn der…“, sie stockt, „äh, meiner anderen Umstände gemacht habe, ziemlich verkehrt. Ich wusste in meiner Verzweiflung nicht, was ich tun sollte und es erschien mir der einfachste Weg, zu behaupten, ich sei Witwe.“
Die alte Dame runzelt die Stirn, macht ein bitterböses Gesicht und sagt mit tiefer Grabesstimme: „Ob ich Dir böse bin? Na, was glaubst Du denn? Mich und alle die anderen guten und lieben Leute hier in Plumquartpinie so zu beschwindeln, pfui, schäm Dich!“
Bei den letzten Worten wirft die alte Lady den Kopf in den Nacken und beginnt herzhaft zu lachen.
Carol, die sich bei dem so unbekannt bösen Gesichtsausdruck und den ersten harten Worten schon begann absolut unbehaglich zu fühlen, fällt nun ein dicker Stein vom Herzen. Sie ist unbeschreiblich erleichtert, denn so frei und ungezwungen hat sie die immer eher strenge Witwe Gwendale, der sie wirklich fast alles in ihrer Wahlheimat zu verdanken hat, noch nie lachen hören.
Die alte Dame hat sich langsam wieder etwas beruhigt und meint, noch immer leicht glucksend wie ein Teenager: „Du bist ein richtiges kleines Äffchen, ma cherie.“ Danach lächelt sie ihre kleine Freundin mütterlich an. „Als ob Dir irgendwer jemals ernsthaft böse sein könnte. Ich glaube, das gibt es nicht, dass Dir irgendwer irgendwas wirklich übel nimmt. Ich am allerwenigsten!“
Unvermittelt wird die Frau wieder ernst. „Außerdem, was glaubst Du denn, Herzchen, ich bin doch auch einmal jung gewesen. Ich war nicht immer so eine verbissene alte Schachtel wie heute.“ Der Blick der Lady geht gedankenverloren in die Ferne. „Ich war auch einmal in einer ähnlichen Situation wie Du und obwohl ich sicher einiges älter war, war ich viel dümmer. Ich hatte weder Deine Phantasie noch Deinen Mut. Meine Energie reichte nur bis zu einer Frau, die mir das Kind weggemacht hat. Dafür wurde ich hart bestraft. Ich wurde sehr, sehr krank und ich konnte nie wieder ein Kind bekommen. Darunter leide ich bis heute. Du hast das richtig gemacht. Du hast Dich für das Kind entschieden, auch wenn es jetzt nicht hat leben wollen. In einigen Jahren wirst Du verheiratet sein“, ihr Blick streift den Indian, „und Du wirst wieder ein Kind haben und dieses Kind wird leben. Du wirst Kinder haben, weil Du nicht den Fehler gemacht hast, wie ihn die meisten ledigen Frauen in Deiner Lage machen, sondern weil Du den Mut zum Kind bewiesen hast.“
Sie räuspert sich. „Nur so ganz verstehe ich nicht, warum Du bei all Deinem Mut weggelaufen bist. Hattest Du Angst, der Mann würde nicht mehr zu dir stehen, wenn er die Wahrheit erfährt?“
Carol schüttelt den Kopf. „Die Gründe waren viel komplizierter.“
Sie umreißt kurz die Situation auf der Willow-Tree-Ranch und endet mit den Worten: „Ich wollte nicht, dass wir beide unseren Job verlieren, nur weil ich mich liederlich benommen habe.“
„Und dabei war das ganz unnötig.“ John schnaubt leise. „Mr. Carpenter hätte nichts gegen eine Beziehung von Euch gehabt. Im Gegenteil, er hat nichts unversucht gelassen, um Euch miteinander zu verbandeln.“
„Das weiß ich jetzt, aber vor einem halben Jahr war das anders. Ich hatte ja keine Ahnung.“
Martha hat in der Zwischenzeit die Besucher mit Kaffee und Kuchen versorgt und es herrscht eine Weile angestrengtes Schweigen.
Nach der zweiten Tasse Kaffee endlich erhebt die Gastgeberin wieder ihre Stimme. „Nun wirst Du uns also wohl oder übel wieder verlassen, um Deinem Herzen und dem Mann Deiner Liebe zu folgen, nicht wahr, mein kleines Mädchen?“
Carol nickt und kann es nicht verhindern, dass sie strahlt, wie die Sonne.
„Sag mal, wie alt bist Du eigentlich wirklich, Kindchen? Die zweiundzwanzig Jahre sind doch bestimmt auch geschwindelt, oder?“
Carol verschluckt sich vor Schreck an einem Stückchen Kuchen. Sie hustet, dann nickt sie errötend und senkt die Augenlider. „Sie haben mich durchschaut, Madame. Ich bin siebzehn, werde aber noch in diesem Jahr achtzehn.“
„Auf Silvester, was?“
„Fast, Madame, am 29. Dezember.“
„So was Ähnliches habe ich mir fast gedacht, aber Du bist doch noch viel jünger, als ich angenommen habe. Ich dachte, Du wärst so um die Zwanzig herum, aber Du bist ja noch ein richtiges Kind. Mit siebzehn Jahren habe ich kaum gewusst, dass es zwei Geschlechter gibt.“ Sie runzelt die Stirn. „Mein Gott, Du bist mit gerade mal sechzehn Jahren schwanger geworden, kein Wunder, dass Du nicht alles richtig gemacht hast.“ Ihr Blick bekommt einen gewissen bewundernden Ausdruck. „Umso erstaunlicher Dein Mut, das Baby auszutragen und die Schmerzen der Geburt auf Dich zu nehmen.“
Die alte Dame lächelt. „Ich hätte Dein wahres Alter eigentlich erraten müssen, denn Du sahst von Anfang an noch so kindlich aus. Dein erwachsenes Benehmen hat uns alle getäuscht. Du bist die geborene Komödiantin. Aber Sie“, streng schaut die Witwe Gwendale den Indian an, „Sie sind doch schon einiges älter, wenn ich das richtig einschätze.“
Der Mann nickt. „Richtig, Ma’am!“, er denkt gar nicht daran, sein wahres Alter preiszugeben. Das ist auch gar nicht nötig, die Witwe hat genügend Lebenserfahrung, um es auch so zu erraten. Sie schmunzelt. „Sie könnten leicht Carols Vater sein. Zwischen Ihnen beiden liegen doch gut und gerne zwanzig Jährchen, nicht wahr?“ Sie wartet keine Bestätigung ab. „Aber verkehrt ist das nicht, denn wahrscheinlich können Sie somit schon eine Familie ernähren.“
‚Mein Gott, ist die neugierig!’, denkt Widefield. Laut antwortet er: „Ich denke schon, Mrs. Gwendale. Ich habe einen gutbezahlten Job auf einer großen Ranch. Dort steht mir eine eigene Unterkunft zur Verfügung und wenn Carol wieder zurück ist, besteht auch keine